Kommentar
14:18 Uhr, 21.06.2006

Orangensaft - Performance Pur

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Rohstoff-Report: Fakten zu Orangensaft

  • 1/3 der Welternte werden in Hurrikan-Einzugsgebiet angebaut
  • Bakterieller Befall Zitrusbrand kann jederzeit hohen Schaden anrichten
  • Brasilien mit 60% Produktionsanteil Weltmarktführer
  • Orangensaftpreis nur 1/3 unter Rekordständen
  • Charttechnik und Fundamentalanalyse sprechen für steigende Kurse

Performance pur

Seitdem wir Orangensaft im Mai 2005 das letzte Mal besprachen, stieg der Preis um 70% und konsolidiert nun seit einigen Monaten im Bereich von 165-150 Cents pro amerikanisches Pfund. Obwohl Orangensaft in den Medien fast keine Beachtung erhält, ist der Saft aus der Zitrusfrucht einer der heißesten Tipps für Rohstoffanleger. Denn immerhin kommen 42% aller Orangen aus dem Süden der USA, wo im Sommer und Herbst Hurrikans die Orangenhaine bedrohen. Das war noch nicht immer so. Früher standen die meisten Orangenbäume noch weiter im Norden Floridas und waren von den Hurrikans im Süden relativ gut geschützt. Wegen der Gebirgsketten, die vertikal zur amerikanischen Landmasse verlaufen, kann es immer wieder, trotz tropischer Temperaturen in Florida, zu plötzlichen Frosteinbrüchen kommen. Man hatte deshalb die Plantagen mehr und mehr in die südlichen Gebiete Floridas verlegt, ohne an Hurrikans zu denken. Die Preise stiegen im letzten Jahr schnell an, als Hurrikans viele Zitrusplantagen in Florida zerstörten. Da Orangen mehrjährige Pflanzen sind, kann die Produktion nicht beliebig von einem auf das andere Jahr ausgeweitet werden. Wird eine Plantage von Hurrikans zerstört, so dauert es 3-7 Jahre, bis die neu gepflanzten Bäume verwertbare Früchte tragen. Des einen Leid ist des anderen Freud! So auch bei Orangensaft, denn Brasilien rückte in den letzten Jahrzehnten vom unbedeutenden Grenzanbieter zum Weltmarktführer für den Vitamindrink auf. Seit den 80er Jahren konnte das Land am Zuckerhut seine Produktion mehr als verdoppeln. Ungeachtet dessen notieren die Orangensaftpreise heute nur noch rund ein Drittel unter ihren historischen Höchstständen. Die eigentliche Gefahr der Hurrikans ist dabei bisher noch gar nicht berücksichtigt. Denn starke Winde führen zu einer flugartigen Verbreitung einer Epidemie für die Orangenplantagen, den Zitrusbrand, der längerfristig zum Totalausfall der Ernten in Florida führen könnte. Keine guten Aussichten für amerikanischen Orangensaft, aber gute Aussichten für den langfristigen Anleger! Vielleicht werden dann doch irgendwann wieder historische Höchstpreise erreicht. Immerhin ist Orangensaft der Performer Nr. 1 des Jahres 2005.

Das Angebot

Wie bei vielen Soft Commodities sind es wieder einmal die USA und Brasilien, die den Weltmarkt beherrschen. Beide Länder zusammen stehen immerhin für nahezu 90% des Weltangebots. Dabei handelt es sich um räumlich sehr begrenzte Regionen: Florida in den USA und die nähere Umgebung von Sao Paulo in Brasilien. Das muss man sich erst einmal bildlich vorstellen: Kein anderer Rohstoff, nicht einmal Erdöl, wird auf vergleichbaren „Miniflächen“ erwirtschaftet. Deshalb ist auch die Angst vor Epidemien in den Orangenpflanzungen verständlich. Sollte sich in einer der beiden Regionen Zitrusbrand ausbreiten, wäre es um ungefähr die Hälfte des Weltangebots geschehen. Dagegen gäbe es wegen der Mehrjährigkeit der Orangenbäume dann auch kein Mittel. Zusätzlich gibt es auch einen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Anbaugebieten. Die US Produktion wird nahezu vollständig im eigenen Land, also in den USA, verbraucht, während Brasilien 85% der Ernte in Form von Orangen oder Saft exportiert. Was das nun wieder bedeutet, kann sich jeder vorstellen. Sollten die Plantagen in Florida durch Zitrusbrand vernichtet werden, dann würde sich die Nachfrage nach brasilianischer Ware schlagartig verdoppeln. Denn kaum ein Amerikaner käme auf die „abstruse“ Idee, auf seine frisch gepresste Orange oder den täglichen Orangensaft zu verzichten. Und die Zukunftsaussichten sind ja nicht gerade rosig. Niemand glaubt mehr, dass die Hurrikans in den nächsten Jahren ausbleiben werden. Zwar gibt es in den USA nach wie vor ausreichende Lagerbestände an Orangensaft. Wegen der zwei letzten, miserablen Ernten müssen diese aber aus brasilianischem Angebot aufgefüllt werden, so dass dort, also in Brasilien, die Bestände auf das niedrigste Niveau seit Beginn der 90er Jahre gesunken sind. Erst in diesem Jahr werden sich die brasilianischen Lagerbestände wieder etwas normalisieren. Die weltweite Orangensaftproduktion wird in diesem Jahr um voraussichtlich 4% auf 2,4 Millionen Tonnen anwachsen. Ein Rückgang konnte nur vermieden werden, weil der Marktführer Brasilien voraussichtlich 1,4 Millionen Tonnen und damit 9% mehr als noch im Vorjahr produzieren wird. Auf eine deutliche Erholung der US-Produktion kann wohl auf Sicht von Jahren nicht gehofft werden: Sie wird zwar in diesem Jahr voraussichtlich um 2% auf 709,000 Tonnen wachsen. Damit liegt sie allerdings 32% unter der Produktionsmenge von 2004, als es noch keine Schäden durch Hurrikan Wilma in Florida gab. Hurrikan Wilma drückte die Produktionsmenge in den USA im letzten Jahr auf das niedrigste Niveau seit 13 Jahren. Schwächer wird sich die Orangensaftproduktion in Mexiko und Spanien in diesem Jahr entwickeln.

