Kommentar
12:53 Uhr, 16.02.2012

Prof. Hans-Werner Sinn spricht Klartext - Das Interview

Dieses Interview ist Teil unserer neuen Sonderpublikation "Währungsreform und neue Geldsysteme", die Sie hier herunterladen können.

„Wenn der Euro zerbricht, hat die Bundesbank eine 500 Mrd. EUR-Forderung gegen ein System, das nicht mehr existiert“

Herr Prof. Sinn, Europa steckt in der Krise, die Einheitswährung scheint momentan mehr Fluch als Segen zu sein. War der Euro ein Fehler?

Wenn ich vor zehn Jahren gewusst hätte, was später passieren wird, wäre ich damals natürlich auch strikt gegen diese Währungsunion mit lauter ungeeigneten Südländern gewesen. Das wird auch kaum ein Ökonom anders sehen. Leider wurden vereinbarte Regeln nicht eingehalten, dazu kamen gefälschte Zahlen wie z.B. aus Griechenland, und heute haben wir den Schlamassel.

Wir müssen uns aber irgendwie arrangieren oder? Der Euro ist doch mehr oder weniger wie eine Ehe, die nicht geschieden werden kann.

Wahrscheinlich werden wir damit leben müssen, und wir müssen versuchen die gröbsten Fehler zu beseitigen. Die Trennung des Euro in einen Nord- und einen Südeuro oder der Austritt Deutschlands ist keine überzeugende Option, wohl aber der Austritt einzelner Südländer, die im Euro ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht erlangen können.

Was sind die gröbsten Fehler?

Die Schuldensozialisierung ist das größte Problem, und sie findet auf drei Ebenen statt. Zum einen offen, über eine Reihe von Rettungspaketen, an denen die Euro-Staaten anteilig teilhaben und somit haften. Deutschland als größte und stärkste Volkswirtschaft trägt dabei das höchste Risiko.
Zum anderen läuft die Schuldensozialisierung über die EZB, die mit eigentlich nicht ausreichendem juristischem Mandat versehen Risiken in ihre Bücher nimmt, für die letztlich auch alle Euroländer gemäß ihrem Anteil haften. Deutschland z.B. ist mit 27% dabei.
Und schließlich über das TARGET2-System…

Die Aufdeckung der negativen Implikationen des TARGET2-Mechanismus ist wohl Ihr großes Verdienst. Was genau ist TARGET2 und was ist das Problem damit?

Ist die Währungsunion im Gleichgewicht, wandert das Geld kreuz und quer über die Grenzen, aber es gibt keine Nettoströme von Geld. Ein Land, das mehr Güter kauft als es verkauft, holt sich dafür den Kredit aus dem Ausland. In Europa versiegten die privaten Kredite aber seit 2008 bei einigen Ländern. Dadurch kam es zu Nettoabflüssen von Geld. Das Geld wurde dann in den Defizit-Ländern nachgedruckt und bei uns, wo es im Übermaß ankam, wurde es geschreddert, natürlich nur bildlich. Es läuft ja alles elektronisch ab. Deutschland hat in den Jahren 2008 bis 2010 aus dem Güteraustausch mit anderen Euroländern 264 Mrd. Euro verdient, doch waren 255 Mrd. Euro davon anderswo nachgedrucktes Geld. Dafür hat niemand in Deutschland zuvor Schuldscheine oder andere Ansprüche gegen das Ausland erhalten. Nur die Bundesbank erhielt eine Ausgleichsforderung gegen die EZB. Diese Forderung können wir nie fällig stellen, und sie wird nur mit einem Prozent verzinst. Insgesamt haben wir mittlerweile bald 500 Milliarden solcher Auslandsforderungen erworben. Das ist die Hälfte des Nettoauslandsvermögens der Bundesrepublik Deutschland.

Und wenn der Euro zerbrechen würde?

Dann hat die Bundesbank eine Forderung gegen ein System, das es nicht mehr gibt. Dieser Fall ist nicht geregelt, und das wissen alle.

Daraus ergibt sich Ihrer Meinung nach ein enormes Erpressungspotenzial?

So ist es, und das spielt eine implizite Rolle in allen Verhandlungen bzgl. diverser Rettungsmaßnahmen. Deutschland könnte ja ganz offensichtlich nur unter größten Schmerzen aus dem Euro austreten, und hat nur wenige Druckmittel zur Hand. Eines davon wäre, dass sich die Bundesbank weigert, im Auftrag der EZB Staatsanleihen zu kaufen. Sie könnte das – bisher spurt sie aber noch, der „Widerstand“ ist rein verbaler Natur.

Wie sollte man das TARGET2-Problem angehen?

Wie in den USA: Dort werden jedes Jahr im April die Salden zwischen den zwölf Fed-Districts mit marktgängigen Papieren ausgeglichen. So etwas brauchen wir in Europa auch. Zum einen könnten die betroffenen Zentralbanken, also jene mit negativem Saldo, als Ausgleich bestehende Aktiva liefern, z.B. Gold oder goldbesicherte Wertpapiere wie in den USA. Ich könnte mir aber auch vorstellen, pfandbesicherte Wertpapiere zu diesem Zweck zu kreieren. Als Pfand könnten entweder staatliche Aktiva wie Immobilien dienen oder auch künftige Steuereinnahmen. Es gibt genügend Möglichkeiten.

