Kommentar
10:24 Uhr, 19.07.2022

Paniktief am Aktienmarkt erreicht?

Wie schlimme Verkaufspanik fühlten sich die vergangenen Tage und Wochen nicht an. Trotzdem sind die Bedingungen für ein Paniktief erreicht.

Erwähnte Instrumente

  • S&P 500
    ISIN: US78378X1072Kopiert
    Kursstand: 3.830,85 Pkt (S&P) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
  • S&P 500 - WKN: A0AET0 - ISIN: US78378X1072 - Kurs: 3.830,85 Pkt (S&P)

Panik lässt sich auf unterschiedliche Arten messen. Viel beachtet wird der Volatilitätsindex VIX. Dieser befindet sich auf erhöhtem Niveau, doch mit Werten um 30 ist er weit von Panik entfernt. Panik wird von Werten von 40 und mehr begleitet. Dass Anleger jedoch nicht unbedingt auf ein Volatilitätssignal warten sollten, hatte ich bereits beschrieben. Volatilität ist nur ein Maßstab. Ein anderer ist das Sentiment von Privatanlegern. Besonders robust erweist sich der Bull-Bear Spread (Anteil bullische Anleger minus bärische) als Indikator. Der mehrwöchige gleitende Durchschnitt zeigt einen Wert, der selbst während der Finanzkrise nicht erreicht wurde (Grafik 1). Das letzte Mal wurden kurzfristig tiefere Werte zu Beginn des Zweiten Golfkrieges gemessen.


Das Sentiment der Privatanleger ist zwar ein robuster Indikator, doch Vorsicht ist angebracht. Viele Anleger sind erst zu Pandemiebeginn an die Börse geströmt und haben einen großartigen Bullenmarkt erlebt. Vielen fehlt die Erfahrung eines Bärenmarktes, sodass die Stimmung besonders getrübt sein könnte.

Man muss sich aber nicht auf das Sentiment von Privatanlegern verlassen. Betrachtet man die neuen 52-Wochen-Hochs und -Tiefs, gab es zwei Spitzen, die ähnlich groß waren wie Anfang 2020, der Korrektur 2015/16 oder dem Crash 2011 (Grafik 2). Je tiefer die Werte, desto eindeutiger ist das Signal. Dass es jedoch nicht unbedingt historische Tiefstwerte benötigt, um einen Boden zu signalisieren, zeigt der Bärenmarkt vor 20 Jahren.


52-Wochen-Hochs und -Tiefs sind eine Art Marktbreite. Diese lässt sich auch anhand des Anteils von Aktien darstellen, die noch oberhalb ihres 50-Tagedurchschnitts notieren (Grafik 3). Hier wurde vor kurzem ein sehr tiefer Wert erreicht, den man durchaus als Panik klassifizieren kann.

Mindestens drei Indikatoren haben Werte erreicht, die auf ein Paniktief hindeuten. Schönheitsfehler gibt es dennoch. Der Anteil an Aktien oberhalb der 200-Tagelinie fiel tief, doch ein Niveau wie 2020 oder 2009 wurde nicht erreicht (Grafik 4). Immerhin fiel die Marktbreite so weit, dass sie sich mit der Korrektur von 20 % Ende 2018 oder dem Crash von 2011 im Sommer vergleichen lässt.

Eine Garantie, dass ein Paniktief erreicht wurde, gibt es nicht. Es ist auch unwahrscheinlich, dass Anleger noch mehr Klarheit erhalten. Das perfekte Setup, bei dem alle Indikatoren eindeutig und gleichzeitig Panik anzeigen, gibt es nicht.

Persönlich bin ich hin- und hergerissen. Das Umfeld ist dynamisch und sowohl eine ausgeprägte Rally als auch eine Fortsetzung des Bärenmarktes sind möglich. Es kommt darauf an, welche Risiken sich in den kommenden Wochen materialisieren und welche nicht.

Materialisieren sich bestimmte Risiken nicht, könnten wir das Paniktief gesehen haben, auch wenn es sich nicht so anfühlte. Kurzfristig warte ich weiterhin ab. Belastbare Tiefs werden für gewöhnlich von einer Trendwende bei den 52-Wochenhochs und Tiefs begleitet (Grafik 5). Es lohnt sich, auf eine Bestätigung zu warten.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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