Die Nachfrage

Im Gegensatz zu Brasilien, das fast allen Orangensaft für den Verkauf ins Ausland herstellt, konsumieren die USA mehr, als sie selbst produzieren. Einer US-Inlandsproduktion von 709,000 Tonnen steht in diesem Jahr ein Verbrauch von 962,000 Tonnen Orangensaft gegenüber. Damit sind die USA zur Deckung ihrer Nachfrage stärker denn je auf Brasilien angewiesen. 65% des US-amerikanischen Imports wird von dort gedeckt, weitere 15% kommen aus Mexiko. Beides sind Billiglohnländer und könnten mit ihren niedrigen Preisen für Orangensaft die US-Zitrusindustrie sprichwörtlich über Nacht ruinieren. Daher werden in den USA Zölle auf brasilianischen und mexikanischen Orangensaft von bis zu 60% erhoben. Brasilien verkauft 83% seiner Gesamtproduktion ans Ausland, 17% werden im Inland verbraucht. Doch nur 2% werden als Orangensaft verkauft, denn abgefüllter Orangensaft ist ganz im Gegensatz zu den Industrieländern in Brasilien ein Ladenhüter. Brasilianer kaufen lieber frische Orangen und stellen den Saft selbst her. Auf dem Exportmarkt spielen für Brasilien besonders die europäischen Kunden eine Rolle. Vor allem zu Deutschland sind die Beziehungen hervorragend, denn es waren ja deutschstämmige Farmer, die dort für den Auf- und Ausbau der Orangenplantagen gesorgt haben. Bevor diese brasilianischen „Deutschen“ zu Beginn der 60er Jahre den Anfang wagten, beherrschte Florida fast zu 100% den Weltmarkt. Vier Unternehmen, davon zwei brasilianische und zwei US amerikanische, kontrollieren heute 75% des Weltmarktes: Cargill und Louis Dreyfuss (USA), Citrosuco und Cutrale (Brasilien). Kleinere US Unternehmen waren in den vergangenen Jahren kaum noch rentabel und wurden deshalb zügig von den vier großen aufgekauft. Vor allem waren die beiden Brasilianer sehr aktiv in Florida, um sich ein Standbein in den USA aufzubauen. Alle vier Unternehmen sind privat geführt und deshalb für Anleger nicht zugänglich. Die chinesische Nachfrage stagniert aufgrund horrender Importpreise. Sie sind seit dem letzten Jahr um 50% gestiegen. Chinesische Zitrusbauern haben damit einen Anreiz, ihre eigene Produktion auszuweiten. Aufgrund der Mehrjährigkeit der Orangenbäume ist allerdings nicht zu erwarten, dass die chinesische Produktion kurzfristig deutlich steigen wird. Außerdem werden in China primär Orangensorten angebaut, die zum direkten Verzehr besser geeignet sind, als zur Saftherstellung.

Zusammenfassung

Orangensaft kann in der Zukunft durchaus knapp werden. Man stelle sich nur die dramatische Situation eines Totalausfalls in Florida durch Zitrusbrand oder mehrere heftige Hurrikans vor. Die unelastische amerikanische Nachfrage würde dann voll den Brasilianischen Farmern zugute kommen, und darüber wären diese sicherlich nicht unglücklich. Brasilien entwickelt sich ja ohnehin schon zum Weltrohstofflieferant Nr. 1 in den meisten Rohstoffen, übrigens sehr zum Leidwesen der Amerikaner. Orangensaft ist jetzt schon so knapp, dass langfristig mit weiteren Preissteigerungen zu rechnen ist. Aktuell scheint der Markt allerdings eine faire Bewertung erreicht zu haben. Es ist aber durchaus denkbar, dass die Hurrikans in den nächsten Monaten in den USA die Märkte gehörig durcheinander wirbeln werden. Wer nun an eine Anlage in Orangensaft denkt, sollte langfristig orientiert sein, weil der Markt sehr volatil bleiben wird. Interessenten sollten sich in den immer wiederkehrenden Schwächephasen des Marktes eindecken, um bei einem langfristigen Anlagehorizont nicht nervös zu werden. Alles kommt hier auf den günstigen Einstieg, das richtige Timing und auf viel Geduld an.

Verfolgen Sie regelmäßig den Rohstoff-Report und den dazwischen erscheinenden Wochenrückblick – dort werden wir laufend versuchen, Sie auf derartige zeitweise Chancen z.B. bei Orangensaft und auch anderen Rohstoffen aufmerksam machen.

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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