Fundamentale Nachricht
14:23 Uhr, 16.02.2022

Wende in Geldpolitik bringt "neutralen" Zinssatz auf die Tagesordnung

Während sich die Fed über das Tempo der Leitzinserhöhungen hinaus in Kürze mit der Strategie der Bilanzreduzierung befassen muss, bemühen sich Christine Lagarde und François Villeroy de Galhau von der EZB nach Kräften, die Markterwartungen zu zügeln, die nun von zwei Zinserhöhungen im Jahr 2022 ausgehen.

Nach Einschätzung von Axel Botte, Marktstratege beim französischen Investmenthaus Ostrum Asset Management, wird die extrem hohe Inflation in den USA die Debatte innerhalb der Fed schnell von der Frage nach dem für die Wahrung der Finanzstabilität "akzeptablen" Tempo der Zinserhöhungen verlagern auf die Frage nach dem neutralen Zinssatz – also der Rate, bei der der Gütermarkt im Gleichgewicht und das Preisniveau stabil ist. Die von den Mitgliedern des Offenmarkt­ausschusses (FOMC) geschätzte langfristige Fed-Funds-Rate liegt derzeit bei 2,5 %. Das impliziert unter den alten Annahmen – Wachstum im Rahmen des Potenzials von 1,8 % und Inflation von 2 % – einen neutralen Satz von real 0,5 %. Der neutrale Zinssatz zur Erreichung eines makroökonomischen Gleichgewichts liegt jedoch notwendigerweise über dem derzeitigen. Aus diesem Grund plädiert FOMC-Mitglied James Bullard für eine sofortige Anhebung der Fed Funds Rate. Jedenfalls wird sich die Fed über das Tempo der Leitzinserhöhungen hinaus in Kürze mit der Strategie der Bilanzreduzierung befassen müssen.

Auf der anderen Seite des Atlantiks bemühen sich Christine Lagarde und François Villeroy de Galhau derweil nach Kräften, die Markterwartungen zu zügeln, die nun für zwei Zinserhöhungen im Jahr 2022 eingepreist sind. Aber ihre Meinungen scheinen im EZB-Rat eindeutig in der Minderheit zu sein, was den Einfluss der EZB-Präsidentin zu schwächen scheint und den zunehmenden Druck auf die Anleihenspreads der Peripherieländer noch verstärkt. Die Büchse der Pandora ist geöffnet und alle möglichen Fragen über den Zeitpunkt der Beendigung der Ankäufe von Vermögenswerten, die Reinvestitionspolitik oder das Ausmaß der Zinserhöhungen stehen nun zur Debatte.

Die Folgen der erwarteten Reduzierung der geldpolitischen Anreize der EZB sind schwieriger zu erfassen. Der erste Instinkt der Anleger besteht darin, ihre langjährige Übergewichtung von Staatsanleihen der Peripherieländer, die auf der Vorstellung einer irreversiblen Unterstützung durch die EZB beruhte, zu reduzieren und sich somit auf Bundesanleihen umzuschichten. Italienische 10-jährige BTPs werden mit über 160 Basispunkten gegenüber deutschen Bundesanleihen gehandelt. Die Reaktion der griechischen Anleihespreads spiegelt auch die Tatsache wider, dass diese Schuldtitel nicht für das APP-Programm des ECS in Frage kommen, dessen Tage nun möglicherweise gezählt sind. Der Spread zur 10-jährigen griechischen Staatsanleihe hat sich seit Monatsbeginn tatsächlich um 45 Basispunkte ausgeweitet. Die EZB ist tatsächlich mit den gefürchteten asymmetrischen Risiken konfrontiert.“

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