Kommentar
07:22 Uhr, 11.03.2016

Reaktion auf EZB-Entscheid: Warum so negativ?

Was für eine Überraschung! Die EZB schöpft aus dem Vollen. Kurz nach Veröffentlichung der Beschlüsse gehen Aktien durch die Decke, der Euro sinkt. Nur kurze Zeit später steht der Dax 600 Punkte tiefer. Was hat das zu bedeuten?

Zunächst einmal hat sich wieder einmal gezeigt, dass die Erstreaktion des Marktes auf Notenbankentscheide nicht besonders zuverlässig ist. Der Champagner floss nur eine Stunde lang. Danach gab es eine bittere Kehrtwende. Aus dicken Pluszeichen wurden tiefrote Minuszeichen. Wie kann das nach dem Maßnahmenpaket eigentlich sein?

Die EZB hat eine solche Fülle an Maßnahmen beschlossen, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll diese zu analysieren. Man kann die Dinge auch kurz fassen und festhalten: die Geldschleusen sind so weit offen wie nie. Konkret wurde der Hauptrefinanzierungssatz (Leitzins) auf 0 % gesenkt. Die Zinsen für kurzfristige Notkredite (wird von der EZB im Deutschen etwas unhandlich als Spitzenrefinanzierungsfazilität bezeichnet) sinken auf 0,25 % und der Einlagensatz wurde auf -0,4 % gesenkt. Das Asset-Kaufprogramm wurde auf 80 Mrd. ausgeweitet.

Die Ausweitung der Assetkäufe bezieht sich nicht nur auf die bisherigen Anlageklassen. Es können nun auch Unternehmensanleihen im Investment-Grade Bereich gekauft werden. Anleihen von Banken sind davon ausgenommen.

Die Geldflut mit einer weiteren Senkung des Einlagensatzes für Banken belastet deren Zinsmarge erheblich. Im Vorfeld hatte ich bereits diskutiert, dass die EZB dieses Problem angehen muss. Meine Vermutung war, dass die EZB ein Stufensystem wie Japan einführen würde. Das tat sie nicht, sondern bedient sich eines ganz neuen Instruments. Sie wird ab Juni 2016 insgesamt vier langfristige Refinanzierungsgeschäfte für Banken anbieten. Diese können sich für eine Laufzeit von 4 Jahren bei der EZB Geld leihen und zahlen dafür nichts, im Gegenteil sogar, sie erhalten Zinsen.

Banken können bei den Krediten maximal den gültigen Einlagensatz erhalten. Derzeit sind das -0,4 %. Was bedeutet das? - Letztlich senkt die EZB zum ersten Mal den Ausleihungssatz unter 0 %. Der Hauptrefinanzierungssatz, die Leitzinsen, ist bei 0 %. Durch diese Sonderkredite senkt die EZB die Zinsen allerdings de facto unter 0 %. Die EZB führt ein Stufensystem für Ausleihungen ein. Bisher gab es 2 Stufen (Hauptrefinanzierung und Spitzenrefinanzierung). Nun experimentiert die EZB mit einem dritten Satz, der negativ ist.

Die EZB testet durch diese Geschäfte wohl ab, wie es auf das Finanzsystem wirkt, wenn man für die Aufnahme von Kredit Geld erhält. Je nachdem wie die Erfahrungen ausfallen, könnte das in einem negativen Leitzins münden, der soweit gesenkt wird, dass Banken dann auch ihren Kunden Geld zahlen, wenn sie sich Kredit beschaffen. Soweit sind wir aber noch nicht.

Die EZB hat im Prinzip alle Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung standen, genutzt. Im Vorfeld wurde darüber gerätselt, was sie tun würde. Mit Prognosen konnte man nicht falsch liegen, weil die EZB einfach alles beschlossen und umgesetzt hat, was es nur umzusetzen gab. Sie hat durch einen neuen, negativen Ausleihungssatz sogar noch eine Zugabe gegeben.

Die EZB hat ganz klar bewiesen, dass sie noch handlungsfähig ist und ihr die Möglichkeiten noch lange nicht ausgegangen sind. Trotzdem reagiert der Markt mit heftigen Verkäufen, nachdem die anfängliche Reaktion verflogen war. Die Erstreaktion war nach diesen Beschlüssen zu erwarten. Es war ein altbekannter Reflex: Eine Notenbank lockert und alle kaufen. Diesem Reflex folgte dann eine unerwartete Reaktion. Im Prinzip kann man schon fast von Panikverkäufen reden. Vom Tageshoch kurz nach der Veröffentlichung verlor der Dax bis zum Tagestief fast 6 %.

