Kommentar
09:45 Uhr, 26.07.2022

Schrumpfende Wirtschaft ohne Rezession: Geht das?

Ist das Wirtschaftswachstum negativ, befindet sich die Wirtschaft automatisch in einer Rezession. Das ist der allgemeine Glaube. Die Praxis ist komplizierter.

Am Donnerstag wissen wir, ob sich die USA technisch in einer Rezession befinden. Allgemein wird von einer Rezession gesprochen, wenn die Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen schrumpft. Im ersten Quartal schrumpfte die US-Wirtschaft und das zweite Quartal sieht nicht viel besser aus. Es muss ein kleines Wunder geschehen, um eine technische Rezession zu vermeiden. Ein Wunder kann es geben. Im ersten Quartal schrumpfte die Wirtschaft vor allem, weil die Importe sehr viel schneller stiegen als die Exporte. Die Lager sind inzwischen voll, sogar übervoll. Das, was das erste Quartal hat negativ aussehen lassen, könnte im zweiten Quartal stützen. Ist die Wirtschaft im zweiten Quartal dennoch geschrumpft, werden sich die Meldungen überschlagen, dass sich die USA in einer Rezession befinden. Diese Meldungen kann man getrost ignorieren. Es steckt kein Neuheitswert dahinter, zumal sich die US-Wirtschaft trotz negativen Wachstums nicht zwangsläufig in einer Rezession befinden muss. Das passt intuitiv nicht zusammen. Ein Land muss in einer Rezession stecken, wenn die Wirtschaft schrumpft. Wer so denkt, macht die Rechnung ohne die offizielle Stelle, die Rezessionen benennt. Das National Bureau of Economic Research (NBER) bestimmt, wann sich die Wirtschaft in einer Rezession befindet und wann nicht.

Vergleicht man die benannten Rezessionen mit der Definition einer technischen Rezession (zwei negative Quartale in Folge), gibt es große Überschneidungen (Grafik 1). Es gab allerdings auch zwei Rezessionen, in denen die Wirtschaft technisch in keiner Rezession war. Das war Anfang der 60er Jahre und zur Jahrtausendwende.


Den umgekehrten Fall gab es bisher noch nicht, also eine technische Rezession ohne eine offizielle Rezession. Dafür gibt es den Fall, dass die Wirtschaft in einem Quartal schrumpft, im nächsten wieder wächst und dann wieder schrumpft. Eine technische Rezession wird so umgangen und genau das geschah Anfang der 60er Jahre und zur Jahrtausendwende.

Dass trotzdem eine Rezession ausgerufen wurde, lag am Arbeitsmarkt. Schrumpft die Wirtschaft, aber sinkt die Arbeitslosenquote weiter, wird keine Rezession ausgerufen. Das geschah Mitte/Ende der 50er Jahre und 2010/11 (Grafik 2). Solange der Arbeitsmarkt nicht dreht, wird auch dieses Mal keine Rezession ausgerufen. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass der Arbeitsmarkt nicht dreht?


In den vergangenen Konjunkturzyklen kam es in der nachfolgenden Erholung zu einer immer stärkeren Ausprägung des Arbeitskräftemangels. Dieser Mangel zeigt sich anhand einer hohen Rate offener Stellen und einer niedrigen Arbeitslosigkeit (Grafik 3). Bei gleicher Arbeitslosenrate gibt es in jedem Zyklus plötzlich mehr offene Stellen.

Es herrscht Angebotsmangel, Angebotsmangel beim Faktor Arbeit. Der Mangel ist nicht allein darauf zurückzuführen, dass es zu wenige Arbeitnehmer gibt. Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem Angebot und der Nachfrage. Sowohl die Finanzkrise als auch die Coronakrise haben für große Bewegungen gesorgt.

Nachdem die Immobilienblase platzte, wurde jahrelang weniger gebaut. Vor der Krise waren fast 8 Mio. in der Bauwirtschaft beschäftigt, danach nur noch 5,5 Mio. 2,5 Mio. Arbeitslose hatten Fähigkeiten, die nicht benötigt wurden. Ebenso wurden in der Coronakrise in bestimmten Sektoren massiv Stellen gestrichen. Wer einen Beruf (z.B. Friseur) gelernt hat, kann nicht einfach die Nachfrage nach Arbeit in einem anderen Sektor (Technologie) bedienen.

Um einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage herzustellen, braucht es Zeit. Zudem sind die Erinnerungen der Unternehmen an die Coronakrise noch frisch. Wer Stellen abbaute, hat heute oftmals ein Problem und findet keine Arbeitnehmer. Eine technische Rezession ohne offizielle Rezession ist daher durchaus denkbar.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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