Kommentar
12:36 Uhr, 08.02.2005

USA: Rentenreform – Bush will mit Kanonen auf Spatzen schießen

1. Präsident Bush hat schon im Wahlkampf angekündigt und in seiner Rede zur Lage der Nation am 2. Februar 2005 noch einmal bekräftigt, dass er in seiner zweiten Amtszeit zwei große wirtschaftspolitische Reformvorhaben verwirklichen will. Zum einen ist dies eine grundlegende Vereinfachung des Steuersystems. Zum anderen, und dies soll im Folgenden diskutiert werden, will er die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung, der social security, vorantreiben. Grund hierfür ist nicht nur die Tatsache, dass zum Ende dieses Jahrzehnts die ersten Mitglieder der geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen werden, was den Haushalt der Rentenversicherung belasten wird. Vielmehr will Bush mit einer Teilprivatisierung der gesetzlichen Rentenversicherung zugleich einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zu der von ihm angestrebten "Eigentumsgesellschaft", der ownership society, erreichen, einer Gesellschaft also, in der die Rolle des Privateigentums im Vordergrund stehen und die Eigenverantwortung gestärkt werden soll.

Im Folgenden sollen zunächst die Gründe dargestellt werden, warum eine Reform der staatlichen Rentenversicherung nötig ist. Drei Reformvorschläge, die stellvertretend für eine Vielzahl von Reformalternativen stehen, werden anschließend vorgestellt und beurteilt. Dabei ist der so genannte Plan 2 ein Vorschlag, der den Vorstellungen von Präsident Bush sehr nahe kommen dürfte. Daneben sollen mit dem Bipartisan Retirement Security Act und dem Reformmodell von Diamond und Orszag zwei Alternativen diskutiert werden, die den Staatshaushalt weniger belasten würden. Schließlich werden die Folgen der drei Vorschläge für das gesamtwirtschaftliche Sparen und auf die Finanzmärkte untersucht und die Ergebnisse in einem Fazit zusammengefasst.

Demografische Entwicklung als Problem für umlagefinanziertes System

2. Die staatliche Rentenversicherung in den USA ist wie das deutsche System umlagefinanziert. Das heißt, aus den laufenden Beitragszahlungen der arbeitenden Bevölkerung werden die laufenden Auszahlungen an die derzeitigen Rentner finanziert. Aufgrund der demografischen Entwicklung, also wegen des alle Industrieländer betreffenden rückläufigen Bevölkerungswachstums bzw. sogar schrumpfender Bevölkerungen bei gleichzeitig steigender Lebenserwartung, werden sich solche so genannten pay-asyou- go-Systeme alle früher oder später mit Finanzierungsproblemen konfrontiert sehen. Denn die Zahl der Leistungsempfänger steigt stärker als die Zahl der Beitragszahler. Während jedoch beispielsweise in Deutschland schon jetzt die gesetzliche Rentenversicherung in Finanzierungsnöten steckt und Zuschüsse vom Staat beansprucht, erwirtschaftet die staatliche Rentenversicherung in den USA derzeit noch hohe Überschüsse. Denn das Leistungsniveau liegt in den USA niedriger als in Deutschland, und zudem ist die Bevölkerungsentwicklung wie auch die Beschäftigungssituation deutlich günstiger, was die finanzielle Situation im Vergleich spürbar entschärft.

3. 2003 betrug der Überschuss der Rentenversicherung in den USA 46,6 Mrd. US-Dollar. Damit verringerte er das Haushaltsdefizit um etwa 0,4 Prozentpunkte, dieses hätte also statt 4,6 % des nominalen Bruttoinlandsprodukts dann sogar 5,0 % betragen. Den Prognosen des politisch unabhängigen CBO (Congressional Budget Office) zufolge werden die Auszahlungen der Rentenversicherung erst etwa ab 2020 die Beitragszahlungen übersteigen, sodass Defizite entstehen. Die derzeitigen Überschüsse werden zumindest rein rechnerisch in einem "Fonds", dem trust fund, verbucht, in dem zurzeit ein beträchtliches Vermögen angesammelt wird (Stand Ende 2004: knapp 1,7 Billionen US-Dollar). Dadurch können diese Defizite noch für eine längere Zeit aus diesem Fonds gedeckt werden. Im Jahr 2052 wird dieses Vermögen aufgebraucht sein, wenn sich an der derzeitigen Gesetzeslage nichts ändert. Die dann notwendige Anpassung der Rentenauszahlungen an die zu niedrigen Beitragszahlungen würde Schätzungen zufolge zu einer Reduzierung der Renten auf 78 % des vorherigen Niveaus führen.

