Fundamentale Nachricht
14:02 Uhr, 10.12.2019

„Werden noch in einem Jahr über den Brexit diskutieren“

Selbst wenn Boris Johnson nach der Wahl das von ihm ausgehandelte Abkommen durch das Parlament bringen könne, droht laut Seema Shah, Chefstrategin von Principal Global Investors, in der anschließenden Übergangsphase weiterhin große Unsicherheit.

Anders als viele Marktbeobachter glaubt Seema Shah nicht daran, dass die Wahlen in Großbritannien für Klarheit in Sachen „Brexit“ sorgen werden. Die Chefstrategin von Principal Global Investors warnt deswegen vor verfrühter Euphorie angesichts der jüngsten Umfrageergebnisse, nach denen eine konservative Mehrheit wahrscheinlich ist. Selbst wenn Boris Johnson nach der Wahl das von ihm ausgehandelte Abkommen durch das Parlament bringen könne, drohe in der anschließenden Übergangsphase weiterhin große Unsicherheit.

Die Investoren sehen eindeutig eine konservative Mehrheit als das positivste Ergebnis. Die Mehrheit würde es Premierminister Boris Johnson ermöglichen, seine Brexit-Vereinbarung rechtzeitig vor Ablauf der Frist im nächsten Monat, vielleicht sogar früher, durch das Parlament zu bringen.

Es wird oft behauptet, dass ein Tory-Gewinn dazu führt, dass der Brexit bis zum 31. Januar „erledigt“ wird und damit die gesamte Brexit-Unsicherheit beendet ist. Doch das wäre nur das Ende der Phase 1 dieser unendlich langen Brexit-Saga.

Nach dem offiziellen Ausscheiden aus der Europäischen Union (EU) tritt das Vereinigte Königreich in eine Übergangsphase ein, in der es die EU-Mitgliedschaft (also auch den Zugang zum Binnenmarkt) behält und sich weiterhin an die EU-Vorschriften hält, aber auch seine Vertretung in den verschiedenen europäischen Institutionen verliert. Der vom Parlament gebilligte Rückzugsvertrag von Boris Johnson sieht vor, dass diese Übergangszeit Ende 2020 endet, es sei denn, es wird ein Antrag auf eine zweijährige Verlängerung zwischen Vereinigtem Königreich und EU bis zum 1. Juli 2020 vereinbart. Johnson hat in seinem Wahlmanifest auch erklärt, dass "wir den Umsetzungszeitraum nicht über Dezember 2020 hinaus verlängern werden" und verspricht stattdessen, innerhalb von 11 Monaten ein vollständiges Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU auszuhandeln.

Die Verlautbarungen von Boris Johnson sind sehr phantasievoll. Das Vereinigte Königreich hat nicht nur in den letzten drei Jahren darum gekämpft, eine Einigung über seine künftigen Beziehungen zur EU zu erzielen, sondern es ist auch keiner der beiden großen Volkswirtschaften gelungen, in knapp drei Jahren ein neues Handelsabkommen zu schließen.

Sehr besorgniserregend ist, dass Großbritannien wieder einmal vor einem 'cliff edge' Brexit steht, wenn es bis Ende Dezember 2020 kein abgeschlossenes Handelsabkommen hat oder keine längere Übergangszeit ausgehandelt hat. Dann würde das Land im Außenhandel abrupt auf die üblichen Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zurückfallen.

Im Falle einer konservativen Mehrheit dürften sich die britischen Vermögenswerte in den ersten Monaten des Jahres zwar zunächst gut entwickeln. Doch das liegt vor allem an der derzeitigen Unterbewertung und dem großen Pessimismus, der in den letzten Jahren die britische Wirtschaft, die Währungs- und Aktienkurse durchdrungen hat. Die Atempause in der Brexit-Saga dürfte aber kurz bleiben. Die Aussicht auf ein No-Deal-Ende der Übergangsphase dürfte bis Ende des ersten Quartals wieder in den Fokus der Märkte rücken. Wir werden wahrscheinlich noch im nächsten Jahr um diese Zeit über die Brexit-Aussichten diskutieren.

Für die Preise britischer Vermögenswerte erwarten wir einen Kursverlauf in Form einer Glocke ('bell curve'): Nachdem das Pfund Sterling Anfang August bis auf 1,20 US-Dollar gesunken war, könnte es diese Woche noch etwas steigen, aber maximal auf 1,33 US-Dollar, da bei den Wahlen immer noch die Gefahr eines 'hung parliaments‘ besteht und die Märkte belastet. Nach der Wahl, vorausgesetzt, eine Tory-Mehrheit kommt zu Stande, sollte ein Niveau von 1,35 $ erreicht werden, vielleicht sogar etwas höher. Doch da sich die Besorgnis über die Übergangszeit einstellt, dürfte das Pfund Sterling in den ersten Monaten des Jahres 2020 wieder auf hohe 1,20er-Werte sinken, möglicherweise sogar 1,25 $.

Auch bei britischen Aktien rechne ich zunächst mit einer Phase der Euphorie nach dem 31. Januar, angetrieben durch ein substanzielles Konjunkturpaket und eine Stabilisierung des globalen Wachstums. Dann werden die wiederauflebenden Unsicherheiten aber das Vertrauen und die Stimmung erneut belasten und zu einer erneuten Schwäche britischer Aktien führen.

1 Kommentar

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  • katzenfreund
    katzenfreund

    Auch Theresa May meinte sie würde Neuwahlen gewinnen. Bei snap elections geht es hauptsächlich um NHS. Da hat BoJO keine guten Karten

    14:29 Uhr, 10.12. 2019