Das muss nun nicht den Weltuntergang bedeuten. Der Markt kann in den kommen Tagen seine Meinung noch einmal ändern und wieder steigen. Was aber, wenn der Markt nicht steigt und in einen Sturzflug übergeht?

Bricht der Markt zusammen, obwohl die Notenbank mehr geliefert hat als erwartet, dann ist das ein Warnsignal sondergleichen. Geschieht genau das, dann ist folgendes passiert: der Markt bricht ein, weil die Notenbank so exzessiv gelockert hat und nicht, weil sie zu wenig getan hat. Das haben wir im Januar bereits in Japan gesehen. Der Markt reagiert auf zusätzliche Lockerung zunehmend negativ. Die Notenbanken verlieren die Kontrolle. Fällt der Markt, dann können sie nichts mehr tun. Weitere Lockerungen würden einen Abverkauf vermutlich sogar noch beschleunigen.

Ob es zu einer solchen Verkettung kommt, kann man noch nicht sagen. Kommt es jedoch dazu, dann lässt sich sagen: die Notenbankpolitik hat ihren Zauber verloren. Anleger glauben nicht mehr, dass Notenbanken etwas bewirken können. Vielmehr wird realisiert, dass die Notenbanken mit ihren immer weiteren Lockerungen die Wirtschaft endgültig gegen die Wand fahren. Man kann nur hoffen, dass die Erkenntnis auch bei den Notenbankern bald reift.

Nach der aktuellen Erkenntnis empfindet der Markt die EZB Beschlüsse als Verzweiflungstat. Es glaubt niemand mehr daran, dass es viel bewirken kann. Jede weitere Maßnahme der EZB dürfte ab jetzt kontraproduktiv wirken. Die Stimmung ist kurz davor zu kippen. Der Glaube an die Notenbank geht mehr und mehr verloren. Ohne diesen Glauben und ohne das Vertrauen kann die EZB noch so viel Geld drucken, wie sie will, es wird keine positive Wirkung mehr entfalten, sondern eine negative.

Ob die Stimmung nun schon gekippt ist, bleibt abzuwarten. Möglich ist es. Die Situation ist wirklich extrem brenzlig. Persönlich tendiere ich gerne zu einer positiven Grundeinstellung. Man darf deswegen jedoch nicht die Augen davor verschließen, was schiefgehen kann. Aktuell kann sehr viel schiefgehen. Fehlt das Vertrauen in die Notenbanken, welches sie nebenbei bemerkt durch ihre exzessiven Lockerungen nun selbst zerstören, dann gibt es niemanden, der den Markt und die Wirtschaft auffangen kann. Regierungen schlafen vor sich hin und sind seit Jahren regungslos. Wenn die Stimmung nun dreht, dann richtig und zwar schnell.

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18 Kommentare

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  • Marco Soda
    Marco Soda

    noe nur mein Chef ;-))))

    05:49 Uhr, 14.03. 2016
  • Marco Soda
    Marco Soda

    test werden auch hier meine Beträge " geprüft " ???

    05:48 Uhr, 14.03. 2016
  • Chronos
    Chronos

    So schwierig ist das alles doch nicht.

    Banken und Staaten schreiben an.

    Die Zeche zahlen die aktuell arbeitende Bevölkerung und vor allem die Jugend.

    Das einzige was erstaunlich ist:

    a) Das die Kids keine Steine gegen die Alten und das Establishment werfen.

    (sondern vergendert Chai-Latte trinken und sich schon verboten fühlen wenn sie mal an der Sisha nibbeln)

    b) Die Verteilung der politischen Macht unter den Parteien unter einer wirkungsvollen Größe und Beteiligung(hatten wir das schon nicht einmal?) Nur die Wahlbeteiligung war damals sicher größer 50% und in der Alterspyramide unter 60+

    22:13 Uhr, 13.03. 2016
  • tourguide
    tourguide

    Wenn man sich diese Artikel durchliest kann man die Überlegungen der EZB nachvollziehen:

    Enteignung der Sparer: EZB rettet die Schulden-Staaten in Europa http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2016/03... Wir haben aus der Geschichte der FED gelernt, dass die Zentralbanken letztlich die Macht über die Staaten haben, egal welche politische Partei an der Macht ist. Wir wunderten uns, das vor einhundert Jahren eine private Initiative der Banken die finiazielle Macht aus den Händen des Staates(Volkes) reißen konnte. Nun schauen wir wieder zu und die Banken machen wieder das gleiche! Damit kann man auch die ganzen Krisen und Wirren der Zeit erklären. Nur ein schwaches Volk hält still!

