Kommentar
06:53 Uhr, 15.09.2014

Stürzt Schottland die Welt ins Chaos?

Für die einen ist es ein Triumph, für die anderen einfach nur dumm. Die Unabhängigkeit würde viele Probleme mit sich bringen, keine Frage. Wie viele, darüber scheiden sich allerdings die Geister

Inzwischen greifen Kritiker der Unabhängigkeitsbewegung zu rabiaten Mitteln. Letzter Streich ist Zweifel an der geistigen Gesundheit der Schotten. Es wird behauptet, die intellektuelle und wirtschaftliche Entwicklung wäre jener Englands nie voraus gewesen. Schottland wäre England immer nur gefolgt und hätte seine heutige Größe nur durch die Union erreicht. Ob da etwas dran ist, sei dahingestellt. Es ist jedenfalls ein ziemlich harsches Argument, fast schon beleidigend – und heute mit dem Jahr 1707 zu vergleichen, als die Union geschlossen wurde, ist zweifelhaft. Seitdem dürfte sich gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich doch das eine oder andere geändert haben.


Öl: wie lange reicht es noch?

Schottland ist reich an Ölvorkommen. Undenkbar, dass London das ohne Kampf aufgibt. Gleichzeitig sind die Vorkommen nicht unerschöpflich. Die jährliche Förderung ist rückläufig und in 10 Jahren dürfte nicht mehr viel übrig sein. Das ist der aktuelle Stand der Dinge. Man darf allerdings nicht vergessen, dass der Status Quo nicht ausschließt, dass in Zukunft nicht weitere Vorkommen entdeckt werden. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es noch überall auf der Welt große Vorkommen gibt. Von Peak Oil ist keine Spur mehr. Im Gegenteil, die Förderung steigt weltweit und die Vorräte sind nach wie vor gigantisch.

Schottland muss nicht unbedingt das Glück haben neue Vorkommen zu entdecken. Das ist auch gar nicht notwendig. Als eigenständiger Staat könnte Schottland grundsätzlich tun, was es will und Fracking Technologie nutzen. Es wird geschätzt, dass die Menge an Öl, welche die Nordsee hergibt, durch Fracking verdoppelt werden könnte. Öl kann, theoretisch zumindest, noch sehr lange fließen.

Hierin liegt schon das erste große Konfliktpotential. Welche Gewässer gehören eindeutig Schottland und welche England? Es gibt ein grundsätzliches Abkommen, wo die Seegrenze verläuft. Bei Unabhängigkeit kann man allerdings die Minuten zählen, bis hier erste neue Besitzansprüche formuliert werden.

England droht

England versucht momentan eine „Zuckerbrot und Peitsche“ Strategie, um Schottland in der Union zu halten. Einerseits wird mehr Souveränität versprochen und Steuergeschenke angekündigt. Anderseits wird gedroht, falls sich die Schotten gegen die Union entscheiden. Eine gemeinsame Währung könne es nicht geben. Londons Politiker sehen die Unabhängigkeit als Scheidung im Streit und mit dem geschiedenen Ehepartner teile man ja auch kein Konto.

Das Pfund wertet seit zwei Wochen ab. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen ist es die Unsicherheit darüber, was am 18. September passiert. Zum anderen wäre ein Schottland, welches die Währung einfach weiterbenutzt, eine gewisse Wild Card. Wer weiß schon, was die Schotten anstellen und wie das die Währung letztlich schwächen könnte?

Schottland bräuchte seine eigene Währung. Soviel haben die Engländer deutlich gemacht. Das ist langfristig vielleicht kein Problem, kurzfristig allerdings schon. In wenigen Wochen lässt sich nicht so einfach eine eigene Währung aus dem Boden stampfen. Die dazugehörige Infrastruktur muss erst geschaffen werden. Das braucht Zeit. Zudem ist unklar, wie die Währung aufgenommen wird. Schottland ist ein entwickeltes Land. Die Unabhängigkeit kostet allerdings viel Geld, schließlich lautet das Versprechen, dass es den Schotten ohne England mindestens genauso gut gehen wird wie jetzt. Staatsausgaben dürften deutlich ansteigen und damit auch die Verschuldung. Kritiker beschwören mit diesen Argumenten bereits das Ende einer Währung heraus, die noch gar nicht existiert. Wer sich die Lage in anderen europäischen Staaten anschaut, der kann eigentlich keinen Zweifel haben, dass eine Staatsverschuldung von 50 Mrd. mehr oder weniger kaum einen Unterschied macht.

Währung, Öl und Schulden sind nicht die einzigen Probleme. Die Unabhängigkeit soll angeblich jeden Schotten 1.400 Pfund im Jahr kosten. Das wären ca. 4,5% des Bruttoinlandsproduktes jedes Jahr. Das ist eine gewaltige Summe. Zweifellos, der Aufbau eigener Verwaltung, Militär usw. kostet. Ob es wirklich so viel ist, darf man durchaus hinterfragen.

Für England wird es auf jeden Fall teuer. Die Schotten würden den Abzug des britischen Militärs fordern. Damit verbunden ist die Verlegung großer Stützpunkte und auch von Nuklearsprengköpfen. Das alles zu verlagern ist kein billiger Spaß.

Schottlands Unabhängigkeit dürfte Unsummen kosten

Die größten Kosten würden entstehen, wenn das restliche Großbritannien zu zerfallen beginnt. In Wales gibt es ebenfalls Unabhängigkeitsbestrebungen. Die Lage in Nordirland dürfte sich wieder deutlich aufheizen. Da kann etwas ins Rollen kommen, was so leicht nicht zu stoppen ist. Wenn Schottland in die Unabhängigkeit gehen darf und kann, was hindert Katalonien, das Baskenland und Galizien, sich von Spanien zu trennen? In Belgien sieht die Lage nicht anders aus. Das Land ist ohnehin seit ewigen Zeiten gespalten.

