Wenn das Außerordentliche gewöhnlich wird
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
„Probleme haben wir nicht, weil wir etwas nicht wissen – sondern weil etwas anders ist, als wir glauben.“ – Artemus Ward
Investieren ist eigentlich ganz einfach. Ob bei Aktien oder Anleihen, bei börsennotierten oder nicht börsennotierten Titeln: Die Cashflows bestimmen die Kurse. Aber das Leben ist komplizierter. Und wenn die Welt nicht mehr linear ist, wird auch das Investieren schwieriger. Wenn die Cashflows hinter den Erwartungen zurückbleiben, können die Kurse ins Rutschen kommen. So glaubten Investoren vor der internationalen Finanzkrise, dass die Hauspreise nicht fallen können. Hunderte Milliarden US-Dollar, die sie in Hypothekenverbriefungen investiert hatten, hielten sie für eine solide Anlage. Heute wissen wir, dass es anders war.
Und wie ist es im Jahr 2020? Der Aufschwung dauert schon sehr lange, aber das Wachstum ist unterdurchschnittlich. Trotz insgesamt 768 Zinssenkungen und Quantitative Easing in Höhe von jetzt schon 11 Billionen US-Dollar wollen die Verbraucherpreise einfach nicht steigen. Am auffälligsten finde ich aber die außerordentlich hohen Unternehmensgewinne trotz des mäßigen Wirtschaftswachstums, der sehr niedrigen Produktivität und des unterdurchschnittlichen Anstiegs der Umsätze. Hier unterscheiden sich die USA von anderen wichtigen Ländern. Trotz der längsten, wenn auch schwächsten Wachstumsphase seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg sind die Unternehmensgewinne im Jahresdurchschnitt um bemerkenswerte 13,3 % gestiegen, wie Abbildung 1 (im Anhang) zeigt.
Wie ich im Oktober unter dem Titel „Here’s What Keeps Me Up at Night“ geschrieben habe, haben die Unternehmensmanager seit Jahren viel getan, damit die Gewinne gut aussehen. Oder frei nach Artemus Ward: „Was glauben wir über diesen Gewinnzyklus zu wissen, das vielleicht ganz anders ist?“
Stichwort Gewinnqualität
Wenn man die Gewinne nach GAAP und die Non-GAAP-Gewinne miteinander vergleicht, gibt uns dies vielleicht einen Hinweis darauf, was anders ist.
Die Wall Street achtet mehr auf die operativen Non-GAAP-Gewinne (dunkelblaue Linie), da sie als ein besserer Indikator für die Rentabilität des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs gelten. Üblicherweise lassen sie nämlich Aufwandsposten, die nicht zu Auszahlungen führen unberücksichtigt. Beispiele sind Abschreibungen auf Aktiva (wie Produktionsstätten) oder der Goodwill aus einer Übernahme.
Die GAAP-Richtlinien, herausgegeben vom Financial Accounting Standards Board, sind allgemeine, standardisierte Regeln. Die Gewinne nach GAAP berücksichtigen auch „außerordentlichen“ Aufwand, beispielsweise die Abschreibung einer schlechten Investition.
Da ist es nur logisch, dass sich die Non-GAAP-Gewinne von den GAAP-Gewinnen unterscheiden. Das ist keine Überraschung.
Doch der durchschnittliche Unterschied ist mit zunehmender Dauer des Konjunkturzyklus und zunehmendem Gewinnwachstum gestiegen. Die Differenzen sind heute etwa ein Drittel höher als in den späten 1990er Jahren. Demnach waren die Gewinne in der zweiten Hälfte dieses Zyklus von geringerer Qualität, und die Investoren ignorierten, dass der „außerordentliche“ Aufwand, der die Gewinne schmälerte, immer weiter stieg.
Doch bleiben wir fair. Ein Teil des Unterschieds lässt sich mit der Technologie und der wachsenden Bedeutung immaterieller Vermögenswerte, etwa geistiger Eigentumsrechte, (und der abnehmenden Bedeutung klassischer Aktiva) erklären.
Warum aktives Management wichtig ist
Manche Unternehmen treffen hinter den Kulissen kluge Investitionsentscheidungen, sodass der Unterschied zwischen den Non-GAAP-Gewinnen und den GAAP-Gewinnen angemessen ist. Es gibt aber auch Unternehmen, deren Gewinnaussichten sich verschlechtert haben – schlecht geführte Firmen, deren Manager schlechte Investitionsentscheidungen treffen. Ziel des aktiven Managements ist es daher, die Fundamentaldaten von Branchen und Unternehmen zu verstehen, Preismacht zu erkennen und die langfristigen Erfolgschancen von Produkten und Dienstleistungen zu beurteilen.
Wegen der zurzeit hohen Bewertungen und des mit fast zwölf Jahren ungewöhnlich langen Konjunkturzyklus muss man heute umso genauer wissen, welche außerordentlichen Aufwandspositionen in den berichteten Gewinnen enthalten sind. Deshalb glauben wir, dass aktives Management in nächster Zeit mehr Mehrwert schaffen kann als bisher in diesem ungewöhnlich homogenen Konjunkturzyklus. Doch dazu muss man zwischen dem Außerordentlichen und dem Gewöhnlichen unterscheiden können.
Keine Kommentare
Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.