Analyse
23:56 Uhr, 17.06.2016

US-Indizes - Das Ende der Glaubwürdigkeit

Brexit macht die Märkte nervös. Bullard vollzieht spektakuläre Kehrtwende. Fed mit Glaubwürdigkeitsproblemen.

Erwähnte Instrumente

  • Dow Jones
    ISIN: US2605661048Kopiert
    Kursstand: 17.675,16 Pkt (NYSE) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
  • Dow Jones - WKN: 969420 - ISIN: US2605661048 - Kurs: 17.675,16 Pkt (NYSE)

Amerikanische Aktien beschlossen heute eine denkwürdige Woche bei relativer nachrichtenarmut im Minus (Dow Jones -0,33 %, S&P 500  -0,33 %, NASDAQ 100 -1,13 %). Apple kam am Freitag aufgrund von Berichten, dass ein Patentstreit in China den Verkauf des iPhone 6 blockieren könnte, stark unter Beschuss und ging mit einem Saldo von -2,28 % ins Wochenende. Mit Alphabet (-2,67 %) kam ein weiteres Tech-Schwergewicht arg unter die Räder – Übeltäter: Negative Einlassungen von Citi.

Als Retter in höchster Not für Aktien entpuppte sich heute der Energiesektor (XLE + 0,99 %), der vom haussierenden Ölpreis profitieren konnte. Trotz einer steigenden Zahl von Bohranlagen in den USA (+9) konnte WTI heute aufgrund eines schwächeren Dollars rund 4 % zulegen.

Die Renditen von US-Anleihen lösten sich von ihren gestrigen Rekordtiefs und legten bei einer sich ansteilenden Zinskurve zwischen 1 (2 Jahre) und 4 Punkte (10 Jahre) zu – der traurige Hintergrund für dieses (und andere) Reversal ist bekannt..

Der Tag an der Wall Street

Haken wir zuerst die Kleinigkeiten ab, bevor wir uns den zwei Großthemen der Woche widmen:

Die Zahl der Baubeginne in den USA ist im Mai zum Vormonat um 0,26 % auf 1,1164 Mio gesunken (erwartet wurden 1,15 Mio). Der weiterhin hohe Anteil von 5-Unit-Komplexen ist seit der Finanzkrise nichts Ungewöhnliches und bedarf keiner Thematisierung.

Baugenehmigungen sind im Mai im Monatsvergleich um 0,7 % auf 1,38 Mio gestiegen und übertrafen damit die Erwartungen von 1,15 Mio.

Die New York Fed senkt die Prognose für das Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal von 2,4 % auf 2,1 %.

Großthema Brexit

JPMorgan hat einen Tag nach dem tragischen Tod von Jo Cox eine neue Analyse veröffentlicht, nach der die Brexit-Anhänger derzeit einen Vorsprung von 3-5 Prozentpunkten haben könnten. Anders als bei vergleichbaren Abstimmungen (z.B. Referendum Schottland) ist kurz vor dem Stichtag diesmal kein typischer Umschwung in Richtung Status Quo zu beobachten.

Morgan Stanley rechnet bei einem Ausstieg der Briten mit einem Einbruch der Euro-Aktien zwischen 15 und 35 %.

Laut einer exklusiven Umfrage der USA Today hat die Zahl der EU-Befürworter in Großbritannien nach dem Tod von Jo Cox überraschenderweise abgenommen. Während die Zahl der Brexit-Anhänger stabil bei 52 % verharrt, wechselten seit gestern überraschenderweise viele Menschen vom Pro-EU-Camp ins Lager der Unentschlossenen. Wie viel Glaubwürdigkeit diesen, von einem Londoner Start-Up erhobenen Daten beigemessen werden kann, ist eher zweifelhaft.

Großthema Zinsen

Der Präsident der St. Louis Fed, James Bullard (voting member), machte heute mit der Aussage Schlagzeilen, dass er bis 2018 nur noch einen Zinsschritt für angemessen hält und nicht länger in der Lage ist eine Prognose zu der langfristigen Zinsentwicklung abgeben zu können. Kontext: Im Januar ging Bullard noch von vier (!) Zinsschritten aus, und warnte im März gar von „zerstörerischen Konsequenzen“, sollten die Zinsen weiterhin niedrig bleiben.

Gleich wie seine Chefin nur wenige Tage zuvor, scheint der typischerweise „hawkishe“ aber oft wankelmütige Notenbanker damit endgültig und spektakulär öffentlichkeitswirksam vor der Realität kapituliert zu haben (bemerkenswerterweise diesmal ohne den obligatorischen Bullard-Move der Märkte).

