Kommentar
11:33 Uhr, 19.10.2017

Vor 30 Jahren: Der große Crash von 1987

Während die Börse in New York am 19.Oktober 1987 zusammenbrach, saß US-Notenbankchef Alan Greenspan gerade im Flugzeug. Als er ausstieg, wollte er als erstes den Kursstand des Dow Jones Index wissen.

Erwähnte Instrumente

Als Antwort auf dem Flugfeld bekam Greenspan „Minus Fünf-Null-Acht“ zugerufen, was ihn kurzzeitig fälschlicherweise beruhigte. Denn statt -508 Punkte, glaubte er, der Dow Jones Index sei lediglich um -5,08 Punkte gefallen. Tatsächlich „vernichtete“ der schwarze Montag an der Wall Street fast ein Viertel des gesamten amerikanischen Börsenwerts. Der Dow Jones Index fiel innerhalb weniger Stunden von 2247 auf 1738 Punkte, damals ein Minus von 22,6 Prozent.

Beunruhigend war, dass es keinen Grund dafür gab, dass der Dow Jones Index an jenem Tag um über 22 Prozent einbrach. Keine Naturkatastrophe, Wirtschaftskrise oder sonstiger Schock ließen eine plausible Erklärung zu.

Hinterher fanden sich (wie immer) viele „logische“ Auslöser: so seien steigende Zinsen, die hohen Bewertungen der Aktien und ein überraschend hohes Handelsdefizit der USA zusammengekommen und hätten Schuld an der Verkaufspanik getragen. Aber letztlich müssen wir auch in Betracht ziehen, dass die Kurse einfach fielen, weil es mehr Verkäufer als Käufer gab.

Der 1987er Crash ging auch als erster „Computer-Crash“ in die Geschichte ein.

Die noch junge Technik des automatisierten Börsenhandels versagte an diesem Tag teilweise und Verkaufsaufträge wurden wäschekörbeweise über das Parkett getragen. Die Automatisierung des Börsenhandels begann schon in den 1970er Jahren und war dennoch im Jahr 1987 bei weitem noch nicht ausgereift. Denn die neuen Handelssysteme an der New Yorker Börse waren mit dem großen und bisher unbekanntem Verkaufsvolumen überfordert. Telefonleitungen waren überlastet und Drucker, die die Verkaufsaufträge ausgeben sollten, kollabierten. Das führte zu großen Verwirrungen, weil es bis zu einer Stunde dauern konnte, bis Aufträge von den Brokern bestätigt wurden.

Titelblatt des Wall Street Journals vom 20. Oktober 1987 , via WSJ.com, 08.10.2017 

Verkäufer gerieten so in Panik, da sie nicht wussten, ob ihre Aktien bereits verkauft waren und Käufer, die den Kurssturz hätten auffangen können, blieben aufgrund des Technikversagens an der Seitenlinie.

Zudem sorgte eine neue Aktienstrategie für zusätzlichen Abwärtsdruck. Die Ökonomen Fischer Black und Myron Scholes hatten 1973 ein finanzmathematisches Konzept entwickelt, mit dem man Aktienoptionen bewerten konnte. Mit Hilfe dieses Modells der „Portfolio Insurence“ ( = „Portfolio Versicherung“) lässt sich ein Depot theoretisch so steuern, dass es an Kurssteigerungen partizipiert, aber bei fallenden Kursen durch automatische Verkaufsaufträge abgesichert wird.


Unsere Top-Experten für eventuelle Bärenmärkte: Rocco Gräfe und Andre Tiedje!

Jetzt 14 Tage kostenlos testen: Gräfe XXL und Tiedje XXL !


Das Gefährliche ist, dass automatisierte Handelssysteme und im Markt liegende Verkaufsorders Abwärtsbewegungen verstärken können. Das galt für 1987 genauso wie für spätere Vorkommnisse in den Jahren 2010 oder 2015, als die Kurse von einigen Aktien, ETFs oder Indizes an der New Yorker Börse in sogenannten „Flash Crashs“ plötzlich und unvorhergesehen abstürzten.
Automatisch ausgeführte Kauf- oder Verkaufsaufträge – heute teilweise im Milisekundenbereich („High Frequency Trading“) - können die Schwankungen im Falle einer Abwärtsbewegung verstärken. Denn ab einem bestimmten Punkt wollen alle Verkäufer wie durch einen Flaschenhals aus dem Markt raus und da der überwiegende Teil des Marktes mit ähnlichen Modellen arbeitet, kommt es dann ab einer bestimmten „Schmerzgrenze“ zu den irrationalen Abwärtsschüben.

