Kommentar
15:10 Uhr, 22.10.2019

Rezessive Tendenzen und der abnehmende Grenznutzen neuer Schulden

Manchmal, wenn man das Geschehen in der Weltpolitik beobachtet, drängt sich ein Vergleich mit einem großen Krieg auf.

Gastbeitrag von Dr. Christoph Bost, Experte auf Guidants (jetzt folgen!)

Man hat den Eindruck, die Feldherren haben den Überblick längst verloren und konzentrieren sich nur noch darauf die ein oder andere kleine Schlacht zu gewinnen und den Krieg möglichst lange hinauszuzögern um zu verhindern, dass die Öffentlichkeit die eigene Unfähigkeit als das erkennt was sie ist. Für die Kapitalanleger ist dies ein äußerst schwieriges Umfeld, führt jede kleine gewonnene Schlacht doch zu neuer Hoffnung und bleibt darüber hinaus die große Unbekannte darin bestehen, wie lange versteht es der Feldherr der Öffentlichkeit noch Sand in die Augen zu streuen und den Krieg zu verlängern.

Im aktuellen Umfeld geht es primär darum, dass Politiker und Notenbanker ihre Unfähigkeit bereits voll unter Beweis gestellt haben, dies die Öffentlichkeit aber noch nicht wirklich wahrgenommen hat. Die Politiker agieren ganz nach dem Motto „Brot und Spiele“ und hoffen, dass sich ihre Wähler damit zufriedengeben.

In den meisten Ländern weltweit ist die Arbeitslosigkeit deutlich zurückgegangen und die Wirtschaft befindet sich zumindest in einer stabilen Lage. Dies wurde aber mit einer enormen Ausweitung der Schulden erreicht, für das Wachstum der letzten zehn Jahre machte man doppelt so viel Schulden wie für ein adäquates Wachstum im Zeitraum 2000-2007. Je höher die Schulden steigen, desto geringer ist der Effekt der Neuverschuldung auf das Wachstum (abnehmender Grenznutzen).

Ähnliches zeichnet sich nun auch im Zinsbereich ab, es ist zu befürchten, dass weiter sinkende Zinsen kaum noch zu neuen Investitionen führen werden und dass stattdessen das Risiko eines Vertrauensschwundes und Turbulenzen an den Finanzmärkten zunehmen. Die wichtigste Aufgabe für die Politiker und Notenbanker besteht daher aktuell darin, eine Rezession zu verhindern, egal mit welchen Mitteln. Kommt es nämlich zu mehr als einer statistischen Rezession (zwei Quartale hintereinander mit marginalen Rückgang), besteht die Gefahr, dass die Wähler sich nicht mehr mit Brot und Spielen zufriedenstellen lassen.

An einer Front steigt die Unzufriedenheit schon stark; die Nullzinspolitik bzw. Negativzinspolitik der EZB verärgert die europäischen Sparer zunehmend. Negativzinsen wirken im Grunde wie eine Steuer, vergleichbar dem Soli. Zugute kommen tut er dem Staat, erhält dieser für das Schuldenmachen doch inzwischen sogar Zinsen. Im Endergebnis kann sich der Staat leicht entschulden oder zumindest das Verschuldungstempo verlangsamen und gleichzeitig wird der Sparer, wie es der internationale Währungsfond bereits zugab, enteignet. Diese Enteignung geschieht derzeit durch einen Verlust der Kaufkraft und zwar nicht durch starke inflationäre Impulse sondern dadurch, dass einerseits die offizielle Inflationsrate noch immer nach unten manipuliert wird (hedonistische Messung), die gefühlte Inflationsrate liegt sicherlich über 3 %, und gleichzeitig erhält der Sparer für seine vom Staat propagierte Altersvorsorge quasi keinen Zins mehr. Die gute Lage am Arbeitsmarkt übertüncht bisher diese negative Entwicklung und lässt den Anschein aufkommen, dass der Wohlstand steigt. Solange die Masse einer derartigen Einschätzung Glauben schenkt, können die Politiker versuchen, auch ihre nächste Schlacht zu gewinnen, zum Beispiel indem die US-Notenbank nun ebenfalls die Liquiditätszügel wieder deutlich lockert um auch in den USA dem Aufschwung neue Impulse zu geben und nach elf Jahren noch einmal künstlich zu verlängern.

Es muss etwas getan werden, immerhin prognostiziert der internationale Währungsfond einen synchronisierten globalen Abschwung und das schwächste Wachstum seit der Lehman-Krise. Am stärksten gefährdet sind Japan, Italien und Deutschland. Deutschland ist laut IWF am stärksten vom Export abhängig und somit auch vom Handelskrieg. Dieser schwächt sich zwar zwischen den USA und China ab, verschärft sich hingegen zwischen den USA und der EU.