4. Aus diesen auf den ersten Blick recht beruhigenden Zahlen den Schluss zu ziehen, der Handlungsbedarf in der amerikanischen Rentenversicherung sei nicht dringend, bis 2052 sei schließlich noch genügend Zeit zu handeln, ist jedoch zu kurzfristig gedacht. Denn es gilt: Je früher gehandelt wird, desto weniger schmerzhaft wird der Übergang hin zu einer Zeit, in der das Umlagesystem wegen des schwächeren Bevölkerungswachstums und der höheren Lebenserwartung der Bevölkerung immer schwieriger zu finanzieren ist. Hinzu kommt, dass hinsichtlich des politischen Prozesses eine Lösung dieses Problems im Sinne der intergenerationellen Gerechtigkeit in den kommenden Jahren immer unwahrscheinlicher wird. Denn wenn erst einmal die Rentner bzw. diejenigen, die in naher Zukunft in Rente gehen, die Mehrheit der Wahlbevölkerung ausmachen, dann wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr einer Reform zustimmen, die zu ihren Lasten geht. Deshalb ist es lobenswert, dass sich Bush diesem innenpolitischen Thema zuwendet, und es ist zu hoffen, dass in naher Zukunft eine vernünftige und sinnvolle Neugestaltung des Rentensystems in den USA beschlossen wird. Allerdings muss betont werden, dass das Rentenproblem nicht das dringlichste Problem der Wirtschaftspolitik ist. Die finanziellen Lasten, die durch die Gesundheitsversorgungsprogramme Medicare und Medicaid in Zukunft auf den Staat zukommen, sind beispielsweise deutlich höher als diejenigen aus der Rentenversicherung. Ebenso ist eine Reform der "zweiten" Einkommensteuer, der Alternative Minimum Tax, dringend nötig, um die Mittelschicht nicht über Gebühr finanziell zu belasten.

Die Reformvorschläge und ihre Auswirkungen

5. Prinzipiell stehen mehrere Möglichkeiten offen, die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung langfristig zu sichern.

- Erstens können die Beitragszahlungen (payroll tax) von derzeit 12,4 % des monatlichen Einkommens erhöht werden, von denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils die Hälfte tragen (Selbständige zahlen den vollen Beitrag). (Zum Vergleich: In Deutschland lag der Beitragssatz zur Rentenversicherung im Jahr 2004 bei 19,5 %.)

- Eine zweite Art der Beitragserhöhung böte sich über die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze an (2004: 87.900 US-Dollar). (Zum Vergleich: In Deutschland lag diese Grenze 2004 bei 5.150 Euro pro Monat, also rund 62.000 Euro oder etwa 80.000 US-Dollar pro Jahr.)

- Als dritte Alternative ist eine Anhebung des Renteneintrittsalters vorstellbar. In Anbetracht der Tatsache, dass mit steigender Lebenserwartung die Rentenbezugsdauer länger wird, wäre dies durchaus begrüßenswert. Allerdings wird in den USA seit 2003 das Renteneintrittsalter sukzessive von damals 65 Jahre auf 66 Jahre im Jahr 2009 und auf 67 Jahre im Jahr 2027 angehoben.

- Viertens kann das Leistungsniveau abgesenkt werden. Dieses befindet sich derzeit für den "Idealrentner" mit durchschnittlichem Einkommen während seines Arbeitslebens beim Renteneintritt bei etwa 40 % des letzten (Brutto-)Einkommens. (Zum Vergleich: 2004 hatte der deutsche "Eckrentner" Anspruch auf eine Rente in Höhe von 48 % seines vorherigen Bruttoeinkommens bzw. 67,4 % des Nettoeinkommens.) Eine Absenkung des Leistungsniveaus könnte beispielsweise dadurch geschehen, dass die Leistungsniveaus bei Renteneintritt nicht mehr durch Lohnindexierung angepasst werden, also mit der gleichen Rate steigen wie die Löhne und Gehälter, sondern durch Inflationsindexierung.