Rückblick: Niemand hatte am Mittwoch mit einem Zinsschritt gerechnet, aber was Janet Yellen danach in der Pressekonferenz in einer selbst für ihre Verhältnisse höchst verschwurbelten Weise von sich gab, kann (muss?) als ein historisches Eingeständnis von absoluter Hilflosigkeit eingestuft werden.

Immer wieder verwies Yellen bei ihren Antworten auf den natürlichen Zins, der scheinbar weiterhin irgendwo bei 0 % dümpelt, brachte die "neue Normalität" einer alternden Welt ohne Produktivitätswachstum aber statt dessen mit dauerhaften Niedrigzinsen ins Spiel, und benutzte insgesamt ganze 11 Mal das Wort „Unsicherheit“. Mit den von Yellen oft gepredigten temporären Gegenwinden hat das alles nichts mehr zu tun, man kann die Resignation mit Fingern greifen.

Exemplarisch für das Kommunikationsdesaster sei das Transkript der Antwort auf eine Frage von Jon Hilsenrath eingefügt:

Hilsenrath: Do these yield levels give you any uncertainty? Any doubt about whether are you going to be able to get rates to where projections say they're going?

Yellen: Well, so I want to say again, we're quite uncertain about where rates are heading in the longer term. We write down our best estimates at this time of what is a longer run normal level of the federal funds rate. And those are numbers about which there is great uncertainty. As I said, we have good reason to believe that the so-called neutral rate or rate compatible with the economy operating at full employment is low with the present time. And many of us believe as a base case, it's reasonable to assume that those rates will move up over time, but we're not certain of that. It is, it's one of the uncertainties that - and there could be revisions in either direction - but thus far, in recent SCPs, I'd say, the revisions have mainly been, have been in the downward direction. The idea that a low neutral rate may be more--closer to the new normal, but you still do see some reversion. So, we're really quite uncertain about that.

Ist die Fed drauf und dran ihr wichtigstes Kapital, nämlich ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren? So jedenfalls sehen keine Gewinner aus, sondern viel eher eine Notenbank, welcher die Kontrolle entgleitet.

Müsste man einem auf der Erde landenden Marsmenschen die Situation anhand von nur einem Chart illustrieren, böte sich der Blick auf die Rendite von US-Anleihen an: Auch mehrere Jahre nach der Finanzkrise wollen die Zinsen einfach nicht steigen und will die Inflation nicht kommen.

US-Indizes-Das-Ende-der-Glaubwürdigkeit-Chartanalyse-Simon-Hauser-GodmodeTrader.de-1

Die rote Linie zeigt zusätzlich den Flow von ausländischen Geldern in den Treasury-Komplex an und macht fairerweise deutlich, dass nicht nur die Fed ein Glaubwürdigkeitsproblem hat, sondern dass auch EZB und BoJ mit ihrer wirkungslosen Geldpolitik Schuld an der verzweifelten Situation tragen und für die Kapitalflucht in die USA direkt mit verantwortlich sind (siehe die negativen Renditen bei Bunds und JGBs).

Ausblick

Die nächste Woche hat Potential in die Geschichte einzugehen: Am Dienstag und Mittwoch wird Janet Yellen dem US-Kongress Rede und Antwort stehen, bevor dann am Donnerstag per Brexit-Referendum das weitere Schicksal der EU besiegelt wird.

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6 Kommentare

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  • netzadler
    netzadler

    nach der BREXIT Abstimmung ist vor der BREXIT Abstimmung.

    Durch eine Abstimmung wird ja die Ursache der Abstimmung nicht beseitigt.

    BREXIT wird am donnerstag nicht kommen, das dürfte klar sein. ich beginne heute langsam mit einstiegen in short posis und lege dann am freitag nach. EU hat ein großes exportproblem bei non-EU. da in dem Bereich noch einiges an Produktivität liegt, dürfte das für die cash flows nicht so gut aussehen, das dürfte insbesondere deutschland treffen. aus dem Maschinenbau und von den automobilzulieferern hört man in letzter zeit nix gutes mehr

    der fokus wird nächste woche auch wieder nach China und in die USA wandern.