Bundesbankpräsident Weidmann warnt: „Ein ausgewachsener Handelskrieg könnte beide Seiten teuer zu stehen kommen“. In diesem Fall würde selbst ein geordneter Brexit kaum Erleichterung bringen. Würde dies dann aber die Wirtschaft in die Rezession schicken, müssten zum Beispiel die Zinsen noch weiter gesenkt werden, die Auswirkungen sind dann kaum kalkulierbar. Es ist nämlich nicht davon auszugehen, dass es zu einem großen Deal zwischen den USA und China kommt, selbst wenn man nun aufgrund kurzfristiger Bedürfnisse einen kleinen Deal abschließt. Die Chinesen sind bereit, für 40-50 Milliarden USD Agrargüter zu kaufen. Durchschnittlich haben sie in den letzten Jahren für rund 20 Milliarden USD Agrargüter gekauft, doch im letzten und im laufenden Jahr weniger als 10 Milliarden USD. Das Defizit liegt entsprechend bei rund 20 Milliarden USD, welches man nur teilweise über andere Länder ausgleichen konnte. Einfach hochgerechnet führt dies zu einem Bedarf im kommenden Jahr von rund 40 Milliarden USD Gegenwert.

Gleichzeitig verschieben die Amerikaner die Zölle in Richtung Weihnachten um das Weihnachtsgeschäft nicht noch mehr zu belasten. Man beugt sich auch dem Druck der Straße oder besser gesagt Hunderter von Unternehmen in den USA, welche inzwischen Beschwerdebriefe an die Regierung geschickt haben. Die Unternehmen sind nämlich kaum in der Lage, die chinesischen Waren aus anderen Regionen zu substituieren, sie selbst müssen die Zölle weitestgehend übernehmen und versuchen sie an den amerikanischen Konsumenten weiter zu reichen. Dies bedeutet aber, dass auch die amerikanische Wirtschaft in die Rezession schlittern könnte, eine Umfrage der Newsweek unter Ökonomen ergab, dass 82 % eine Rezession nächstes Jahr nicht mehr ausschließen wollen. Die Einkaufsmanager Indices belegen bereits, dass die Industrie in den USA sich in der Rezession befindet, dass der Konsum das Bruttoinlandsprodukt aber noch auf Wachstumskurs hält.

Immer mehr Unternehmen sind aber für die kommenden Monate pessimistisch, so die Feststellung der US-Notenbanker. Man senkt für die nächsten 6-12 Monate sukzessiv die Prognosen. Die Befürchtung, dass die momentane Schwächephase nicht nur die Industrie sondern auch weitere Teile der Volkswirtschaft treffen könnte, steigt. Ähnlich sieht die Situation in China aus. Auch hier gibt es leicht rezessive Tendenzen in der Industrie, während das Wachstum im dritten Quartal wohl bei ca. 6 % liegen dürfte. Aufgrund des Größeneffekts wird das Wachstum auch im nächsten Jahr weiter rückläufig sein, unabhängig vom Handelskrieg. Für die Weltwirtschaft dürfte aber entscheidend sein, ob China dann nur noch 5 % oder 5,7 % wächst. Bisher ist der Effekt der US-Handelszölle für die chinesische Handelsbilanz vernachlässigbar. Zwar sind die chinesischen Exporte in Richtung der vereinigten Staaten deutlich (22 %) rückläufig, gleichzeitig verbessert sich die Handelsbilanz global aber weiter. Im Jahresvergleich weitet die chinesische Wirtschaft ihren Handelsbilanzüberschuss um 1,4 % aus. Deutlich steigende Exporte gingen nach Großbritannien, die EU und Vietnam. Ob sie dort nur Zwischenstation machten oder tatsächlich verblieben steht auf einem anderen Blatt Papier, denn genau diese Länder weiteten ihre Exporte in Richtung USA aus.

Man gewinnt den Eindruck, dass der ganze Handelskrieg selbst nur ein Ablenkungsmanöver ist, welcher letztendlich der gesamten Welt wirtschaftlichen Schaden zufügt. Vielleicht stehen geopolitische Interessen bei all diesen Entwicklungen im Vordergrund oder aber auch nur ein an den Rand gedrängten Technologiekrieg, welcher sich nach unserer Einschätzung selbst bei einer Beilegung des Handelskriegs fortsetzen dürfte. Egal ob man die aktuelle Entwicklung hoffnungsvoll oder skeptisch beobachtet, es bleibt spannend!

1 Kommentar

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  • grinder1337
    grinder1337

    guter artikel, viele wichtige punkte. als ergänzung einige wichtige darstellungen (zur visualisierung):

    schon erstaunlich und erschreckend, was manche als aufschwung, boom o. ä. bezeichnen. es ist vorbei. und zum arbeitsmarkt:

    wir befinden uns im ende des zyklus

    19:22 Uhr, 22.10. 2019

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