    08:58 Uhr, 13.03. 2016
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Der Herr des Geldes hat wieder gezaubert und schwups ein Kaninchen in Größe XXL aus dem Zylinder gezogen. Die Märkte schwankten zunächst wie ein großer Tanker bei schwerer See doch nun segeln sie quietschvergnügt nordwärts. Wie lange wird die steife Brise die Super Mario zum wiederholten mal entfacht hat, die Finanzmärkte auf Nordkurs halten? Eine Woche, ein paar Monate oder schlimmstenfalls nur wenige Tage? Klar ist nur eines, der ungebremste Wahnsinn geht weiter und niemand stellt sich Draghi in den Weg. Zur Rettung der Zombiebanken und des Eurosystems sind die Eliten bereit, buchstäblich alles aufs Spiel zu setzen. Alles heißt in diesem Zusammenhang unsere Demokratie, unser Gesellschaftsmodell und die Lebensersparnisse der Bürger. Wir werden erleben, wie sich unter dem Eindruck einer rechtsbrecherischen Politik, die Wähler radikalen Parteien zuwenden. Die morgigen Landtagswahlen werden voraussichtlich Signalwirkung haben. Wer sich aus dem Lager der Altparteien über Bürger echauffiert, die nicht mehr bereit sind, dem Wahnsinn ihre Stimme zu geben, der darf sich bedanken bei Draghi, Merkel, Juncker & Co.

    19:07 Uhr, 12.03. 2016
  • hohlraumduebel
    hohlraumduebel

    "Die EZB hat gezeigt, das sie noch handlungsfähig ist."

    Tschuldigung, aber ich muss mich schon arg zurückhalten, um das nicht als dummes Gelaber zu bezeichnen.

    Vielleicht könnte man langsam darüber diskutieren, wie sinnvoll es ist bzw. wie lange man es noch zu dulden ist, das eine kleine Elite von "Geldexperten" immer wieder versucht, durch Änderung der Regeln Ihre Ziele durchzusetzen. Hier werden schon seit Jahrzeiten nur noch Interessen der Grossfinanz durchgesetzt. Otto-Normal-Verbraucher kann sehen, wie seine geplante Altersvorsorge den Bach runtergeht.

    Warum lässt man das System sich nicht selbst bereinigen?

    15:23 Uhr, 12.03. 2016
  • munich
    munich

    wie es scheint ,hat alles vorherige nichts bewirkt. nun diese "Verzweiflungstat"..sollte noch irgendeine "größere Kleinigkeit" passieren besteht 0 vernünftiger und vertretbarer Handlungsspielraum.über kurz und lang fährt "diese EZB" alles gegen die Wand.

    17:30 Uhr, 11.03. 2016
  • tschak
    tschak

    Die Geldpolitik tut dies, was sie in ihrer Position tun kann und wohl auch tun SOLLTE. DAS PROBLEM ist erstens: die Politik, die Wirtschaftspolitik, die Fiskalpolitik. Folgend deren politischen Entscheidungen wird ein investitionsfreundliches, oder investitionsfeindliches Umfeld geschaffen. Dem Konsumenten kann man es nicht vorhalten, weniger zu kaufen. Die Unternehmer müssen aber anfangen zu investieren, zumindest öffentliche Investitionen müssen gestartet werden (Infrastruktur bringt auch der nächsten Generation was), dann private Investitionen. Dass der US-Amerikaner mit Risiko leichteren Umgang hat, als der Nord- und Mitteleuropäer ist nix Neues. Dennoch müssen jetz die Unternehmer Mut zum Risiko zeigen! Wenn nicht jetz, wann denn ENDLICH??

    12:21 Uhr, 11.03. 2016
  • tourguide
    tourguide

    Ich glaube, da gibt es noch ein anderes Interesse. Nicht umsonst werden die privaten Investoren rausgeschüttelt. Die Aktion-Quote bei den Privatanlegern war noch nie so gering wie jetzt.

    Also da Aktien ja eine Währung sind, werden die Notebanken und wissende Gross-Investoren, versuchen in den kommenden Jahren so billig wie möglich und vor allem soviel wie möglich aufzukaufen, Wenn sie satt sind kann der kleine Mann den Rest teuer kaufen (gilt auch für Edelmetalle) danach wir der Stand eingefroren und das Bargeld wird abgeschafft. Es wir elektronische Verrechnungseinheiten geben und das Finanzsystem wird resetet!

    10:29 Uhr, 11.03. 2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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