    11:40 Uhr, 20.06.2016
  • Investor
    Investor

    Die FED sitzt in der QE Falle:

    Sinkende Unternehmensgewinne wegen zu starkem USD wegen Zinserhöhung

    vs fallenden treasury Preisen bei einer Zinswende

    Die wichtigste Nachricht von JY war, die Inflation steigt, aber wir können die Zinsen nicht erhöhen. Sie hat zumindest QE Falle erkannt. Da parallel die Staatsverschuldung steigt, kann Sie die Zinsen nur erhöhen, wenn Ausländer die treasuries kaufen. Dies geht nur, solange Japan, China und Europa abwerten. Dadurch sinken aber die Gewinne der Unternehmen.

    Letztlich wird sich diese divergenz auflösen müssen .....

    @Weißer Ritter,

    Geldpolitik kann Wirtschaft nur Steuern, wenn die Wirtschaft einigermaßen stabil ist. Unter einem Leitzins von ca 3% verliert Geldpolitik seine Wirkung (zumindest meinte dies M. Friedmann).

    Heute haben wir Überangebot: Zu viele Arbeitskräfte, nicht ausgelastete Fabriken, zu viel Geld, zu hohe Rohstoffproduktion.

    Dies kann nur entweder durch Fabrikschliessungen (Angebotskürzungen, Pleiten) oder durch steigende Nachfrage (bzw beides) gelöst.

    Da viele Minenunternehmen ihr Angebot bereinigt haben, könnten die Rohstoffe einen Boden bilden. Wenn dies passiert, kommt Inflation ins System, die nur schwer kontrollierbar ist.

    11:05 Uhr, 20.06.2016
  • plungeboy
    plungeboy

    Der Startschuss für eine kommende $-Krise ist längst gefallen!

    07:44 Uhr, 20.06.2016
  • LAMBO_BABY
    LAMBO_BABY

    Es wird spannend nächste Woche, anschnallen, einhebeln und Gewinn machen (oder Totalverlust) :-)))) Kamikaze Trading at it's Best das ist der BREXIT,..

    Wenn Brexit klappt kommen ´übrigens gleich die nächsten: rechte Kräfte in Austria streben ein ÖXIT an :))) es wird spannend 2016/2017!

    13:19 Uhr, 19.06.2016
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Die Zentralbankgläubigen dieser Welt sollten sich die FED-Sitzung vom 15.6.16 sehr gut merken, den sie bedeutet nichts anderes als eine gewaltige Zäsur im Hinblick auf das seit Jahren von der FED aufgeführte Zinserhöhungsmärchen.

    The New Normal Is Zero...........


    Diese Aussage von FED-Chair Yellen darf man sich als bekennender FED-Skeptiker genüsslich auf der Zunge zergehen lassen, denn sie ist letztlich der Offenbarungseid einer komplett gescheiterten Zentralbankpolitik.


    John Sixpack und Otto Normalverbraucher haben am Mittwochabend wahrscheinlich gegrübelt, wie denn diese Neuigkeiten von Mrs. Janet nun einzuordnen sind, denn die Worthülsen der Zentralbanker erschließen sich dem gemeinen Steuerzahler selten auf den ersten Blick und das ist Absicht, tarnen und täuschen wird nicht nur bei den Militärs angewendet


    Umgangssprachlich treffender darf man den Yellen-Auftritt folgendermaßen skizzieren:


    . Der Kaiser ist nackt, die Flasche leer und die FED hat fertig....


    Na ja, vielleicht noch nicht ganz fertig. Draghobert, Yellen und Kuroda werden das Kuriositätenkabinett erst dann fluchtartig verlassen, wenn die Flammen aus dem Dach schlagen. Bis es soweit ist, präsentieren uns die Magiere des Zentralbankwesens bestimmt noch voller Stolz und Überzeugungskraft ihre wenigen verbliebenen Zaubertricks. Wir sitzen alle in der ersten Reihe und dummerweise sind wir nicht nur Zuschauer sondern auch unfreiwillige Mitspieler.


    11:02 Uhr, 18.06.2016
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Über den Experten

Simon Hauser
Simon Hauser
Redakteur

Simon Hauser hält für Guidants News die Stellung in North Carolina und sendet aus sicherer Entfernung zur Wall Street Echtzeitnachrichten in die Welt. Leider spielen die Kennzahlen der Wirtschaftsteilnehmer oft nur eine untergeordnete Rolle und werden dominiert von einem hysterischen Medienzirkus, punktundkommalosem Zentralbank-Blubber, und mysteriösen Algo-Kreaturen. Simon Hauser hat über die Jahre als aktiver Börsenteilnehmer ein krudes Interesse für diese Dinge, welche in einer perfekten Welt eigentlich keine Rolle spielen sollten entwickelt, und versucht (mit wechselndem Erfolg) zu ergründen was die Kurse wirklich treibt.

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