Kommentar
17:09 Uhr, 09.08.2016

Steigen die Zinsen auf sehr lange Sicht nicht mehr?

Draghi philosophierte im Juni: Die Zinsen müssen heute niedrig sein, damit sie morgen wieder höher stehen können. Wer’s glaubt...

Draghis Aussage macht rein theoretisch Sinn. Das setzt allerdings eine ganze Reihe an Entwicklungen voraus, die heute absolut nicht absehbar sind. Zu diesen Entwicklungen gehört allen voran eine Gesundung des Arbeitsmarktes in Europa.

Der Arbeitsmarkt hat sich in einigen Ländern von der Krise gut erholt. In Deutschland etwa wird die niedrigsten Arbeitslosenquote seit Jahrzehnten ausgewiesen. Das hilft der Inflationsrate allerdings nicht. Es reicht eben nicht, wenn ein Land eine gesunde Wirtschaft hat. Die Inflation kann nur steigen, wenn die Nachfrage hoch genug ist und das Angebot überwiegt.

Die meisten Güter werden nicht mehr in einem Land selbst hergestellt. Viele Güter werden importiert bzw. viele Vorleistungsgüter werden im Ausland hergestellt. Bleiben deren Preise niedrig, dann reicht eine höhere Nachfrage in Deutschland nicht, um die Inflation insgesamt anzuheben.

In einer stark vernetzten und globalisierten Welt muss schon die weltweite Nachfrage anziehen, um Preise nennenswert zu bewegen. Das ist auf absehbare Zeit so gut wie ausgeschlossen. Die Arbeitslosigkeit in der Eurozone und der EU ist nach wie vor hoch. Ein Nachfrageschub ist nicht zu erwarten.

In anderen Regionen der Welt sieht es nicht anders aus. In Japan stagniert der Konsum unterm Strich seit Jahren. In China sind die Überkapazitäten so hoch, dass es viele Jahre dauern wird, bis sie abgebaut sind. Südamerika arbeitet sich noch aus einer tiefen Krise heraus. Insbesondere Brasilien bietet derzeit keine Unterstützung für die globale Nachfrage.

Auf Sicht von mehreren Jahren bleiben die Preise tendenziell stabil. Die Zinsen werden also nicht morgen gleich wieder ansteigen. Das ist nicht nur durch mangelnde Nachfrage und daher niedrige Inflation bedingt, sondern auch durch die hohen Schuldenberge vieler Staaten. Länder wie Italien können bei einem Schuldenstand von 130 % der Wirtschaftsleistung auf Dauer keine höheren Zinsen stemmen.

So verwundert es nicht, dass Investoren an Draghis „morgen“ auch nicht glauben. Die Zinskurven sind der Beweis dafür. Die Grafik zeigt die Zinskurven ausgewählter Länder. Zinsen in der Schweiz sind über sämtliche Laufzeiten negativ oder bei 0 %. Wer in Japan und Deutschland positive Zinsen sucht, der muss bei Anleihen mit Laufzeiten von 15 Jahren und mehr ansteuern.

In Spanien ist die Zinskurve steiler und positive Renditen sind immerhin ab Laufzeiten von 5 Jahren zu finden, doch dafür gibt es für das lange Ende der Zinskurve vergleichsweise wenig. Eine der Anleihen hat eine Laufzeit bis 2066 und notiert bei 2,67 %. Für 50 Jahre Laufzeit ist das wohl kaum risikoadäquat.

Würde Draghis „morgen“ von Investoren für bare Münze genommen, dann müssten die Zinsen am langen Ende höher stehen. Würden Investoren davon ausgehen, dass die Zinsen in 10 Jahren wieder bei 2 % oder 3 % stehen, dann macht es überhaupt keinen Sinn jetzt Zinsen von 0 % zu akzeptieren. Es wäre attraktiver das Geld einfach zu 0 % liegen zu lassen und dann zu investieren, wenn die Zinsen wieder gestiegen sind.
Die Rendite für deutsche Anleihen mit Fälligkeit im Jahr 2046 liegt derzeit 0,34 %. Über die gesamte Laufzeit entspricht das etwa 11 %. Glaubt man nun daran, dass die Zinsen innerhalb der nächsten 20 Jahre wieder auf 2 % steigen, dann macht es mehr Sinn, diese Anleihe erst in 20 Jahren zu kaufen. Liegt die Rendite dann für die restlichen 10 Jahre Laufzeit bei 2 % würde das eine Rendite von gut 20 % generieren. Das ist deutlich mehr als die 11 %, die es aktuell zu verdienen gibt.

Investoren scheinen nicht so recht an höhere Zinsen in der Zukunft zu glauben. Das führt unter anderem zu teils merkwürdigen Phänomenen. Fast alle Zinskurven weisen mehr oder minder stark ausgeprägte Knicks auf. Dabei haben Anleihen mit längerer Laufzeit plötzlich eine niedrigere Rendite als Anleihen mit kürzerer Laufzeit.

Das Phänomen lässt sich erklären, wenn man weiß, um welche Anleihen es sich handelt. Die Anleihen mit längerer Laufzeit und niedrigerer Rendite sind oftmals ältere Anleihen, die noch hohe regelmäßige Zinszahlungen leisten, z.B. einen jährlichen Kupon von 6 %. Investoren ist es lieber regelmäßige Zahlungen zu erhalten, als keine. Für diesen Cashflow sind sie bereit insgesamt noch niedrigere Zinsen zu akzeptieren, wohl in der Hoffnung, dass sie den Kupon wieder investieren und dadurch etwas mehr Rendite erwirtschaften können.

Dieses Vorgehen könnte bald ein Ende finden. Immer mehr neu ausgegebene Anleihen zahlen nur noch minimale Kupons. Viele Staaten liebäugeln auch mehr und mehr damit Nullkuponanleihen auszugeben. In diesem Fall erhält der Investor über die Laufzeit gesehen gar keine Zinszahlungen, sondern nur den Gesamtbetrag am Ende der Laufzeit.

Clemens Schmale

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4 Kommentare

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  • weißnix
    weißnix

    Wieder einmal ein sehr guter Artikel, gute Analyse, plausible Schlüsse.

    10:16 Uhr, 10.08.2016
  • rondollo
    rondollo

    Der Draghi ist ein echter Gangster, wer dem ein Wort glaubt muss geisteskrank sein.

    20:24 Uhr, 09.08.2016
  • bembes
    bembes

    Hallo Herr Schcmale,

    guter Bericht bzw. Analyse. Gibt es bald wieder eine Bund-Future-Analyse ??

    Danke

    18:05 Uhr, 09.08.2016
  • sewiet13
    sewiet13

    Was hat sich geändert (seit Jahren). Nichts. Die Widersprüche sind die selben. Die Macht wird aber weiterhin den regierenden Instanzen gewährt. Wir lassen gewähren und wissen schon jetzt, dass es sich rächen wird. Wer wird es sein und wann wird es sein, dass der Reset

    -Knopf drücken wird?

    17:24 Uhr, 09.08.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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