Kommentar
14:43 Uhr, 02.07.2008

Steigende Nahrungsmittelpreise - Einfluss von Energiekosten höher als Preisentwicklung von Agrarrohstoffen

1. Der Rohölpreis eilt derzeit von einem Rekordhoch zum nächsten. Agrarrohstoffe wie beispielsweise Weizen haben sich im Jahresvergleich fast verdoppelt. Die Nahrungsmittelpreise als Teil der Verbraucherpreisindizes in der Europäischen Union und in den USA zogen zwar im Vergleich hierzu deutlich schwächer an und notieren im Vorjahresvergleich etwa 6 % höher. Dennoch liegen die Gesamtinflationsraten deutlich jenseits des üblicherweise von Zentralbanken tolerierten Bereichs. Was erwartet den Verbraucher und die Notenbanken in naher Zukunft mit Blick auf die Nahrungsmittelpreisentwicklung? In der vorliegenden Analyse werden die Einflüsse von Agrarrohstoff- und Energiepreisen auf die Nahrungsmittelverbraucherpreise quantifiziert und ein Ausblick gegeben.1 Es zeigt sich, dass der unmittelbare Effekt von steigenden Agrarrohstoffpreisen auf die Nahrungsmittelpreise relativ klein ist und zudem mitunter geringer ist als derjenige von steigenden Energiepreisen.

2. Auch wenn das Gewicht der Nahrungsmittelausgaben am Gesamtkonsum in der Europäischen Union wie auch in den USA tendenziell gering ist, haben die Nahrungsmittelpreise aufgrund ihrer hohen Volatilität einen maßgeblichen Einfluss auf die Gesamtinflationsraten. Der Teilindex für Nahrungsmittel in der Europäischen Union trägt etwa 15 % zum gesamten Verbraucherpreisindex HVPI bei. Die Teilkomponente „Food-at-Home“ macht knapp 8% am US-amerikanischen Verbraucherpreisindex aus. Trotz dieser geringen Gewichtung führen die deutlichen Anstiege der Energie- und Nahrungsmittelpreise derzeit zu beunruhigend hohen Gesamtinflationsraten. Für weniger entwickelte Länder sind die Nahrungsmittelpreisanstiege noch ein weit größeres Problem: Dort beträgt der Anteil an Ausgaben für Nahrungsmittel am Gesamteinkommen nach einer Aufstellung der OECD bis zu 70 Prozent und steigende Nahrungsmittelpreise sind – im Vergleich zu den Industrieländern – deutlich problematischer.

3. Sowohl in den USA als auch in der EU zeigt sich, dass Energiekosten einen erheblichen Einfluss auf die Nahrungsmittelpreisentwicklung haben, der zum Teil sogar stärker ist als der Effekt der Agrarrohstoffpreise. Das Ergebnis überrascht: Nahrungsmittelpreise für den Endverbraucher werden nur in geringem Ausmaß von den Preisen der zugehörigen Agrarrohstoffe beeinflusst. Viel entscheidender ist auch bei den Nahrungsmittelpreisen der Einfluss der Energiepreise. Die Werte aus den Abbildungen 3 und 4 lassen sich als Elastizitäten interpretieren: Steigt beispielsweise der Weltmarktpreis von Weizen um 100 %, führt dies zu einem Anstieg der Inflationsrate in den Ländern der Europäischen Union für Brot- und Getreideprodukte um 3,5 Prozentpunkte. Eine Verdopplung der Energiepreise führt sogar zu einer Erhöhung dieser HVPITeilkomponente um 7,5 Prozentpunkte. Diese Werte legen auch nahe, warum sich europäische und amerikanische Konsumenten von steigenden Agrarrohstoffpreisen relativ unbeeindruckt zeigen. Der Agrarrohstoffpreisanteil am Nahrungsmittel-Endprodukt, wie es im Einzelhandel verkauft wird, ist mit durchschnittlich 19 % verhältnismäßig gering.

