Kommentar
13:14 Uhr, 10.06.2022

Wie hoch muss der Zins steigen, um die Inflation zu bekämpfen? Die Antwort dürfte alle überraschen

Der Leitzins soll nach der Vorstellung der Notenbank zumindest auf ein neutrales Niveau steigen. Wo dieses aber liegt, dürfte die Notenbank selbst überraschen.

Die EZB kündigte am Donnerstag den ersten Zinsschritt für Juli an. Dabei überrumpelte sie den Markt mit der Aussicht auf einen Zinsschritt im Bereich von 50 Basispunkten im September. Damit wird deutlich, dass die EZB nun eingesteht, was alle wussten: Sie war zu zögerlich. Die Fed ist da weiter, aber weniger weit als viele denken. Aktuell strebt die Fed einen Leitzins knapp über dem neutralen Zinssatz an und alle nehmen hin, dass dies der richtige Zinssatz für die Inflationsbekämpfung ist. Ein neutraler Zinssatz, der in der Theorie die Wirtschaft weder ausbremst noch anschiebt, wird von vielen Notenbanken angestrebt, nicht nur der Fed. In den USA schätzt die Notenbank diesen neutralen Satz auf ca. 2,5 %. Da die Inflation als zu hoch empfunden wird, muss die Wirtschaft abgekühlt werden. Dies gelingt, indem der Zins über das neutrale Niveau angehoben wird. Weil Staat und Unternehmen hoch verschuldet sind, Konjunkturprogramme ausgelaufen sind und die Dynamik in vielen Regionen der Welt nachlässt, wird davon ausgegangen, dass ein Zinssatz leicht oberhalb von 2,5 % das tut, was er soll – die Inflation bekämpfen. Die Notenbank selbst schätzt, dass der Zielbereich bei 3 % liegt. Sie könnte sich gewaltig irren.

Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es vier Zins- und Inflationsregime. Bis zum Beginn der Großen Inflation in den 70er Jahren lag der Leitzins tendenziell leicht über der Inflationsrate. Beide waren mehr oder weniger im Einklang. Aufgrund politischen Drucks und einer Fehleinschätzung der Lage lag der Leitzins in den 70er Jahren tendenziell unterhalb der Inflationsrate (Grafik 1).


Inflation wurde in den 80ern bekämpft, indem der Leitzins deutlich über die Inflationsrate angehoben wurde. Das kann man rückblickend als so erfolgreich bezeichnen, dass es zu einer zu niedrigen Inflationsrate führte. Um dem entgegenzuwirken, blieb der Zins in den vergangenen Jahren meist unterhalb der Inflation.

Wiederholt sich die Geschichte in ähnlicher Form, wäre es naiv zu glauben, dass die Inflation wieder ihr Ziel erreicht, wenn der Leitzins lediglich auf 3 % steigt. Mittelfristig müsste der Zins höher als die Inflation liegen. Die Inflationsrate wird in den kommenden Quartalen zurückgehen. Der Leitzins muss daher nicht zwangsweise auf 8 % und mehr steigen. Vielmehr ist von einem Rückgang der Inflation Richtung 4 % auszugehen.

Um die Teuerung von 4 % wieder auf 2 % zu drücken, muss der Leitzins bei mehr als 4 % liegen. Will man es noch genauer wissen, gibt das Wirtschaftswachstum Aufschluss darüber, wo der Zins stehen sollte, um die Inflation wirksam zu bekämpfen.

Nach dem Einbruch des Wachstums 2020 konnte die Wirtschaft dank staatlicher Hilfe schnell wieder zum Trendwachstum aufschließen. In den USA liegt die tatsächliche Wirtschaftsleistung nur noch minimal unter der potenziellen. Die potenzielle Wirtschaftsleistung ist dabei jene, die aufgrund von Bevölkerungs- und Produktivitätswachstum möglich ist. Liegt die tatsächliche Wirtschaftsleistung oberhalb der potenziellen, kommt es zu erhöhter Inflation (Grafik 2).


Wirtschaftswachstum ist am Ende nichts anderes als ein Ausdruck des Nachfrageanstiegs und Nachfrage/Angebot bestimmen die Preise. Soll Inflation gedrückt werden, muss der Zins höher sein als das potenzielle Wachstum. Das war bis zu Beginn der 80er Jahre nicht der Fall. Das erklärt auch, weshalb die Inflation anstieg, obwohl Zins und Inflation ähnlich hoch waren. Nachdem der Zins über dem potenziellen Wachstum lag, wurde die Inflation erfolgreich bekämpft (Grafik 3).

Aktuell ist das potenzielle Wachstum wegen des Einbruchs 2020 hoch. Mittelfristig wird ein nominelles Wachstum von 4 % erwartet. Um die Teuerung zu bekämpfen, sollte der Leitzins also bei mindestens 4 % liegen. Was Inflationsbekämpfung anbelangt liegt der notwendige Zinssatz keineswegs bei 2,5 % oder 3 %, sondern deutlich höher. Gut möglich, dass Anleger, Analysten und die Fed selbst am Ende davon überrascht sein werden, wie hoch der Zins steigen muss.

Clemens Schmale


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Über den Experten

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Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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