Kommentar
08:20 Uhr, 28.09.2015

Rezession wegen niedriger Rohstoffpreise?

Viele Ökonomen halten an ihrer Meinung fest: niedrige Rohstoffpreise sind ein Konjunkturprogramm. Während das theoretisch so sein mag drohen immer mehr Länder in eine Rezession zu schlittern. Irgendetwas stimmt an der Rechnung nicht.

Wenn es um Rohstoffpreise geht, muss man in mehrfacher Hinsicht differenzieren. Und zwar zwischen Rohstoffexporteuren und -importeuren sowie zwischen der Kostenbasis, in der produziert wird. Die Kostenbasis bezieht sich auf die Währung. Rohstoffe werden in Dollar gehandelt. Viele Rohstoffexporteure haben jedoch nicht den Dollar als Währung, sondern ihre jeweilige Landeswährung.

Wenn es um die positiven oder negativen Auswirkungen von Rohstoffpreisen auf die Wirtschaft geht, kann man pauschal sagen, dass Rohstoffimporteure von niedrigen Preisen profitieren, während Exporteure darunter leiden. Die Überlegung ist damit jedoch noch nicht am Ende, da die Kostenbasis eine wichtige Rolle spielt.

US Ökonomen gehen von einem positiven Effekt niedriger Rohstoffpreise auf die US Wirtschaft aus. Persönlich habe ich da meine Zweifel. Konsumenten freuen sich über die niedrigen Ölpreise und haben effektiv mehr Geld zur Verfügung. Das zeigt sich allerdings nicht darin, dass insgesamt mehr konsumiert wird. Das zusätzlich zur Verfügung stehende Geld wird nicht anderswo ausgegeben, sondern zu einem großen Teil gespart.

Während ein Teil des Geldes gespart wird, streichen Ölunternehmen ihre Investitionen zusammen. Allein in den USA könnten 100 Mrd. weniger investiert werden. Das drückt das Wachstum effektiv um bis zu 0,5 Prozentpunkte. Es wird nicht mehr konsumiert, dafür aber weniger investiert. Unterm Strich ist der Effekt also negativ.

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Die US Wirtschaft wird durch diesen Trend allein nicht in die Rezession stürzen, da der Rohstoffsektor insgesamt einen relativ kleinen Teil der Wirtschaft ausmacht. In anderen Ländern sieht die Sache etwas anders aus. Beispiele gibt es zur Genüge. Interessant sind jedoch vor allem die Industrieländer, die vom Rohstoffsektor abhängig sind. Sie haben einen großen Anteil an der weltweiten Wirtschaftsleistung. Geraten Länder wie Kanada, Norwegen, Neuseeland und Australien in Schieflage, dann geht das nicht spurlos an den Nachbarländern vorbei.

Beispielhaft lohnt ein Blick auf die kanadische Wirtschaft. Grafik 1 zeigt wie viel der Rohstoffsektor und andere Sektoren zum Bruttoinlandsprodukt beitragen. Der größte Beitrag wird von der Industrie geleistet. Die Industrie hat einen Anteil von 21% an der gesamten Wirtschaftsleistung. An zweiter Stelle folgt bereits der Rohstoffsektor mit einem Anteil von 8,1%. Reduziert sich dieser Beitrag durch sinkende Preise, dann schlägt das auf das gesamte Wirtschaftswachstum durch.

Der Rohstoffsektor hatte in Kanada bereits höhere Anteile. Vor dem Ölpreiscrash lag der Beitrag bei 8,6%. In den 90er Jahren lag der Anteil sogar zeitweise über 9%. Durch diesen hohen Anteil sind Länder wie Kanada Preisschwankungen an den Rohstoffmärkten stark ausgesetzt. Fallen die Preise von Rohstoffen um 20%, dann reduziert das das Wirtschaftswachstum um 1,6%, wenn alles andere gleich bleibt.
Unter diesen Voraussetzungen wundert man sich, dass die kanadische Wirtschaft noch nicht in einer monumentalen Rezession feststeckt. Nicht nur Ölpreise sind stark gefallen, sondern auch die Preise für Industrie- und Edelmetalle. Kanada fördert alle diese Rohstoffe. Wie viel es davon fördert zeigt Grafik 2.

Die Ölförderung macht den Großteil aus. Das war schon immer so und wird auch noch lange so bleiben. Bis 2007 weist Kanada den BIP Beitrag durch die Ölförderung nur als Gesamtzahl aus. Ab 2007 wird zwischen konventioneller und unkonventioneller Förderung unterschieden. Dabei zeigt sich, dass der Anteil der konventionellen Förderung seit 2007 abnimmt, während die unkonventionelle Förderung (Ölsande, Fracking) an Bedeutung gewinnt. Das ist besonders problematisch, da die unkonventionelle Förderung mit höheren Kosten verbunden ist.
Was an Grafik 2 auffällt ist die überraschend große Stabilität der einzelnen Sektoren. Obwohl die Preise zuletzt stark gefallen sind, hat sich der Beitrag zum BIP lediglich von 121 Mrd. auf 116 Mrd. im ersten Quartal 2015 reduziert. Inzwischen liegt der Gesamtbeitrag schon wieder bei 119 Mrd.
Grafik 3 veranschaulicht dieses Phänomen noch einmal zusammen mit dem Ölpreis und dem Wachstum des BIP-Beitrags des Rohstoffsektors. Auf Jahressicht ist das Wachstum nur leicht negativ. Der Vergleich zu 2009 oder auch zu den späten 90er Jahren rückt die derzeitige „Krise“ in die richtige Perspektive. Wenn der aktuelle Rückgang als Krise bezeichnet wird, dann waren die späten 90er Jahre, 2002, 2004 und 2009 eine einzige Katastrophe.

Die ungewöhnlich große Stabilität ist auf einen natürlichen Hedge zurückzuführen. Grafik 4 zeigt diesen Hedge. Es handelt sich dabei um die Währung. Der kanadische Dollar wertete von 2002 bis 2007 auf. Obwohl Rohstoffpreise stiegen machte sich das beim BIP kaum bemerkbar. Der aufwertende kanadische Dollar schmälerte den Gewinn aus steigenden Preisen. Da Rohstoffe in US Dollar gehandelt werden macht das Wechselkursverhältnis sehr viel aus.
Seit 2011 wertet der kanadische Dollar ab. Obwohl Rohstoffpreise stagnierten bzw. fielen stieg der Beitrag des Rohstoffsektors zum BIP. Der Ölpreiscrash konnte durch die Abwertung des CAD fast vollständig aufgefangen werden. Solange die US Notenbank an ihrer Zinswende festhält und der Dollar aufwertet haben Rohstoffexporteure einen natürlichen Hedge.

Ändert die US Notenbank ihren Kurs, dann dürften Länder wie Kanada und Australien schnell in eine Rezession stürzen. Für die globale Wirtschaft ist die US Zinswende bei fallenden Rohstoffpreisen aufgrund des Überangebots ein Segen.
Trotz des natürlichen Hedges vieler Länder darf das nicht über die sinkenden Investitionen hinwegtäuschen. Ebenso geht derzeit ein radikaler Personalabbau mit den niedrigen Preisen einher. Viele Ökonomen gehen nach wie vor von einem positiven Effekt für die globale Wirtschaft aus. Persönlich war ich ebenfalls zu Beginn des Ölpreiscrashs dieser Meinung. Inzwischen habe ich daran so meine Zweifel.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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