Kommentar
07:00 Uhr, 12.05.2025

Anleger sollten US-Zölle und Handelsabkommen relativieren

US-Präsident Donald Trump hat sich nun schon zum zweiten Mal als „Anlageberater“ hervorgetan. Das erste Mal rief er zum Kauf von Aktien auf, kurz bevor er die sogenannten „reziproken“ Zölle für 90 Tage pausierte.

Das zweite Mal war am vergangenen Donnerstag, wahrscheinlich im Hinblick auf das Handelsabkommen mit Großbritannien.

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In beiden Fällen legten die Aktienkurse anschließend stark zu. Beim ersten Mal erreichte der Dow Jones mit +7,87 % einen der größten Tagesanstiege aller Zeiten (siehe "Dow Jones: Aktienmarkt im dauerhaften Ausnahmezustand"), am Donnerstag stieg er immerhin um mehr als 600 Punkte bzw. 1,5 %.

Das ändert allerdings nichts mehr daran, dass die Märkte die Leistung des US-Präsidenten zunächst eher negativ bewertet haben. Wie die DWS berichtet, sah es nach den ersten 100 Tagen seiner zweiten Amtszeit wie folgt aus:

  • S&P 500: -7 %
  • Nasdaq 100: -9 %
  • Dollarindex: -9 %
  • Gold: +22 %
  • S&P 500 Volatilitätsindex (VIX): +53 %
  • Spread für US-Hochzinsanleihen: +124 Basispunkte
  • Conference Board Consumer Expectation Index: -23 % auf den niedrigsten Stand seit 2011

Für einen Präsidenten, der behauptet hat, die Kapitalmärkte seien die besten Richter seiner Politik, ist das wenig schmeichelhaft, so die DWS.

Handelsabkommen zwischen USA und Großbritannien

Dass die Märkte Trumps Leistung inzwischen deutlich positiver bewerten, mag einige überraschen, für andere durchaus plausibel sein. Und das gilt auch mit Blick auf das bekanntgegebene Handelsabkommen mit Großbritannien, welches in der typischen Trump-Manier als "großartig" und sogar "historisch" bezeichnet wurde. Experten werten es weit weniger euphorisch – im Gegenteil: Zwar wurde eine Einigung über einige wichtige Handelsthemen verkündet, doch nach einhelliger Meinung handelt es sich noch längst nicht um ein vollständiges Handelsabkommen. Und das Ergebnis ist immer noch schlechter als die Situation vor der Einführung neuer Zölle.

Denn die neuen Zölle der USA in Höhe von 10 % auf Importe aus Großbritannien bleiben bestehen. Lediglich die von Trump eingeführten Aufschläge auf Stahl und Aluminium werden komplett gestrichen. Dafür senkt Großbritannien seinerseits seine Zölle für US-Waren von 5,1 auf 1,8 %. Daneben gab es nur vereinzelte Erleichterungen beim Marktzugang, zum Beispiel für Rindfleisch und Ethanol aus den USA sowie britische Exporte von Autos und Flugzeugteilen in die USA. Außerdem soll eine britische Fluggesellschaft Boeing-Maschinen im Wert von 10 Milliarden USD kaufen. Und es soll Bürokratie abgebaut und US-Güter bevorzugt durch den britischen Zoll geschleust werden. Weitere Einzelheiten werden in den kommenden Wochen ausgearbeitet, so Trump.

Insgesamt ist das sogenannte Handelsabkommen also eher eine Enttäuschung. Und so verwundert es auch nicht, dass die 600 Punkte beim Dow Jones im weiteren Verlauf fast vollständig verloren gingen (siehe Chart oben).

Trump wird die neue Zollpolitik nicht vollständig aufgeben

Dies wohl auch vor dem Hintergrund, dass Trump zwar sagte, Großbritannien habe "ein gutes Geschäft" gemacht, viele andere Handelspartner könnten allerdings aufgrund ihrer großen Handelsüberschüsse mit den USA mit viel höheren endgültigen Zöllen konfrontiert werden.

Passend dazu kam am Freitag (unter anderem im Börsen-Live-Ticker von stock3) die Meldung, dass Trump Zölle in Höhe von 80 % auf chinesische Waren für angemessen hält. Zuvor hatte es Medienberichte gegeben, wonach die US-Regierung erwägt, die Zölle auf chinesische Importe von 145 % um mehr als die Hälfte zu senken. Die Zeitung "New York Post" berichtete, sie könnten sogar auf bis zu 50 % reduziert werden. Dadurch war die Meldung am Freitag eine Enttäuschung für die Märkte.

Die Aktienkurse machten zuerst einen Satz nach oben, wohl wegen der Info, dass die China-Zölle gesenkt werden, dann aber einen deutlichen Rücksetzer, weil es "nur" auf 80 % abwärts gehen könnte. Und anschließend setzte wieder "buy the dip" ein, wie der folgende Chart des Dow Jones beispielhaft zeigt.

Und das, obwohl der klare Eindruck bleibt, dass Trump keineswegs vorhat, Zölle vollständig abzuschaffen. Es zeichnet sich lediglich ab, dass es nicht so schlimm bleibt, wie es aktuell ist. Aber es wird wahrscheinlich auch nicht besser als vor der Einführung der neuen US-Zölle. Und daher war eigentlich zu erwarten, dass die Aktienmärkte ihre Rekordhochs vorerst nicht wieder sehen werden.

