Wer Risiken künstlich unterdrückt, destabilisiert die Märkte
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Ende Dezember legen Volkswirte und Strategen ihren Ausblick für das neue Jahr vor. Weil die Märkte auf unerwartete Ereignisse reagieren, kommt es dann meist doch anders. Ich verzichte daher auf einen klassischen Ausblick und schreibe allgemein über meine Erwartungen angesichts der – wie ich glaube – nachlassenden Konjunkturprogramme, Weltwirtschaftsperspektiven und Gewinnmargen.
Alles hat seinen Zweck
Der Strand, an dem ich meinen Sommerurlaub verbringe, wird für wenige Wochen im Jahr von Pferdebremsen heimgesucht. Diese lästigen, insektensprayresistenten Plagegeister bevölkern die Salzsümpfe an der amerikanischen Ostküste. So sehr sie die Badegäste auch ärgern, haben sie doch einen Sinn: Ihre Eier ernähren Fische, Vögel und andere Tiere. Deshalb sind sie wichtig für unser Ökosystem.
Auch Märkte haben einen Sinn, denn ohne sie gäbe es keinen Preismechanismus. Preise signalisieren Produzenten, dass sie mehr oder weniger Ware herstellen und ihre Ressourcen effizient einsetzen müssen. Aktien- und Anleihekurse haben eine ähnliche Funktion. Sie bilden zukünftige Risiken ab.
Wie Pferdebremsen wird auch Preisvolatilität nur von wenigen geschätzt, aber sie ist wichtig für das Wirtschaftssystem. Schnelle Kursanpassungen oder gar ein Kurseinbruch korrigieren Fehlallokationen von Kapital. Wenn aber die Notenbanken die Volatilität künstlich unterdrücken, können die Märkte ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Wenn Konjunkturmaßnahmen die natürliche Selektion erschweren, bleiben nicht wettbewerbsfähige Unternehmen am Markt. Sie konkurrieren weiter um Arbeitskräfte, Flächen, Vorprodukte und Kapital, obwohl sie bei einem funktionierenden Markt schon längst nicht mehr im Geschäft wären. Die realwirtschaftlichen Preissignale werden verzerrt. Die expansive Geld- und Fiskalpolitik konserviert systemische Ungleichgewichte. Die Märkte werden nicht stabiler, sondern instabiler.
Zwischen der internationalen Finanzkrise und der Pandemie signalisierte die eher schwache Weltkonjunktur den Produzenten, dass sie ihr Kapital klüger einsetzen können als für Erweiterungsinvestitionen. Die fallenden Zinsen machten es interessant, Fremdmittelaufzunehmen und Kapital an die Aktionäre auszuschütten. Aber das verfestigte die Wachstumsschwäche und die niedrige Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Als dann die Lockdowns kamen und die Unternehmensgewinne einbrachen, sah man, wie anfällig viele Unternehmen geworden waren. Natürlich brachen die Kurse jetzt ein, vor allem am Credit-Markt.
Wie wir wissen, wurde die Korrektur durch beispiellose Liquiditätsspritzen der Notenbanken schnell und künstlich unterdrückt, und die Kurse stiegen wieder. Nehmen wir die amerikanische Geldmenge M2 und den S&P 500 als Proxys für Liquidität und Risiko (Abbildung 1 im Anhang). Man sieht deutlich, dass weniger das Wirtschaftswachstum als die Liquidität die Kurse bestimmte.
Ist die Wirtschaft stabiler oder instabiler geworden?
Im letzten Konjunkturzyklus sind viele Unternehmen anfällig geworden. Noch immer wachsen die Gewinne unterdurchschnittlich, bei übermäßig viel Fremdkapital. Seit dem Lockdown waren die Fundamentaldaten und die Cashflows aber hervorragend, wenn auch nur wegen enormer Subventionen. Ich meine, dass die Kurse heute vor allem die künstlich unterdrückte Volatilität und nicht etwa zunehmende realwirtschaftliche Ungleichgewichte anzeigen. Außerdem sind die Risiken gestiegen, was aber geschickt übertüncht wird. Zuletzt war in vielen wohlformulierten Studien zu lesen, dass eine straffere US-Geldpolitik, eine weniger expansive
Fiskalpolitik und der unvermeidbare Übergang von negativen zu positiven Realzinsen die Märkte 2022 nicht aus dem Tritt bringen werden. Und tatsächlich könnte es so kommen, da wir bei all dem weder Zeitpunkt und Ausmaß noch die Anlegerreaktionen kennen.
Fest steht aber, dass der Gegenwartswert von Wertpapieren letztlich von den künftigen Cashflows abhängt – und nicht davon, wie viel Geld gedruckt wird. Wenn die realen Gewinne und Cashflows die Anleger enttäuschen, passen sich die Kurse an. Das lehrt uns die Geschichte. Wie fragil das Finanzsystem heute ist, sieht man auch daran, dass so viele Benchmarkunternehmen wie selten ihr Fremdkapital nicht bedienen können und unrentabel arbeiten.
Nachhaltige Wertschöpfung
Manche Risiken kann man messen, andere nicht. Gerade die nicht messbaren sind oft die problematischsten. Da wir nicht sicher vorhersagen können, wann der Preismechanismus wieder funktionieren darf, bleiben wir unserem Konzept treu: Wir legen das Kapital unserer Kunden verantwortlich an. Daher investieren wir in Unternehmen, die für alle Stakeholder Werte schaffen und deren Cashflows nicht von der Politik oder einem künstlich aufgeblähten Konsum abhängen. Wir investieren in Firmen, die Gewinne erzielen, indem sie zum Fortschritt der Gesellschaft beitragen – und nicht nur kurzfristig auf Kosten ihrer Stakeholder Geld verdienen.
Das ist der strukturelle Grund dafür, warum ich aktives Management schätze. Es gibt aber auch einen aktuellen konjunkturellen Grund. Wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt, fallen die Preise. Wenn die Nachfrage höher ist als das Angebot – wie im März 2020 beim Toilettenpapier oder heute bei Gebrauchtwagen –, steigen sie infolge der Knappheit. Durch zehn Jahre lockere Geldpolitik und jetzt auch noch beispiellose Konjunkturmaßnahmen sind die Unternehmensgewinne gestiegen, und die Kurse haben enorm zugelegt. Finanzberatung und aktives Management stehen dann nicht hoch im Kurs.
Anders als viele meiner Kollegen kann ich nicht voller Überzeugung eine Prognose für das neue Jahr vortragen. Man weiß nie, wann der Wendepunkt des Marktes gekommen ist. Dennoch glaube ich, dass die nächsten Jahre ganz anders sein werden als die letzten. Und wir bleiben optimistisch: Wir sind davon überzeugt, dass Wertpapiere mit stabilen Cashflows in den nächsten Jahren knapp und zugleich sehr gefragt sein werden.
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