Kommentar
11:32 Uhr, 03.03.2021

Top-Ökonom macht Anlegern Angst: Gibt es gar keine aufgestaute Nachfrage?

Das Ende der Pandemie kommt immer näher. Aktien-Anleger erwarten einen historischen Wirtschaftsboom. Ein Top-Ökonom sieht das ganz anders.

Am Aktienmarkt erkennt man nicht, dass viele Branchen am Boden liegen. Das gilt nicht nur für den Gesamtmarkt, sondern auch für die stark betroffenen Branchen. Airlines verbuchen immer noch Milliardenverluste. Die Kapazitäten sind teils nur zu 20 % ausgelastet. Anleger stört das nicht. Ein Airline-ETF (Kürzel JETS) steht derzeit bei 26 Dollar. Vor dem Crash vor einem Jahr lag der Kurs bei 30. Die Verluste sind wieder fast vollständig wettgemacht. Das ist durchaus bemerkenswert, denn Airlines verbrennen nach wie vor viel Geld und werden das auch noch für lange Zeit tun. Vor Sommer 2022 oder sogar erst 2023 werden viele Airlines keine Gewinne schreiben. Darüber hinaus haben sie sich stark verschulden müssen, um den Bankrott abzuwenden. Dividenden und Aktienrückkäufe wird es lange nicht geben. Airlines sind wegen hoher Schuldenlast und unsicherer Nachfrage vermutlich erst Mitte des Jahrzehnts wieder in ähnlich guter Verfassung wie vor Krisenbeginn. Trotzdem werden die Aktien schon jetzt wieder wie in Vorkrisenzeiten bewertet.

Das lässt sich dadurch erklären, dass Anleger Licht am Ende des Tunnels sehen und ab Sommer einen Boom erwarten. Die Erwartung ist ganz klar: Sobald ein Großteil der Bevölkerung geimpft ist, wird konsumiert wie nie. Es hat sich viel Nachfrage aufgestaut, weil Menschen schlichtweg nicht konsumieren konnten. Können bzw. dürfen sie erst wieder konsumieren, brechen alle Dämme und es kommt zu einem Boom wie wir ihn seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben.

Bei diesen Erwartungen versteht man, dass die Kurse weit oben sind. Ein Top-Ökonom zerschlägt die Hoffnungen nun. Stephen Roach (ehemaliger Chefökonom von Morgan Stanley) bringt einen eigentlich offensichtlichen Punkt auf, den nur niemand wahrhaben will. Er zweifelt an, dass es diese aufgestaute Nachfrage überhaupt gibt.

Ein Nachfrageschub erscheint wahrscheinlich, weil es logisch klingt. Darf man erst wieder ins Restaurant, nachdem man monatelang verzichten musste, können sich die Restaurants vor Nachfrage gar nicht mehr retten. So die Theorie und die Erwartung von Anlegern.

Praktisch sieht es anders aus. Der Güterkonsum steht nicht vor einem Boom, sondern vermutlich eher vor einer Rezession. Aktuell liegt das Wachstum bei langlebigen Gütern wie Maschinen, Autos, Computern usw. bei fast 20 % (Grafik 1). Höher war der Wert zuletzt in den 70er Jahren und der ersten Hälfte der 80er Jahre. Damals war die Inflation jedoch sehr viel höher. Real, nach Inflation, ist es das höchste gemessene Wachstum seit mindestens 60 Jahren. Die Frage, was da noch boomen soll, ist absolut berechtigt. Besser geht es kaum.


Verbrauchsgüter (Güter des täglichen Bedarfs wie Kosmetik, Wachmittel usw.) werden immer benötigt. Es gibt daher in Rezessionen geringere Rückgänge und im Aufschwung auch kein überproportionales Wachstum. Ein Boom ist unwahrscheinlich.

Soll es einen Boom geben, muss dieser bei Dienstleistungen stattfinden. Hier besteht noch eine Lücke zum Vorkrisenniveau (Grafik 3). In den USA (abgebildet) ist die Lücke weniger stark ausgeprägt als in Europa. Die USA hatten größtenteils weniger strikte Lockdowns. Der Nachholeffekt ist daher grundsätzlich geringer.


Das größte Problem für einen Dienstleistungsboom ist aber Kapazität. Ein Restaurant hat nun einmal nur begrenzte Kapazitäten. Da kann die Nachfrage noch so groß sein. Sollte es zu einem Nachfrageschub kommen, steigen die Preise. Darüber hinaus dürfte sich wenig tun.

Roach stellt aber selbst das in Frage. Konsumenten dürften auch nach der Impfaktion vorsichtiger bleiben, zumal immer neue Virusvarianten eine Folgeimpfung immer wahrscheinlicher machen. Der Boom, den alle erwarten, könnte ausfallen. Wenn das eintritt, gibt es großen Korrekturbedarf am Aktienmarkt. Sicher ist das jedoch nicht. So sieht der frühere Bundesbankchef Axel Weber die Sache ganz anders. Mehr dazu in Kürze.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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