Wäre Besicherung auch ein Weg für Staatsanleihen?

Ja es könnte in Zukunft zwei Kategorien von Staatsanleihen geben – besicherte mit relativ niedrigem Zins, und riskantere unbesicherte mit höherer Rendite. Das macht aber nur Sinn, wenn die Investoren auch das Risiko tragen müssen.

Risiko – das bringt uns zu den Rettungspaketen. Sie sind vermutlich gegen Mechanismen wie den ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus)?

Nicht prinzipiell – aber der ESM ist klar überdimensioniert. Jedenfalls dann, wenn man ihn als Notfallinstrument begreift, wie ich es tue. Es kann nicht Aufgabe des ESM sein, die gesamte Staatschuld Italiens aufzunehmen. Dafür ist er natürlich wiederum zu klein. Das läuft alles leider in die falsche Richtung.

Sie lehnen eine tiefergehende Einbeziehung der EZB in die Rettungsaktionen ab – vor allem, weil dadurch letztlich wieder eine Schuldensozialisierung stattfindet.

Wenn der EZB eine größere Rolle zugestanden werden soll, dann müssen die EU-Verträge entsprechend geändert werden. Außerdem kann es doch nicht sein, dass Malta und Zypern im EZB-Rat das gleiche Stimmrecht haben wie Deutschland, obwohl sie zusammen nur ein Neunzigstel der Wirtschaftskraft der Bundesrepublik haben. Wenn die „Machtverteilung“ in der EZB angemessen neu geregelt ist und qualifizierte Mehrheiten für fiskalische Maßnahmen erforderlich sind, kann man sicherlich auch über eine neu definierte Rolle der EZB zumindest nachdenken.

Wenn man Sie in Talkshows erlebt, gewinnt man oft den Eindruck, dass Ihre Gesprächspartner versuchen, Sie in die „ökonomisch-nationale“ Ecke zu drängen. Sie sind aber ein überzeugter Europäer, oder?

Wenn den Leuten nichts mehr einfällt, dann versuchen sie eben, einem einen diffamierenden Stempel aufzudrücken. Natürlich bin ich ein überzeugter Europäer. Ich sehe als Fernziel auch durchaus die „Vereinigten Staaten von Europa“. Man muss aber die Reihenfolge einhalten. Wir sollten nicht mit der Schuldensozialisierung beginnen. Und wir müssen uns auch darüber klar sein, was einen Staat ausmacht. Vor allem braucht der Staat Mittel, sein Gewaltmonopol durchzusetzen, also eine gemeinsame Armee, eine Polizei und ein einheitliches Rechtssystem. Wenn wir den europäischen Staat wollen, dann bitte richtig. Nur in einem echten Staat kann es einen Finanzausgleich nach deutschem Muster geben. Man kann sich nicht nur das Transfersystem herauspicken.

Vereinigte Staaten von Europa – da muss aber das Volk endlich mal befragt werden?

Unbedingt, und das hat das Bundesverfassungsgericht auch klargemacht. Ein noch Mehr an politischer Einigung bedarf der Zustimmung des Souveräns, und der Souverän ist das Volk.

Wir haben nun viel über den Euro und die EZB gesprochen. Was denken Sie grundsätzlich über das bestehende Geldsystem?

Man kann natürlich darüber nachdenken, ob irgendeine Form von „Deckung“ der Geldmenge sinnvoll wäre. Aber ehrlich gesagt gibt es doch gar nicht genug geeignete Sachwerte dafür, denken Sie z.B. an Gold. Man müsste die Sachwerte extrem aufwerten. Ich kann eigentlich mit dem bestehenden System gut leben, die Geldmenge lässt sich mit diszipliniertem Verhalten der Zentralbanken gut steuern, eine Sachdeckung ist gar nicht nötig, wenn man sich an die Regeln hält. Meine Hauptsorge gilt, wie bereits dargelegt, eher der Sozialisierung von Schulden. Jeder muss für sein eigenes Risiko haften!

Zuletzt machten Euro-Skeptiker in der Öffentlichkeit Furore. Hans-Olaf Henkel will sogar eine neue Partei gründen. Wäre ein politisches Engagement für Sie eine Option?

Ich respektiere und schätze Herrn Henkel, auch wenn ich einige seiner Positionen nicht teile. Er ist ein aufrechter Mann. Aber auf Ihre Frage ein ganz klares Nein: Ich bin Wissenschaftler aus Überzeugung und mit viel Freude und habe keinerlei politische Ambitionen.

Letzte Frage: Sind Sie selber an der Börse aktiv?

Nein, gegen die vielen Profis, die dort unterwegs sind, hätte ich wenig Chancen.

Die Fragen stellte Daniel Kühn.

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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