Kommentar
16:06 Uhr, 22.11.2021

Warum der Staat jetzt ganz viel Geld verschwenden sollte

Stark negative Realzinsen stellen alle Gesetze der Finanzwelt auf den Kopf. Wenn der Staat jetzt ganz viel Geld verschwenden würde, wäre das eine sehr solide Haushaltspolitik.

Zu den Sonderbarkeiten der vergangenen Jahre gehört, dass sich der deutsche Staat zu negativen Zinsen Geld leihen kann. Heute etwa lieh sich die Bundesrepublik Deutschland über die Ausgabe einer Schatzanweisung 2,792 Milliarden Euro vom Finanzmarkt für 12 Monate.

Der Clou an der Sache: Die Anleihe wurde zu einer Rendite von minus 0,7556 Prozent platziert. Das bedeutet, dass der deutsche Staat am Ende der Laufzeit, also nach einem Jahr, von den geliehenen 2,792 Milliarden Euro nur rund 2,771 Milliarden Euro zurückzahlen muss. Die restlichen 21 Millionen Euro gibt es einfach geschenkt.

Negative (nominale) Zinsen bedeuten, dass die Akteure auf dem Finanzmarkt freiwillig Geld dafür bezahlen, um es beim Staat "parken" zu dürfen. Anleger verlangen also keine positiven Zinsen mehr, sondern verleihen das Geld zu negativen Zinsen, was nichts anderes bedeutet, als dass sie noch etwas "drauflegen", wenn sie dem Staat Geld leihen dürfen.

Kann sich ein Schuldner zu negativen Zinsen Geld leihen, dann ist es rational, dass er von diesem Angebot so großzügig Gebrauch macht, wie er nur kann. Denn durch jede Schuldenaufnahme verliert er nicht etwa an Wohlstand, sondern gewinnt an Wohlstand. Im obigen Beispiel etwa muss der deutsche Staat in 12 Monaten 21 Millionen Euro weniger Geld zurückzahlen, als er sich geliehen hat. Die übrigen 21 Millionen Euro hat der deutsche Staat einfach verdient und kann sie einsetzen wozu er auch immer will. Er kann zum Beispiel sinnvolle Investitionen tätigen.

Aber es wird noch besser: Denn wegen der inzwischen hohen Inflationsrate liegen die Realzinsen, also die inflationsbereinigten Zinsen, zu denen sich der deutsche Staat Geld leihen kann, noch deutlich tiefer im negativen Bereich. Im Oktober 2021 etwa betrug die Inflationsrate 4,5 Prozent. Das bedeutet, dass die Verbraucherpreise (gemessen am Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes) um 4,5 Prozent höher lagen als ein Jahr zuvor.

Nimmt man an, dass die Inflationsrate in den kommenden 12 Monaten ebenfalls bei 4,5 Prozent liegt, dann kann sich der deutsche Staat näherungsweise derzeit zu einem Realzins von minus 5,25 Prozent Geld leihen! Inflationsbereinigt müsste der deutsche Staat beim aktuellen Zinsniveau und bei der aktuellen Inflationsrate von jedem geliehenen Euro nur 94,75 Cent zurückzahlen – oder von einer Milliarde nur 947,5 Millionen Euro. Die restlichen 5,25 Cent bzw. 52,5 Millionen Euro gäbe es einfach geschenkt.

Wäre der Staat ein rationaler Finanzmarktakteur, dann müsste er jetzt eigentlich so viel Geld leihen, wie er nur kann. Denn durch jeden geliehenen Euro mehrt sich sein Wohlstand bzw. der seiner Bürger. Da auch die Nominalzinsen bereits negativ sind, könnte der Staat das geliehene Geld sogar einfach in einen Tresor legen und würde einen Gewinn machen. Er könnte aber seinen Wohlstand (und damit den seiner Bürger) sogar noch deutlich mehr steigern, wenn er mit dem Geld sinnvolle Investitionen tätigen würde. Sogar wenn der Staat das Geld einfach verschenken würde (zum Beispiel über niedrigere Steuern oder höhere Sozialausgaben) wäre damit volkswirtschaftlich wahrscheinlich ein Wohlstandsgewinn verbunden.

Der Spruch "die Schulden von heute sind Steuern von morgen" gilt bei negativen Zinsen schlicht nicht mehr. Denn jeder geliehene Euro muss in Zukunft eben nur teilweise zurückgezahlt werden.

Wenn jetzt im Rahmen der Koalitionsverhandlungen also behauptet wird, dass eine steuerliche Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen oder großangelegte Investitionen zum Beispiel in Erneuerbare Energien oder den Ausbau der Elektromobilität nicht finanzierbar wären ohne Steuererhöhungen, ist das schlicht gelogen. Allerdings muss sich die Politik von der Annahme verabschieden, dass eine solide Finanzpolitik darin besteht, einen ausgeglichenen Haushalt zu haben oder zumindest keine zu hohen neue Schulden aufzunehmen. In Zeiten negativer Zinsen gilt das nämlich gerade nicht mehr.

Wer sich zu negativen Zinsen verschulden kann, der mehrt seinen Wohlstand, wenn er davon Gebrauch macht. Das weiß etwa auch US-Starinvestor Warren Buffett. Denn ein Teil von Buffetts Erfolgsrezept in den vergangenen Jahrzehnten bestand auch darin, sich zu Nullzinsen oder Negativzinsen Geld leihen zu können und dieses Geld gewinnbringend zu investieren.

Fazit: Solange der Staat sich zu negativen Zinsen verschulden kann, sollte er davon auch reichlich Gebrauch machen, jedenfalls solange er sinnvolle Investitionen für das Geld findet. Alles andere wäre verschenkter Wohlstand.


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  • Sascha Huber
    Sascha Huber Experte für Kryptowährungen

    Erkläre das mal den dummen deutschen Politikern!!

    22:13 Uhr, 22.11. 2021

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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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