Realistischer Weise wird eine Reform auf eine Mischung aus den oben genannten Elementen hinauslaufen, sodass eine gewisse Mindestabsicherung vor Altersarmut erhalten bleibt, die Zahlungsfähigkeit der social security jedoch auf Dauer gesichert ist. Im Folgenden werden drei konkret vorliegende Reformvorschläge vorgestellt und ihre vom CBO abgeschätzten Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Staatsverschuldung diskutiert. Dabei wurde im Vergleich mit der jetzigen Regelung unterstellt, dass die Rentenzahlungen ab dem Zeitpunkt entsprechend gekürzt werden, ab dem sie nicht mehr aus den Einnahmen bzw. den Rücklagen der social security finanziert werden können.

6. Die von Präsident Bush favorisierte Idee einer Reform der Rentenversicherung ist die Teilprivatisierung der staatlichen Renten. Man kann davon ausgehen, dass der so genannte "Plan 2" seinen Vorstellungen weitgehend entspricht. Dieser Plan 2 wurde von der von Bush ins Leben gerufenen Kommission zur Stärkung der Rentenversicherung im Dezember 2001 präsentiert. Der Plan kombiniert eine teilweise Umstellung der Umlagefinanzierung auf eine private, kapitalgedeckte Altersvorsorge mit einer schrittweisen Absenkung des Leistungsniveaus. Konkret soll ein Arbeitnehmer bis zu vier Prozent seines sozialversicherungspflichtigen Einkommens, also fast zwei Drittel der von ihm monatlich bezahlten Versicherungsbeiträge, höchstens jedoch 1000 US-Dollar pro Jahr, auf ein privates Altersvorsorgekonto (individual account) einzahlen können. Bush argumentiert für die Privatisierung damit, dass das private Sparen eine höhere Rendite erwirtschaftet, als es das "Sparen" in der staatlichen Rentenversicherung tut. Da letzteres gewissermaßen in Staatsanleihen angelegt wird, erwirtschaftet es die Rendite für eben solche Anleihen. An den Finanzmärkten können über die Jahre hinweg gesehen jedoch bei der Anlage in alternative Anlageformen wegen der höheren Risiken auch höhere Renditen erwirtschaftet werden, damit stiege das Vermögen der privaten Haushalte also stärker an als unter der aktuellen Gesetzeslage. Außerdem können die privaten Altersvorsorgeerträge bei frühzeitigem Tod der Beitragszahler vererbt werden. Gleichzeitig sollen die Rentenniveaus beim Renteneintritt nicht mehr über Lohnindexierung, sondern über Inflationsindexierung angepasst werden, was zu einem sukzessiven Absenken des Leistungsniveaus aus der staatlichen Rentenversicherung führt. Soziale Härtefälle sollen gewisse Mindestbeträge zugesichert bekommen.

Wie wären die Auswirkungen von Plan 2 hinsichtlich des Wirtschaftswachstums und des öffentlichen Budgets? Das CBO schätzt, dass das Niveau des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2025 etwa ein halbes Prozent höher wäre als ohne eine Reform. Eine solche Größenordnung über 20 Jahre hinweg ist im Prinzip zu vernachlässigen. Dieser Wachstumseffekt entstünde durch etwas schwächeren Konsum der privaten Haushalte, um wegen der zu erwartenden niedrigeren Leistungen aus der staatlichen Rentenversicherung mehr für das Alter zu sparen. Das zusätzliche Sparen würde die Menge an Kapital erhöhen, das für Investitionen zur Verfügung steht, und damit die langfristigen Wachstumskräfte stärken. Allerdings geht das höhere private Sparen einher mit einem verringerten Sparen des Staates, da die Überschüsse der social security, die in den Staatshaushalt einfließen, durch Plan 2 kurz- und mittelfristig reduziert werden. So würde Plan 2 laut Berechnungen des CBO vom Zeitpunkt seiner Einführung an, also ab 2006, das Haushaltsdefizit im Vergleich zur jetzigen Regelung jedes Jahr zusätzlich um etwa 1 ½ Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts erhöhen.

