Kommentar
08:43 Uhr, 15.11.2005

Rätselraten über die Leitzinsen

Während in den USA die Renditen etwas nachgaben, rentierten Bundesanleihen fast unverändert. Unsicherheiten über die EZB-Politik prägten das Geschehen an den europäischen Bondmärkten. Der Euro verlor gegenüber dem US-Dollar weiter an Boden.

USA: Weitere 25 Basispunkte rauf

Der amerikanische Verbraucher ist scheinbar durch nichts zu beeindrucken. Wie die Universität Michigan mitteilte, stieg der Konsumentenvertrauensindex im November überraschend kräftig auf 79,9 Punkte (Oktober: 74,2 Punkte). Damit sind die Unsicherheiten, die im Gefolge der Wirbelstürme und deutlicher höherer Inflationsraten auftraten, bereits zu einem größeren Teil wieder wettgemacht. Dies bestätigte auch einen Trend, der bereits von freundlichen September Einzelhandelsumsätzen vorgegeben wurde. Unterstützung kommt auch von der Ölpreisentwicklung. Nach den Höchstständen im Spätsommer hat sich hier in jüngster Zeit eine Entspannung eingestellt. Dies könnte sich auch positiv auf die Inflationsrate auswirken, welche im September auf 4,7 Prozent kletterte. Am amerikanischen Rentenmarkt wurde dadurch jedenfalls der Renditeanstieg am langen Ende erst einmal gestoppt. Im Wochenverlauf fielen die Zehnjahresrenditen um fast 10 Basispunkte. Die Zinsdifferenz zwischen zweijährigen Papieren (4,5 Prozent) und zehnjährigen Titeln (4,6 Prozent) ist auf ein Minimum zusammen geschrumpft. Die Zinsstrukturkurve ist damit nahezu flach. Am kurzen Ende ist auch keine Entlastung in Sicht. Nichts deutet darauf hin, dass Greenspan-Nachfolger Bernanke an dessen Kurs stetiger und moderater Zinserhöhungen etwas ändern wird. Zum Jahresende ist eine Zielrate für die Fed Funds von 4,25 Prozent wahrscheinlich. Im ersten Halbjahr wird sich diese Tendenz vermutlich in Richtung fünf Prozent fortsetzen. Von Konjunkturseite gibt es bislang keine Signale, die dem entgegen stünden. Wir rechnen mit einer Fortsetzung des robusten Wachstums mit einer BIP-Zunahme von über drei Prozent im kommenden Jahr.

Eurozone: Vielstimmiger EZB-Chor

Unter den Marktteilnehmern wird weiter gerätselt, ob der Rat der Europäischen Zentralbank bereits im Dezember die Leitzinsen anheben wird. Die Aussagen führender EZB-Mitglieder ergeben jedenfalls kein eindeutiges Bild. Wir stufen die Wahrscheinlichkeit für eine Zinsanhebung noch in diesem Kalenderjahr dennoch auf über 50 Prozent ein. Trotz nachgebender Ölpreise dürfte die Inflationsrate im Oktober erneut bei rund 2,5 Prozent und damit eindeutig über dem EZB-Zielwert von nahe 2,0 Prozent liegen. Zudem verbesserten sich in jüngster Zeit die Konjunkturaussichten für den Euroraum. In der zurückliegenden Woche vermeldete die deutsche Industrie einen Produktionsanstieg für September von 1,2 Prozent. Erfreuliche Zahlen gab es auch aus Frankreich. Das französische Bruttoinlandsprodukt ist nach ersten Schätzungen im dritten Quartal 2005 um erstaunliche 0,7 Prozent gewachsen. Erwartet worden war ein Zuwachs von lediglich 0,3 Prozent. Ein beschleunigtes Wachstum erhöht dabei die Gefahr von Zweitrundeneffekten, d.h. zusätzlichen Lohn- und Preissteigerungen in Folge einer höheren Inflation. Auch der Beschluss im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD, zu Beginn des Jahres 2007 die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent zu erhöhen, könnte zu einer Verfestigung der Inflationserwartungen führen. Ein frühzeitiger Warnschuss der EZB scheint deshalb nicht ausgeschlossen. Am Rentenmarkt blieben die Renditen vor diesem Hintergrund indes fast unverändert. Zehnjährige Bundesanleihen rentierten zum Wochenschluss mit 3,5 Prozent, wodurch sich der Zinsabstand zu den Vereinigten Staaten nach den Ausweitungen der letzten Wochen wieder etwas verringerte. An den europäischen Rentenmärkten könnte es in nächster Zeit noch zu einem moderaten Renditeanstieg kommen. Für einen deutlichen Anstieg fehlen aber die Voraussetzungen.

Devisen: Euro bleibt unter Druck

Auch das am Donnerstag für September bekannt gegebene Rekorddefizit in der amerikanischen Handelsbilanz von 66 Mrd. US-Dollar konnte den Höhenflug der amerikanischen Währung nicht bremsen. Der Euro fiel zeitweise unter 1,17 US-Dollar und damit auf ein neues Jahrestief. Zur Erinnerung: Der Euro startete ins Jahr 2005 von 1,36 US-Dollar aus! Das Minus in der US-Handelsbilanz wird weiterhin dominiert von den Kapitalströmen in Richtung Vereinigte Staaten. Die Aussicht auf eine weiter zunehmende Zinsdifferenz sowie der Homeland Investment Act, mit dem der US-Fiskus die Repatriierung von Gewinnen erleichtert, sind die beherrschenden Themen am Devisenmarkt. Ein Richtungswechsel ist bis jetzt auch noch nicht in Sicht, wenngleich aus fundamentalen Gründen ein nachhaltiges Unterschreiten der Marke von 1,15 USD nicht zu erwarten ist.

Ausblick:

Im Mittelpunkt des Interesses dürften in dieser Woche insbesondere die Preisdaten aus den USA sein. Erzeuger- und Verbraucherpreisentwicklung könnten an den Rentenmärkten für Bewegung sorgen. Dagegen sollten von den zur Veröffentlichung anstehenden Stimmungsfaktoren (ZEW, New-York-Fed-Index, Philly-Fed-Index) nur begrenzte Impulse ausgehen.

Quelle: Union Investment

Gegründet 1956, zählt Union Investment heute zu den größten deutschen Investmentgesellschaften. Rund 122 Mrd. Euro verwaltet die Gesellschaft per Ende Dezember 2004. Die Produktpalette für private Anleger umfasst Aktien-, Renten- Geldmarkt- und Offene Immobilienfonds sowie gemischte Wertpapier- und Immobilienfonds und Dachfonds. Anleger erhalten diese Produkte bei allen Volksbanken, Raiffeisenbanken, Sparda-Banken und PSD-Banken. Rund 4 Millionen Anleger nutzen überdies die Depotdienstleistungen der Union Investment.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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