Spannung vor EZB-Zinsentscheid
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Weltweit werden Händler in der kommenden Woche mit Spannung nach Bratislava blicken. Denn in der slowakischen Hauptstadt trifft sich am Donnerstag der EZB-Rat zu seiner geldpolitischen Sitzung. Die Märkte rechnen mit einer Leitzinssenkung um 25 Basispunkte. Nach einer Befragung der Nachrichtenagentur Reuters erwartet eine knappe Mehrheit der befragten Volkswirte der großen Banken eine Senkung der Leitzinsen von derzeit 0,75% auf ein neues Rekordtief von 0,50%.
Deutliches Konfliktpotenzial dürfte aber eine weitere mögliche Entscheidung der EZB bergen. Die Mehrzahl der von Reuters befragten Volkswirte erwartet, dass die EZB in den kommenden drei Monaten ein neues Programm für die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen in den Krisenstaaten aus dem Hut zaubern wird. EZB-Chef Mario Draghi sind die großen Zinsunterschiede in der Währungsunion seit Längerem ein Dorn im Auge. Obwohl die EZB einen einheitlichen Leitzins vorgibt, kommen Unternehmen in den Krisenstaaten nämlich zum Teil nur mit deutlichen Risikoaufschlägen an frisches Geld, weil die Banken bei derartigen Krediten zögerlich sind. Diese Zinsunterschiede hält die EZB für grundsätzlich problematisch und könnte deshalb ein neues Programm zur Ankurbelung der Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen in den Krisenstaaten starten, so die Einschätzung der Volkswirte.
Sollte es tatsächlich dazu kommen, könnte sich der jüngste Konflikt zwischen Bundesbank-Chef Jens Weidmann und der EZB weiter zuspitzen. Denn während die EZB die Zinsunterschiede für grundsätzlich problematisch hält, sieht die Bundesbank die Sache ganz anders. Die Bundesbank betrachtet die Zinsunterschiede nicht als eine "geldpolitisch zu bekämpfende Aufgabe", sondern hält das Ganze für "die unmittelbare Folge der national eigenverantwortlichen Finanzpolitik", wie aus einer Stellungnahme der Bundesbank für das Bundesverfassungsgericht hervorgeht.
Worauf sollten Trader nun in der kommenden Woche achten? In der vergangenen Woche war wiederholt zu beobachten, dass schlechte Wirtschaftsdaten in der Eurozone zu steigenden und gute Daten zu sinkenden Aktienkursen führten. Diese "paradoxe" Reaktion ist an der Börse nichts Ungewöhnliches, insbesondere dann nicht, wenn die Märkte auf eine weitere Lockerung der Geldpolitik hoffen. Denn schlechte Wirtschaftsdaten nähren die Hoffnung, dass die Notenbank tatsächlich die Zinsen senkt oder auf anderem Weg für zusätzliche Stimulierung sorgen wird.
Da die Märkte nach den schwachen Daten der letzten Wochen inzwischen eine Leitzinssenkung zu einem erheblichen Teil eingepreist haben, dürfte das Erholungspotenzial bei einer Leitzinssenkung eher begrenzt sein, vor allem wenn die EZB kein zusätzliches Programm für die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen ankündigt. Andererseits besteht erhebliches Enttäuschungspotenzial: Sollte die EZB den Leitzins nicht senken und sollte EZB-Präsident Mario Draghi auf der Pressekonferenz auch keine Leitzinssenkung für die kommenden Monate andeuten, dürften die Aktienmärkte mit deutlichen Kursverlusten reagieren.
Oliver Baron
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