7. Ein zweiter Vorschlag, der hier diskutiert werden soll, ist der Parteien übergreifende Bipartisan Retirement Security Act von 2004, der von den beiden Kongressmitgliedern Kolbe und Stenholm initiiert wurde. Auch hier soll ab 2006 ein Teil der Rentenversicherungsbeiträge auf private Altersvorsorgekonten umgeleitet werden, geplant sind im Durchschnitt etwa 2,3 Prozent des sozialversicherungspflichtigen Einkommens. Gleichzeitig sollen die Leistungen der staatlichen Versicherung gekürzt werden, beispielsweise über eine Veränderung der Rentenanpassungsformeln (u.a. Miteinbeziehung der Lebenserwartung), über eine schnellere Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre und über höhere Abschläge für einen frühzeitigen Rentenbeginn. Zudem sollen beispielsweise die Rentenzahlungen für Paare mit hohen Einkommen gedeckelt werden, während Niedrigeinkommensbezieher mit langer Lebensarbeitszeit höhere Leistungen bekommen sollen, als es sich aus der Rentenformel ergeben würde.

Da bei diesem Vorschlag ein geringerer Anteil der Beiträge auf private Altersvorsorge umgeleitet werden kann und gleichzeitig die Leistungen stärker gekürzt werden als bei Plan 2, bliebe die social security bei seiner Einführung auf die nächsten 100 Jahre hinaus immer zahlungsfähig und müsste keine zusätzlichen staatlichen Mittel beanspruchen bzw. Leistungen drastisch kürzen. Die geringen zusätzlichen Defizite, die sich für die Zeit bis 2025 ergeben würden, könnten durch die Rücklagen der social security im trust fund gedeckt werden. Das CBO schätzt, dass das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2025 bei Realisierung der Vorschläge von Kolbe und Stenholm etwa ein Prozent höher wäre als ohne eine Reform, längerfristig wäre es sogar um 3 % bis 5 % höher.

8. Ein dritter Vorschlag, der vom CBO ausgewertet wurde, stammt von zwei Wissenschaftlern, Peter Diamond vom Massachusetts Institute of Technology und Peter Orszag von der Brookings Institution. Zwar hat dieser Vorschlag vermutlich politisch keine Chance, realisiert zu werden, doch stellt er eine Alternative dar, die völlig auf eine Privatisierung der Rentenversicherung verzichtet. Außerdem wird hier mit dem Tabu gebrochen, dass die Bezieher hoher Einkommen nicht stärker zur Finanzierung der social security herangezogen werden dürfen, ohne dass sie hieraus höhere Leistungsansprüche erwerben. Konkret sollen die Beiträge zur Rentenversicherung von derzeit 12,4 % sukzessive angehoben werden, sodass sie 2025 bei 12,7 %, 2050 bei 13,9 % und 2075 bei 15 % liegen werden. Zugleich soll die Beitragsbemessungsgrenze (im Jahr 2004: 87.900 US-Dollar) angehoben werden und zusätzliche Beiträge oberhalb dieser Obergrenze erhoben werden. Letztere würden die Rentenversicherungsansprüche nicht erhöhen. Die von Diamond und Orszag vorgeschlagenen Leistungskürzungen würden ebenfalls nur langsam im Zeitablauf spürbar werden, wobei die Bezieher niedriger Renten von diesen Kürzungen ausgenommen bleiben sollen. Für einen typischen Rentner würden die Rentenbezüge langsam sinken, sodass sie 2025 etwa 2 % niedriger lägen als nach aktueller Gesetzeslage, 2050 um 12 % niedriger und 2105 um 23 % niedriger.

Auch bei dieser Reformalternative wäre über die nächsten 100 Jahre hinweg (und danach) die Finanzierung der social security gesichert. Die Einnahmen würden dauerhaft die Ausgaben übersteigen, d.h. das Haushaltsdefizit würde ab Einführung der Reform niedriger ausfallen als unter aktueller Gesetzeslage. Hinsichtlich des Wirtschaftswachstums erwartet das CBO, dass das Bruttoinlandsprodukt 2025 etwa ¾ % niedriger läge als unter der aktuellen Gesetzeslage, 2080 dürfte es etwa 1 ½ % niedriger sein. Die höhere Sozialabgabenbelastung ist der Grund für das etwas geringere Wirtschaftswachstum.

