Von Höhenluft und Niedrigzins
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New York (GodmodeTrader.de) - Vielleicht würden die Zentralbanker, die sich dieser Tage im idyllischen Jackson Hole, Wyoming, treffen, ihr Konferenzhotel am liebsten in eine Bergfestung umbauen. Denn selten zuvor in der jüngeren Geschichte stand die Unabhängigkeit ihrer Institutionen derart im Feuer wie derzeit, wobei die Diskussion ausgelöst wurde durch diverse Versuche von US-Präsident Trump, die Notenbank Fed vor seinen Karren zu spannen, wie Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock, in seinem aktuellen „Blick auf die Märkte“ schreibt.
Es gehe um das Risiko einer Abschwächung der US-Konjunktur zur Unzeit, nämlich kurz vor den Präsidentschaftswahlen im November 2020. Und da der Kongress dem Präsidenten kaum noch einmal in eine derart opulente Ausgabenorgie folgen dürfte wie mit der Steuerreform 2018, liege der Ball im Feld der Geldpolitik. Niedrigere Zinsen müssten also her, zumal diese in Trumps Vorstellungswelt notwendig wären, um einer von China gezielt betriebenen Abwertung des Yuan begegnen zu können, heißt es weiter.
„Und dann sind da noch die Europäer, die vermutlich mit Schrecken verfolgen, wie Trump die Fed sturmreif schießt, andererseits aber ein bisschen neidisch auf die robust brummende US-Wirtschaft blicken, mit einer Inflationsrate in Sichtweite des Zwei-Prozent-Ziels und Zinsen, die zumindest nominal noch positiv sind. In der Tat wirkt die EZB ratlos. Der Ankündigungseffekt neuerlicher, bis vor kurzem noch für undenkbar gehaltener geldpolitischer Lockerung (darunter ein weiteres Absenken des jetzt schon negativen Einlagenzinses) scheint zu verpuffen, jedenfalls wenn man die marktbasierten Inflationserwartungen zum Maßstab nimmt“, so Lück.
Und dabei nähere sich die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe der Marke von –minus 1,0 Prozent, in der Vorwoche wurden minus 0,73 Prozent erreicht, und erst nach Hinweisen auf eine ausgabenfreundlichere Haltung des Bundesfinanzministeriums habe sich die Rendite bis Wochenschluss um ein paar Basispunkte erholt. Dennoch könne keineswegs als gesichert gelten, dass hiermit der Tiefpunkt erreicht sei. Denn wenn die EZB wie angekündigt den Einlagenzins weiter senke und über erneute Ankäufe von Finanzaktiva die Bankenliquidität erhöhe, scheine auch ein neuerliches Abrutschen der Benchmark-Rendite keineswegs ausgeschlossen. Dies gelte umso mehr, als sichere Häfen gefragt blieben, heißt es weiter.
„Überhaupt wird die Musik in diesen Tagen eher an den Anleihemärkten gespielt. So darf es durchaus als überraschend gelten, dass der italienische Risikoaufschlag auf deutsche Anleihen in der letzten Woche um satte 30 Basispunkte zusammenschmolz, gilt doch Italien vor allem in letzter Zeit nicht gerade als Hort der Stabilität. Von Regierungskrise war die Rede, von Neuwahlen und sogar der Gefahr des Italexit, also eines Ausscheidens aus der Europäischen Währungsunion. Was also hatte Anleger bewogen, so stark auf Italienanleihen zu setzen, dass der Spread sich derart verkleinerte?“, fragt Lück.
Die Antwort bestehe wohl aus zwei Teilen: Einerseits erscheine vermutlich immer mehr Investoren der Preis von Staatsanleihen besserer Ratings – etwa Deutschland oder Frankreich – inzwischen dermaßen hoch, dass Rücksetzer drohten und damit das Risiko der Alternative – etwa Italien – attraktiver erschienen sei. Zweitens scheine in den letzten Tagen die Rhetorik des italienischen Innenministers Matteo Salvini, der bis dato maßgeblich den Regierungsbruch vorangetrieben hatte, moderater zu werden. Man könne, so habe es plötzlich geheißen, ja noch mal mit dem ungeliebten Koalitionspartner von der Fünfsternepartei reden. Sofort hätten weniger Marktteilnehmer auf Regierungskrise, Chaos und Italexit gewettert, und als Ergebnis seien die Risikoaufschläge gesunken, heißt es weiter.
„Derart von täglichen Wasserstandsmeldungen beeinflusstes Investieren zeigt die Nervosität der Anleger. Auch die Aktienvolatilität hält sich über 20, also weit über dem Durchschnitt der letzten Jahre. In der Tat sieht nicht nur die Weltwirtschaft wacklig aus, auch die politischen Unsicherheiten haben weiter zugenommen. Seit einigen Wochen kocht neben den Dauerbrennern Handelskrieg, Brexit und Italien (um nur die markantesten zu nennen) auch der Protest in Hong Kong hoch. Für die chinesische Regierung ist diese Situation brandgefährlich. Denn nach dem verheerenden Ausgang der Tiananmen-Proteste vom Juni 1989 war die Devise „Stillhalten gegen Wohlstand“ zum gesellschaftlichen Konsens geworden, auf dem die einzigartige chinesische Erfolgsgeschichte erst aufbauen konnte. Nun droht China einerseits ökonomische Abkühlung, verstärkt durch Handelskrieg und hausgemachte Probleme, andererseits genau der Ungehorsam, den man durch zunehmenden Reichtum vermeiden wollte. Bisher war dies ein Thema der 1997 von Großbritannien an China übergegangenen Sonderverwaltungszone, ein Übergreifen auf die Volksrepublik scheint aber nicht ausgeschlossen. Daher wäre ein Niedertrampeln der Proteste à la 1989 für China kontraproduktiv. Es erscheint wahrscheinlicher, dass Xi Jinping & Co. versuchen werden, die Proteste weiter zu diskreditieren und darauf zu hoffen, dass den Demonstrationen mit der Zeit die Dynamik ausgeht“, so Lück.
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