Als Reaktion auf dieses technisch getriebene Marktphänomen setzen Börsenbetreiber heute den Handel an der Börse aus, wenn Aktien oder Indizes eine bestimmte Volatilitätsgrenze verletzen. Denn solche „Unfälle“ wie 1987 passieren immer wieder. Am 06. Februar 2014 knickte der DAX Future um fast 200 Punkte ein, weil ein Trader nach Bekanntgabe einer EZB-Notenbankentscheidung eine falsche und zu große Order eingegeben hatte.

So blieb auch der Oktober-Crash von 1987 letztlich ein „Betriebsunfall“ und löste nicht wie befürchtet eine langjährige Depression wie 1929 aus. Der Dow Jones Index schloss das Jahr sogar noch leicht im Plus, nicht zuletzt weil sich die Kurse nach dem Crash wieder zügig erholten.

Die großen Verlierer des „schwarzen Montags“ blieben die Spekulanten, die Aktien kurzfristig oder auf Kredit gehandelt hatten. Denn die große und bisher unbekannte Schwankungsbreite des Marktes hatte viele Trader in den „Margin Call“ getrieben.

Den traurigen Höhepunkt bildete das Attentat von Arthur Kane, einem 53-jährigen Angestellten der amerikanischen Sozialversicherungsbehörde, der seinen Broker Lloyd Kolokoff erschoss und einen Kollegen schwer verletzte. Arthur Kane hatte von der Aktienhausse der 1980er Jahre wie viele besserverdienende Amerikaner profitiert und leistete sich ein exklusives Haus mit Pool und Tennisplatz.
Als sein Bankvermögen die gehebelten Aktienspekulationen nicht mehr deckte, verkaufte sein Broker bei Merrill Lynch per „Margin Call“ die Positionen im Verlust. In diesem Fall müssen Anleger verkaufen, weil nicht mehr genügend Sicherheiten für die Fortführung des Börsengeschäfts vorhanden sind, auch wenn es sinnvoller wäre, die Aktien zu halten. Kane war so erbost, dass er in das Büro des Brokers fuhr und auf die Mitarbeiter und sich selbst schoss.

Der Blick zurück auf den Crash vor dreißig Jahren zeigt mir, dass „Unfälle“ an der Börse immer wieder passieren können, da menschliches Verhalten niemals in Summe vorherzusehen ist.

Die Kurse an der Börse werden am Ende noch immer von Menschen gemacht, egal wieviele Regeln und Sicherheitskonzepte wir aufstellen - das ist wie im Straßenverkehr. Auch in der Zukunft können Aktienpreise daher jederzeit dramatisch schwanken und desto eher ich dieses „Börsenphänomen“ als Anleger akzeptiere und in meine Anlagestrategie miteinfließen lasse, desto besser bin ich im Falle des Eintritts geschützt und kann vielleicht sogar von den günstigen Kursen profitieren.

Viele Grüße
Jakob Penndorf

Folgen Sie mir auf Guidants! Ich veröffentliche dort regelmäßig Beiträge zu allgemeinen Finanzthemen

Passende Produkte

WKN Long/Short KO Hebel Laufzeit Bid Ask
Keine Ergebnisse gefunden
Zur Produktsuche

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Jakob Penndorf
Jakob Penndorf

Jakob Penndorf teilt seit 2015 seine Expertise als Finanz- und Tradingexperte auf GodmodeTrader und Guidants, den Finanzportalen der BörseGo AG. Er startete seine Karriere als Börsenhändler und Analyst bei einer Wertpapierhandelsbank, war Berater und Fondsmanager für Asset Manager in Frankfurt am Main und Gründer eines Finanztechnologie-Unternehmens in Berlin. Jakob Penndorf hat zahlreiche Lehrgänge absolviert, u.a. ist er akkreditierter Berater der namhaften Investmentgesellschaft Dimensional Funds Advisors (DFA) aus den USA, deren Vorstand und Verwaltungsrat führende Finanzforscher wie Kenneth French, Roger Ibbotson oder Eugene Fama angehören. Jakob Penndorf veröffentlichte zahlreiche Fachartikel über Börsenstrategien, Anlegerverhalten und technische Handelssysteme. Er trainiert Unternehmer, Börsenhändler und Investoren im Umgang mit Risiken an den Finanzmärkten.

Mehr Experten