9. Damit stehen einige Alternativvorschläge zur Debatte, ihre Auswirkungen sind durch das CBO abgeschätzt.

Keine nennenswerte Verbesserung für das gesamtwirtschaftliche Sparen und das Leistungsbilanzdefizit

10. Eines der wichtigsten derzeit diskutierten Themen, insbesondere im Zusammenhang mit dem hohen Leistungsbilanzdefizit der USA, ist das mangelnde gesamtwirtschaftliche Sparen. Der hohen Neuverschuldung des Staates, also einem so genannten "Entsparen", steht zwar ein vergleichsweise kräftiges Sparen des Unternehmenssektors entgegen, dieses reicht jedoch nicht aus, um den gesamtwirtschaftlichen Kapitalbedarf zu decken, denn die privaten Haushalte haben ihr Sparen fast auf null zurückgefahren. Es ist anzunehmen, dass das Leistungsbilanzdefizit erst dann nennenswert schrumpfen wird, wenn das gesamtwirtschaftliche Sparen wieder ansteigt. Was jedoch passiert mit dem Sparen, wenn eine der Rentenreformen durchgeführt wird? Die beiden Reformvorschläge, die auf einer teilweisen Privatisierung der Beiträge basieren, senken zuerst einmal das Sparen des Staates zusätzlich, bzw. sie erhöhen das Entsparen. Dem steht analog in gleicher Höhe ein zusätzliches Sparen der privaten Haushalte gegenüber, das in die privaten Altersvorsorgekonten fließt. Viele Analysten bringen das Argument auf den Tisch, dass mit einer Rentenreform den Privaten die Notwendigkeit des Sparens deutlicher vor Augen geführt werde und sie demzufolge mehr zur Seite legen würden. Das durch eine Reform mehr gespart wird, bezweifeln wir jedoch. Denn die Sparquote der privaten Haushalte ist im Lauf der letzten Jahre wegen der gestiegenen Vermögen - Immobilien- und Aktienvermögen - fast stetig gesunken, die Privaten konsumieren derzeit so gut wie jedes zusätzliche Einkommen. Der Blick auf ihr auf den individuellen Altersvorsorgekonten angespartes Vermögen wird sie auch bei einer teilweisen Privatisierung der Renten in der Sicherheit wiegen, ein höheres Vermögen zu besitzen und deshalb einen noch größeren Teil des Einkommens bzw. sogar einen Teil ihres Vermögens konsumieren zu können. Damit wird das staatliche Sparen um einen Betrag reduziert, der womöglich durch das private zusätzliche Sparen nicht ausgeglichen wird - das gesamtwirtschaftliche Sparen bleibt bestenfalls konstant gegenüber dem Szenario ohne Reform.

11. Beim Vorschlag von Diamond und Orszag dagegen wird der Staat zulasten der Privaten sparen. Die Beitragserhöhungen werden ebenso wie die Leistungskürzungen die finanzielle Lage der social security verbessern und damit auch das Haushaltsdefizit des Staates verringern. Damit dürfte das gesamtwirtschaftliche Sparen unter sonst gleich bleibenden Umständen ansteigen. Wenn man zusätzlich noch annimmt, dass die privaten Haushalte wegen der zu erwartenden niedrigeren Rentenzahlungen in der Zukunft etwas mehr zur Seite legen, ist bei diesem Vorschlag damit zu rechnen, dass das Sparen insgesamt sogar noch stärker ansteigt - dies würde auch eine wünschenswerte Entlastung für das Leistungsbilanzdefizit bedeuten.

Teilprivatisierung hätte positive Auswirkungen auf die Finanzmärkte

12. Es ist davon auszugehen, dass nur die Vorschläge, die eine teilweise Privatisierung der staatlichen Rentenversicherung beinhalten, nennenswerte Auswirkungen auf die Finanzmärkte haben, denn durch die Privatisierung wird zusätzliches Geld in die Finanzmärkte fließen. Entsprechend den Vorgaben für die privaten Altersvorsorgekonten wird ein Teil davon die Nachfrage nach Aktien wie auch nach Unternehmensanleihen steigern, wodurch deren Kurse tendenziell höher sein werden, als es ohne eine solche Rentenreform der Fall wäre, zumindest in der Zeit, in der hauptsächlich die privaten Altersvorsorgekonten gefüllt werden. Wenn die Auszahlungsphase der ersten Rentner beginnt, die in solche Konten eingezahlt haben, wird sich dieser Effekt teilweise wieder auflösen. Auch in Staatsanleihen wird investiert werden. Allerdings ist aufgrund der aus der staatlichen Rentenversicherung abgezogenen privaten Beiträge der Finanzierungsbedarf des Staates höher. Es werden also mehr Staatsanleihen begeben als ohne Rentenreform. Da nicht alle privaten Beiträge in Staatsanleihen fließen werden, wird eine solche Reform also eher ein höheres Angebot und damit niedrigere Kurse bei Staatsanleihen zur Folge haben, die Zinsen werden also tendenziell steigen. Wie die Vorgaben für die privaten Konten gestaltet werden, ist noch unsicher. Das CBO geht in seinen Schätzungen davon aus, dass die Hälfte dieser Beiträge in Aktientitel fließt, 20 % in Staatsanleihen und 30 % in Unternehmensanleihen. Jüngste Verlautbarungen aus Regierungskreisen lassen darauf schließen, dass die Aktienquote bei diesen privaten Altersvorsorgekonten mit steigendem Alter des Sparers sinken soll, sodass langsam Risiko aus seinem Portfolio herausgenommen wird.