Dies liegt insbesondere daran, dass hauptsächlich verarbeitete Nahrungsmittel konsumiert werden, bei denen der Zubereitungsprozess, das Verpacken und der Transport deutlich mehr am Gesamtwert ausmachen als der Rohstoffanteil. Ebenfalls beim Schätzen dieser Komponenten berücksichtigt wurden die Arbeitsstückkosten, die mit ca. 40 Prozent den größten Anteil an den Nahrungsmittelkosten ausmachen (siehe Abbildung 5), jedoch deutlich weniger volatil sind. Angesichts der spezifischen Fragestellung nach den Auswirkungen der Agrarrohstoff- und der Energiepreisentwicklung auf die Nahrungsmittelpreise sollten die Werte nicht für sich genommen, sondern nur in Relation zueinander interpretiert werden: Brot- und Getreideprodukte haben eine relativ geringe Abhängigkeit vom Weltrohstoffpreis für Getreide, weil der Getreideanteil an diesen Produkten mit etwa 6 % besonders klein ist (siehe Abbildung 6). Bei Fleisch- und Milchprodukten schlagen die Agrarrohstoffpreise stärker zu Buche bedingt durch einen höheren Rohstoffanteil am Endprodukt. Der Energieanteil ist aber bei allen höher als der Rohstoffanteil. Die Höhe des Energieanteils ergibt sich aus der Zusammensetzung der Kostenbestandteile, wie sie in Abbildung 5 dargestellt werden: Neben der direkten Energiekomponente schlagen sich Energiekosten auch im Transport, in der Werbung, in Miete und Verpackung nieder. Je höher der Grad der Weiterverarbeitung bei den Nahrungsmitteln, desto größer der Einfluss von Energiepreisen im Vergleich zu den Agrarrohstoffpreisen. Angesichts der wegen Kühlung und geringer Haltbarkeit erhöhten Lagerhaltungs- und Transportkosten, weisen vor allem Fleisch- und Milchprodukte eine höhere Energiepreissensitivität auf als Getreideprodukte.

Die verglichen mit dem Rohstoffanteil am Endprodukt (siehe Abbildung 6) zum Teil geringe Reagibilität gegenüber Agrarrohstoffpreisen kann aber auch mit hohen landwirtschaftlichen Subventionen und der Abschirmung der Agrarmärkte gegenüber dem Weltmarkt erklärt werden. Die von der OECD erhobenen Producer Support Estimates, die den Anteil staatlicher Beihilfen an landwirtschaftlichen Erträgen bemessen und für die EU 32% sowie für die USA 16 % betragen, geben einen Anhaltspunkt, warum Veränderungen der Agrarrohstoffpreise nicht in vollem Umfang auf die Verbraucherpreise durchwirken.

Nicht nur aufgrund des geringen Nahrungsmittelanteils an den Gesamtausgaben, auch angesichts der Art der konsumierten Nahrungsmittel sind entwickelte Länder tendenziell resistenter gegenüber den Preisentwicklungen an den Agrarrohstoffmärkten als Entwicklungsländer: Je höher der Anteil an verarbeiteten Nahrungsmitteln auf dem Speiseplan, desto geringer die Einflüsse der weltweit steigenden Agrarrohstoffpreise auf die Nahrungsmittelverbraucherpreise im Inland.

4. Auf Basis dieser Zusammenhänge lassen sich die Nahrungsmittelverbraucherpreise der letzten Jahre mit unserem einfachen Modell gut erklären. Auch wenn Agrarrohstoffpreise und Energiekosten nicht alle Komponenten, die zur Herstellung von Nahrungsmitteln notwendig sind, abbilden, machen diese beiden Komponenten aufgrund ihrer starken Schwankungen einen Großteil der Preisentwicklung der vergangenen Jahre aus. Die in unserer Analyse ebenfalls berücksichtigten Lohnstückkosten haben zwar erheblichen Anteil am Niveau der Nahrungsmittelpreise, angesichts der geringen Bandbreite der Schwankungen ist ihr Einfluss auf Veränderungen der Preise jedoch sekundär.

5. Die Analyse zeigt auch Zeitverzögerungen zwischen Preisänderungen auf dem Weltmarkt und den Auswirkungen auf die Verbraucherpreise auf. Während Rohstoffpreise relativ schnell, nämlich innerhalb weniger Monate, auf die Verbraucherpreise durchwirken, kommt es bei den Energiepreisen zu deutlichen Verzögerungen von ein bis zwei Jahren. Das mag vor allem daran liegen, dass die Energiekomponente versteckt, in vielen Einzelschritten der Produktion zum Tragen kommt und erst langsam die Produktionskette aufwärts gereicht wird. Während der Nahrungsmittelproduzent die Agrarrohstoffe zentral und unter Berücksichtigung des Weltmarktpreises einkauft, werden viele andere Leistungen wie Transport, Lagerung und Werbung auf Basis längerfristiger Verträge erbracht, in die Preiserhöhungen auf der Energieseite erst mit deutlicher Verzögerung eingebracht werden können.

Der zum Teil erheblich verzögerte Wirkungseffekt von höheren Energiepreisen auf die Nahrungsmittelverbraucherpreise deutet an, dass auch in naher Zukunft mit keiner Entspannung bei den Nahrungsmittelpreisen zu rechnen ist. Insbesondere der starke Anstieg der Energiepreise im vergangenen dreiviertel Jahr wird in den derzeitigen Nahrungsmittelinflationsraten noch nicht reflektiert. Die an den Weltmärkten eingesetzte Entspannung der Agrarrohstoffpreise wird durch die stark gestiegenen Energiepreise in den kommenden Quartalen mehr als kompensiert und für weiter steigende Nahrungsmittelpreise sorgen.

Quelle: DekaBank

Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von mehr als 135 Mrd. Euro und über fünf Millionen betreuten Depots gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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