Kommentar
18:46 Uhr, 08.04.2010

Steht das Wasser bis zum Hals hilft positives Denken

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...deshalb denke nicht an morgen - denk' nur in der Gegenwart, denn denkst du nur auf diese Art, dann hast du Sorgen eingespart! Diese Zeilen aus einem 90er Album der Fantastischen Vier umreißt die aktuelle Situation an den Märkten finde ich doch ganz gut.

In etwas analytischeren Worten würde ich die Lage an der Wall Street in vier Eckpunkten umreißen: überkauft, unermüdlich bullisch, kurzfristig überbewertet und durch steigende langfristige Zinsen belastet. Frei nach Keynes kann der Markt aber länger irrational bleiben, als sie solvent. Das Sentiment ist zwar ungetrübt bullisch, laut dem IIA-Sentiment ist aber noch Platz nach oben. 48,9% der Verfasser von US-Börsenbriefen waren in der IIA-Umfrage vom 7. April bullisch – erst bei 55-60% wird es gefährlich.

Ich beobachte die Umfrage sehr genau, weil sie in der Lage war, bei einem bullischen Anteil von 54,x% Mitte Januar die Korrektur am Aktienmarkt vorherzusagen.

Hinzu kommt, dass der Baranteil der Aktienfonds in den USA auf ein historisches Tief gefallen ist.

Für mich ist das ein Sentiment-Indikator, und nicht ein Indiz dafür, dass dem Aktienmarkt jetzt eigentlich Liquidität fehlen müsste. Denn jede Aktie, die einmal durch einen Börsengang in Umlauf gebracht wurde, befindet sich im BESITZ von irgendjemandem. Die einzige Frage ist, WER diese Aktien hält: Hedgefonds, Aktienfonds, Privatanleger, Pensionskassen und Versicherungen, oder eine andere Einrichtung. Wenn Aktienfonds ihre Positionen abstoßen, erwirbt sie jemand anderes. Wenn Fonds Aktien kaufen, verkauft diese Aktien jemand anderes. Jemand muss die Aktie immer besitzen, und es entspricht – entgegen dem allgemeinen Glauben – nicht der Wahrheit, dass Geld zwischen Barbeständen und dem Aktienmarkt hin und her wandert, so als würde man ein Glas Wasser in ein anderes schütten. Jede Aktie muss sich im Besitz von jemandem befinden, was auch für Anleihen bei festverzinslichen Anlageklassen gilt. Insofern ist der niedrige Baranteil von Aktienfonds kein Indikator für die noch freie Liquidität, sondern lediglich ein Ausdruck der bullischen Stimmung der Fondsmanager.

Über diese Argumentationskette gelangen wir auch zum vierten Einflussfaktor, der die Märkte in den nächsten Monaten beeinflussen wird: Die Zinsentwicklung. Der Barbestand von Investoren, sei es der Berg von Geld, der in Geldmarktfonds geparkt ist oder als Barbestand von Fonds, ist nichts anderes als ein Berg aus Schuldverschreibungen, wovon die meisten kurzfristige Staatspapiere sind. Auch diese Staatspapiere und auch Anleihen müssen von jemandem gehalten werden, bis sie endfällig werden und zurückbezahlt werden. Wenn ein Investor sich entscheidet, seine Cashanteile abzubauen, muss ein anderer Investor gefunden werden, der die Schuldpapiere kauft, was dazu führt, dass der Cashanteil an der Seitenlinie der gleiche bleibt. Gegenwärtig besteht ein Drittel der öffentlich gehaltenen Staatsschulden der USA aus Anleihen mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr, die mit einem Zins von deutlich unter 1% ausgegeben wurden.

Rund 3500 Mrd. Dollar an neuen Schuldscheinen müssen von der US-Regierung in diesem Jahr platziert werden, um bestehende Schulden zu refinanzieren und neue auszugeben. Eine auch nur marginale Steigerung der Zinsen in den USA würde den Haushalt zusätzlich belasten. Steigende Zinsen bedeuten nicht, dass die Aktienmarktrally zwingend vorüber sein muss. Steigende Zinsen sind aber definitiv als Belastungsfaktor anzusehen.

Die Zinsen der zehnjährigen US-Staatsanleihen stiegen nach Ostern um 0,2 auf 4%, fielen dann aber wieder auf 3,85% zurück. Ein Anstieg über 4% könnte dazu führen, dass die Zinsen schnell und kräftig anziehen, was den Gegenwind für die Aktienmärkte erhöhen würde. Ich achte auf ein Zusammenspiel von zwei Faktoren: Die Sentimententwicklung, die noch weiteres Aufwärtspotenzial an den Aktienmärkten vermuten lässt, und die Zinsentwicklung der Zehnjährigen.

Möglicherweise geben diese beiden Indikatoren zeitlich übereinstimmend ein Verkaufssignal, was dann zu einer größeren Korrektur an den Aktienmärkten ankündigen könnte.

Schöne Grüße
Ihr Jochen Stanzl
Chefredakteur Rohstoff-Report.de

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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