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08:14 Uhr, 29.10.2019

Türkei: Ist der Aufschwung durch den Syrien-Konflikt gefährdet?

Die Türkei braucht einen konstanten Zufluss von US-Dollar, um ihre Schulden weiter zu refinanzieren. Daher sind Jupiter-Fondsmanager Reza Karim zufolge sowohl die Währung als auch die gesamte Wirtschaft verwundbar.

London (GodmodeTrader.de) - Bis vor kurzem schien es der Türkei entgegen allen Erwartungen wieder gut zu gehen. Die Inflation war von 25 Prozent im vergangenen Jahr auf neun Prozent zurückgegangen. Die Zentralbank hatte es zudem geschafft, die Zinsen um 750 Basispunkte zu senken, was den schuldengetriebenen Wachstumsmotor des Landes wieder in Gang brachte, wie Reza Karim, Assistant Fund Manager bei Jupiter Asset Management, in einem Marktkommentar schreibt.

Die Regierung habe gleichzeitig Maßnahmen getroffen, um den Zustand des Bankensystems zu verbessern. Infolgedessen seien die Investitionen wieder angezogen und die türkische Unternehmensverschuldung sei auf etwa 13 Prozent zurückgegangen. Die Inflationsrate liege wieder auf dem Niveau von vor der Krise im vergangenen Jahr, heißt es weiter.

„Dann kehrte sich die Situation erneut um. Das Verhältnis zwischen der Türkei, den USA und den Kurden ist kompliziert. Die USA sind mit der Türkei verbündet und nutzten die Kurden, um den sogenannten Islamischen Staat (IS) zu bekämpfen. Die Türkei betrachtet sowohl die Kurden als auch die IS als Feinde, und jetzt, da die Bedrohung durch den IS größtenteils verschwunden ist, bekämpft die Türkei die Kurden in Syrien“, so Karim.

Damit befänden sich die USA in einer unangenehmen Lage. Sie hätten versucht, sich aus Syrien zurückzuziehen, denn Truppen vor Ort seien innenpolitisch äußerst unpopulär. Das habe der Türkei den Raum eröffnet, in Syrien zu agieren. Die Schwierigkeit bestehe darin, dass die USA in eine Lage gebracht würden, in der sie sich auf die Seite eines wichtigen strategischen Verbündeten in einem Konflikt mit einem anderen stellen müssten. Es gebe keine einfache Option für die USA, und die US-Regierung scheine sich selber nicht sicher zu sein, was nun zu tun sei. Das Land habe zuletzt mit umfassenden Sanktionen gedroht, die sich tatsächlich aber als recht überschaubar erwiesen hätten, heißt es weiter.

„Die türkische Währung reagierte angesichts der Inkonsistenz der US-Politik ziemlich stabil. Seit neun Jahren beschäftigen wir uns mit türkischen Anleihen und seitdem bestand immer die Angst, dass das Land große Probleme bekommt. Diese Befürchtungen werden durch die Auslandsverschuldung der Türkei von 450 Milliarden US-Dollar, die kurzfristige Verschuldung von 126 Milliarden US-Dollar und die Nettoauslandsverbindlichkeiten von 340 Milliarden US-Dollar untermauert. Das sind sehr große Zahlen für ein Land, das in der Regel ein Leistungsbilanzdefizit aufweist. Die Türkei braucht einen konstanten Zufluss von US-Dollar, um ihre Schulden weiter zu refinanzieren. Daher sind sowohl die Währung als auch die gesamte Wirtschaft verwundbar“, so Karim.

Der Punkt sei, dass die Türkei trotz dieser Zahlen geostrategisch sehr wichtig sei. Es sei das Tor zu Europa, wodurch die Verknüpfungen zu europäischen Banken stark seien. Und obwohl die US-Rhetorik oft dagegen wettere, bleibt dies zahnlos, weil die USA nicht wollten, dass die Türkei stattdessen eine Partnerschaft mit Russland eingehe. Viele Großmächte hätten ihre Verbindung zur Türkei und ein Interesse daran, dass das Land lebensfähig bleibe, heißt es abschließend.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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