Wenn wir schon dabei sind: was wäre mit Korsikas Unabhängigkeit von Frankreich und die der Lombardei von Italien. Kommt dieser Stein ins Rollen, dann haben wir ganz andere Probleme als die Ukrainekrise. Die Folgen für den Euro als Währung und die Schuldenkrise kann sich jeder ausmalen.

Man darf sich da wirklich nichts vormachen: Schottlands Unabhängigkeit könnte eine Krise auslösen, gegen die die bisherige Schuldenkrise ein Kindergeburtstag war. Die Betonung liegt hier wirklich auf ´könnte.` Kommt es zur Unabhängigkeit, dann gehe ich trotzdem nicht davon aus, dass sich Europa auflöst. Die Wahrscheinlichkeit liegt im sehr tiefen einstelligen Prozentbereich. Als Mittel, die Schotten trotzdem noch auf Linie zu bringen, ist natürlich keine Horrorszenario zu schade.

Viel schlimmer als ein klares Votum für oder gegen Großbritannien ist ein knappes Ergebnis. Verlieren die Befürworter der Unabhängigkeit mit 49,5%, dann kann man sich ausrechnen, dass sie sich nicht so einfach und endgültig geschlagen geben. Ein monatelanges oder sogar jahrelanges Hin und Her wird beiden Ländern auf jeden Fall schaden.

Als Nebenschauplatz dürfte im übrigen auch die Ukrainekrise nach erfolgreicher Unabhängigkeitserklärung wieder eskalieren. Wie kann Europa Schottland die Unabhängigkeit gestatten und die Abspaltung der Ostukraine verhindern wollen?

4 Kommentare

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  • Löwe30
    Löwe30

    ​Große Umwälzungen führen zunächst oft in ein vorübergehendes Chaos. Das ist aber sehr heilsam. Es ist sozusagen die schöpferische Zerstörung, die eine Fehlentwicklung, nämlich die Zentralisierung von Macht, rückgängig macht. Wir erleben es doch jetzt in Europa, dass Zentralisierung von politischer Macht eben sehr große Nachteile für die Bevölkerung mit sich bringt, wie hohe Arbeitslosigkeit und wachsende Armut in immer mehr Ländern der EU. Die Schreckgespenster, die da jetzt heraufbeschworen werden, erweisen sich bei näherem Hinsehen als nicht vorhanden. Beispielsweise die im Artikel genannten zusätzlichen Kosten für das Militär. Da wird übersehen, dass ja auch jetzt das Militär der Briten für die Schotten nicht kostenlos ist, sondern auch über die Steuern der Schotten mitfinanziert werden muss. Schottland könnte sich ja auch entschließen nur wenig fürs Militär auszugeben, denn wer würde sie denn heute noch angreifen wollen? Sicher kostet die Einführung einer neuen Währung zunächst Geld, das könnte allerdings sich längerfristig als gute Investition herausstellen, wenn man eine solide Haushaltspolitik betreibt und die Währung nicht ständig inflationiert, nützt das den Bürgern in Schottland. Deutschland hat die starke DM ja auch Vorteile gebracht. Deutschland wurde mit dieser starken Währung ja zu einer führenden Wirtschaftsnation in der Welt. Wogegen die Weichwährungsländer viel weniger Wohlstand für die große Mehrheit ihrer Bürger erzeugt haben. Auch ist der Unterschied zwischen Arm und Reich weniger ausgeprägt in einem Währungsraum, der nicht ständig die Währung abwertet. So könnte sich also für die schottische Bevölkerung die Investition in eine eigene Währung längerfristig sehr lohnen. Solche Verwerfungen wie in der EU mit seiner gemeinsamen Währung könnte Schottland dann wohl auch vermeiden.

    Kleinere Einheiten führen auch zu mehr Wettbewerb zwischen den Ländern. Wettbewerb sollte hier von Vorteil sein, so wie er ja auch im Wirtschaftsleben von Vorteil ist. Die Einschränkung von Wettbewerb, schön geredet als "Harmonisierung", hat doch in der EU zu nichts Gutem für die Menschen geführt. Lediglich zu überbordender Bürokratie und Machtkonzentration mit weniger Demokratie.

    Fazit: Ein unabhängiges Schottland würde eine jahrzehntelange politische Fehlentwicklung beenden und wäre ein Segen für die Menschen in ganz Europa, wenn das Beispiel Schottland hier Schule macht. Es ist gut, dass Menschen mehr Eigenständigkeit fordern. Das dies den Mächtigen nicht passt, ist verständlich. Sie werden alles daran setzen den Menschen Angst vor der Unabhängigkeit zu machen. Die Propagandaschlacht läuft ja bereits auf vollen Touren, wie auch der Artikel von Clemens Schmale deutlich macht.

    09:25 Uhr, 15.09.2014
  • Daniel Kühn
    Daniel Kühn

    ​Zu Clemens Verteidigung muss ich gestehen, dass ich seine Überschriften immer etwas anspitze :)

    08:32 Uhr, 15.09.2014
    1 Antwort anzeigen
  • Protheus
    Protheus

    Nach der Überschrift frage ich mich zwei Dinge:

    1.) Soll ich den Artikel überhaupt lesen?

    2.) Ist das wirklich der Herr Schmale, der mich mit einer so hyperbolischen Überschrift locken möchte?


    07:49 Uhr, 15.09.2014

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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