DAX auf neuem Rekordhoch – bin ich zu bearish?

Trotzdem ist der DAX am Freitag auf ein neues Rekordhoch gestiegen.

Bin ich also derzeit wieder zu bärisch? Wenn man die Analysen dieser Woche liest, könnte man dies wohl meinen. Doch tatsächlich geht es mir mit den Kursen an den Aktienmärkten lediglich etwas zu schnell bzw. vor allem schon wieder fast ohne nennenswerte Rücksetzer nach oben.

Zumal die vorherige Rally noch gar nicht lange genug und somit ausreichend korrigiert wurde. Daher kommt der Markt im kurzfristigen Bereich von einer charttechnischen Übertreibung in die nächste – und das in einer Situation, in der die Aktien fundamental hoch bewertet sind (siehe "Sind DAX-Werte nun die neuen Magnificent 7?") und sich das Wirtschaftswachstum wegen der US-Zölle aller Voraussicht nach abgeschwächt. Das passt einfach nicht zusammen.

Wie schlimm sind die US-Zölle?

Aber grundsätzlich gilt dabei, dass die Handelspolitik der USA wohl keinen so großen Schaden anrichtet, wie es teilweise den Eindruck gemacht hat – nicht nur durch die kurzzeitigen crashartigen Kursverluste, sondern auch durch die mediale Berichterstattung.

Ich erinnere daran, dass ich berichtete, das (reale) Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU könnte über alle Mitgliedstaaten hinweg im Durchschnitt um 0,25 % niedriger ausfallen und das deutsche BIP um 0,33 % schrumpfen (siehe "US-Zölle: Das sollten Sie im aktuellen Umfeld tun"). Das ist definitiv kein Beinbruch. Vielmehr liegt es im Rahmen völlig normaler Prognose-Revisionen. Hätte ein Wirtschaftsinstitut die Erwartung für das deutsche BIP um 0,33 % gesenkt, ohne dass die USA den Zollkonflikt vom Zaun gebrochen hätten, hätte da kein Hahn nach gekräht (siehe dazu auch "DAX: Autozölle richten begrenzten Schaden an").

Zu stark gestiegen, zu stark eingebrochen und nun wieder zu stark gestiegen

Also gilt es, die Zollproblematik deutlich zu relativieren. Relativieren muss man dann allerdings auch den positiven Effekt von Handelsabkommen. Und so bleibt, dass die Aktienkurse einfach wieder einmal zu schnell gestiegen und damit relativ hoch bewertet sind. Nicht mehr und nicht weniger. Ich erhoffe mir daher eine Gegenbewegung, damit man in einer charttechnisch weniger überkauften Marktlage wieder neue Long-Positionen eingehen kann.

Genau für diese Haltung erhielt ich kürzlich von einem Leser Zuspruch, als ich schrieb, dass ich das aktuelle "buy the dip" nicht mitmache (siehe "US-BIP: Aktienmärkte auf dem falschen Fuß erwischt"). "Das entspricht auch meiner Meinung", pflichtete mir der Leser bei.

Meine Antwort lautete:

"Ich mache das ‚buy the dip‘ nicht mit vor dem Hintergrund, dass sich bei dem von mir betreuten Börsenbrief ‚Börse-Intern Premium‘ Aktien deutscher Werte bereits im Depot befinden, die schon von der Aufwärtsbewegung von DAX & Co. profitieren. Hinzugekauft habe ich allerdings nicht. Stattdessen warte ich auf gute Gelegenheiten, prozentual zweistellige Gewinne zu realisieren, um auf einen erneuten Rücksetzer zu warten. […]"

Die prozentual zweistelligen Gewinne habe ich inzwischen für die Leser realisiert, wie ich am Donnerstag (+10 % mit Wüstenrot & Württembergische) und am Dienstag (+21,54 % bzw. +28 % mit Aumann) bereits berichtete. Damit kann sich die Bilanz der in diesem Jahr bislang beendeten Trades absolut sehen lassen:

Zumal das Depot mit einer Rendite von +9,05 % seit Jahresbeginn gerade erst ein neues Jahreshoch erreicht hat. Es ist daher durchaus so, dass ich mich mit der Kursentwicklung der Märkte anfreunden kann. Aber mit einer Cash-Quote von inzwischen fast 74 % wäre es mir nun sehr Recht, wenn es zu einem erneuten Rücksetzer am Gesamtmarkt käme, damit man in einer charttechnisch weniger überkauften Marktlage wieder neue Long-Positionen eingehen kann.

Vor diesem Hintergrund wäre es nun optimal, wenn sich das frische Rekordhoch des DAX als nicht nachhaltig und somit Bullenfalle erweist und dieser Fehlausbruch zu der typischen starken Bewegung in die entgegengesetzte Richtung führt, die sich häufig nach Fehlsignalen beobachten lässt.

Ob es so kommt, bleibt freilich abzuwarten. Aber angesichts der hohen Cash-Quote kann ich die weitere Entwicklung der Börsen gelassen beobachten. Ich hoffe, Dir geht es ähnlich!

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1 Kommentar

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  • Dannnn
    Dannnn

    Kasino halt. Die Q2 Zahlen regulieren dann wieder, wenn die Banken den Verkaufsdruck herstellen. 😎

    08:12 Uhr, 12.05.