Fazit: Keine Notwendigkeit für eine radikale Rentenreform

13. Aus makroökonomischer Sicht ist eine teilweise Privatisierung der staatlichen Rente zwar nicht abzulehnen, sie ist jedoch für eine dauerhafte Finanzierbarkeit der Renten nicht dringend erforderlich. Der Vorschlag von Diamond und Orszag demonstriert, dass moderate Beitragserhöhungen und Leistungskürzungen eine langfristige Finanzierbarkeit der Renten durchaus gewährleisten können. Zudem kommt schon ein großer Teil der Altersbezüge in den USA aus privaten Quellen, insbesondere der betrieblichen Altersvorsorge. Womöglich das stärkste Argument gegen eine Teilprivatisierung der staatlichen Rentenversicherung ist jedoch, dass damit ihr eigentlicher Zweck, die Vermeidung bzw. Linderung von Altersarmut, mit den dann nur noch garantierten niedrigen Leistungsniveaus nicht mehr befriedigend erfüllt wird.

14. Wenn nun, wie es zu erwarten ist, dennoch eine Teilprivatisierung stattfinden soll und diese aus den derzeitigen Beiträgen zur social security finanziert werden soll, so ist im Sinne einer soliden Haushaltsführung zu fordern, dass der Anteil des abgezweigten Beitrags möglichst niedrig ist. Eine Lösung nach Maßgabe des Bipartisan Retirement Security Act wäre demzufolge dem Plan 2 vorzuziehen. Begleitet werden sollte die eine wie die andere Art der Reform von einer weiteren Förderung des privaten Sparens. Denn eine Kürzung der Renten wird auf jeden Fall stattfinden. Eine solche Förderung könnte z.B. über die Steuerbefreiung von Kapitaleinkünften oder die Absetzbarkeit von Ersparnissen von der Einkommensteuer geschehen.

15. Mit seiner Rede zur Lage der Nation am 2. Februar 2005 hat Bush noch einmal die wichtigsten Leitplanken für die Reform vorgegeben. Demzufolge ist sein Ziel, bei der Reform eine Mischung aus einer Begrenzung der Leistungen für die oberen Einkommensklassen, einem Übergang von einer Lohnindexierung zur Preisindexierung der Renten, einer Erhöhung des Renteneintrittsalters, einer Erhöhung der Abschläge von der Rente bei frühzeitigem Renteneintritt und einer Veränderung der Rentenformel zu finden, die konsensfähig ist. Nicht aufgezählt hat er die Möglichkeit einer Erhöhung der Versicherungsbeiträge. Zudem besteht er darauf, dass eine teilweise Privatisierung der staatlichen Rente ein Element der Reform sein soll. Eine weitere Bemerkung in seiner Rede lässt auf eine kurz- bis mittelfristig stärkere Belastung des Haushalts der social security und damit auch des staatlichen Budgets schließen, nämlich das Versprechen, dass für alle Menschen ab einem Alter von 55 Jahren keine Änderungen der Rentenansprüche stattfinden werden. Damit bleiben die Ansprüche für die nächsten zehn Jahre so hoch wie jetzt, aber die Einzahlungen in die social security werden durch eine Reform langsam zurückgehen, wenn ein Teil der Beiträge auf die privaten Altersvorsorgekonten fließt. Sollte also Bush eine Rentenreform nach seinen Vorstellungen durchziehen, so ist damit zu rechnen, dass die Haushaltsdefizite in den kommenden Jahren eher noch höher ausfallen als bisher gedacht - eine Haushaltskonsolidierung rückt damit in noch weitere Ferne.

Quelle: DekaBank

Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von rund 130 Mrd. Euro gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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