Kommentar
08:47 Uhr, 18.01.2016

Öl: Nochmalige Halbierung oder Erholung?

Die Fronten unter den Analysten verhärten sich. Die einen sprechen sich immer entschiedener für eine Bodenbildung aus, die anderen werfen mit immer tieferen Kurszielen um sich. Was sollen Anleger damit bloß anfangen?

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Kaum jemand hätte vor zwei Jahren gedacht, dass der Ölpreis jemals wieder unter 30 Dollar fallen könnte. So kann man sich irren. Es ist auch eine schöne Lektion für Anleger, denn es ruft nach einer jahrelangen Einbahnstraße an den Märkten in Erinnerung, dass im Prinzip alles möglich ist.

Auf dem Weg zum endgültigen Tief durchlaufen Anleger verschiedene Emotionen. In einem klassischen Bärenmarkt sehen diese wie in Grafik 1 dargestellt aus. Der erste Preisrutsch ruft Ungläubigkeit hervor. Die Preise fallen zwar, doch wirklich wahrhaben will das niemand. Man glaubt einfach nicht, was man sieht.

Der Unglaube liegt nicht nur daran, dass viele Anleger gegen den neuen Trend positioniert sind, sondern auch daran, dass überhaupt kein Grund für den Trendwechsel zu bestehen scheint. Obwohl der Ölpreis ab Sommer 2014 nur noch eine Richtung kannte, war bis Ende 2014 den meisten nicht klar, worum es bei dem Preisrutsch überhaupt ging.

Als dann auch der letzte begriffen hatte, worum es ging, bildete der Ölpreis ein erstes Tief Anfang 2015 aus. Zu diesem Zeitpunkt hatten alle verkauft, die verkaufen wollten. Es handelte sich um Anleger, die die Dramatik der Lage erkannt hatten. Andere wussten zu diesem Zeitpunkt zwar, worum es ging, weigerten sich aber die Folgen anzuerkennen.

Die Preise stiegen eine Zeit lang. Das ist mit vielen Hoffnungen verbunden. Diejenigen, die in der ersten Abwärtswelle nicht verkauft hatten, fühlten sich bestätigt. Andere Anleger sprangen kurzfristig auf die Erholung auf und trieben den Kurs 40 % nach oben. In einer solchen Zwischenerholung sind Anleger froh und fühlen sich bestätigt, wenn sie zuvor nicht verkauft hatten. Umso überraschender kommt dann die nächste Abwärtswelle.

In diesem Erkenntnisprozess begreifen viele, dass sie die Folgen der Vorgänge vermutlich nicht richtig eingeschätzt hatten. Es wird verkauft und leerverkauft. Das muss noch nicht in der endgültigen Kapitulation enden. Eine Erholung, ausgelöst etwa durch einen Short Squeeze, kann jederzeit stattfinden. So war es auch diesmal.

Seit 3 Monaten müssen Anleger nun zusehen, wie sich der Kurs von 50 Dollar auf unter 30 Dollar je Barrel fast noch einmal halbiert hat. Viele sehen darin nun die Kapitulation, zumal der Ölpreis zuletzt immer schneller fiel. Ein beschleunigter Abverkauf ist eine gute Voraussetzung für eine Übertreibung, für Panik und für Kapitulation. Wer sich aufgrund dessen jedoch gleich mit großen Positionen in den Markt bewegen möchte, sei gewarnt: so mancher Bärenmarkt hatte 3, 4 oder 5 größere Zwischenerholungen, bevor er vorbei war.

Ein klassischer Bärenmarkt kommt für gewöhnlich mit zwei größeren Zwischenerholungen aus, aber was ist an diesem Bärenmarkt schon klassisch? Weder Analysten noch langjährige Kenner der Branche, die in der Ölindustrie gearbeitet haben, können den Markt richtig einschätzen. Keiner kann das. Jeder läuft letztlich blind im Markt herum.

Es gibt gute Argumente dafür, dass wir uns in der Kapitulationsphase befinden. Dazu zählen die immer absurderen Kursziele, die bis in den Bereich von 0 Dollar je Barrel reichen. Viele Magazine und Seiten im Internet kennen fast nur noch dieses eine Thema. Man kann die Untergangsstimmung förmlich greifen und wenn ausgerufen wird, dass Öl für mindestens 10 Jahre unter 40 oder 50 Dollar notieren wird, dann grenzt das an maßlose Selbstüberschätzung.

Wer den Preisverlauf eines Rohstoffs oder einer Aktie mit absoluter Sicherheit über viele Jahre in den Raum wirft und überhaupt keinen Zweifel hat, dass es genau so kommen wird, dann ist das häufig ein Zeichen. Diejenigen, die noch investiert sind, kapitulieren und verkaufen. Sie haben keine Hoffnung mehr, dass es jemals wieder nach oben gehen könnte. Diejenigen, die nicht investiert sind, werfen mit abwegigen Schlagzeilen und Kurszielen um sich.

Wenn erst einmal alle Anleger verkauft haben und sich alle sicher sind, dass Öl „nie wieder“ steigen wird, dann ist der Boden erreicht. Aber ist es schon soweit? Obwohl eine Mehrheit den Bären zugehörig erscheint, gibt es doch auch viele Analysten, die die Bodenbildung ausrufen. Es sind zu viele, um das zu ignorieren und fest von einer Kapitulation der Anleger überzeugt zu sein.
Analysten geben durch ihre Schlagzeilen Hinweise auf die Stimmung und Übertreibungen der Märkte. Sie können mit ihrer Einschätzung aber auch gründlich daneben liegen, wenn sie mit ihren Schlagzeilen an der Stimmung des Marktes vorbei berichten. Viele Branchenkenner sehen zwar angespannte Manager, aber sie sehen keine Panik in ihren Gesichtern. Das sollte zu denken geben.
Wieso vielen Produzenten noch nicht der Angstschweiß auf der Stirn steht, zeigt Grafik 2. Dargestellt sind die Cash Kosten und – soweit bekannt – die Breakeven Kosten der Ölproduktion. Die Cash Kosten sind das absolute Minimum, was die Produzenten brauchen, um einen Anreiz zur Produktion zu haben. Die Cash Kosten sind die Kosten, die anfallen, wenn mit bestehenden Anlagen Öl gefördert wird. Sie sind die kurzfristigen, operativen Kosten.

Die Breakeven Kosten beinhalten alle Fixkosten sowie Investitionen, die gebraucht werden, um neue Quellen zu finden und zu erschließen. Um auf Sicht von Monaten oder wenigen Jahren zu überleben brauchen Unternehmen Preise im Bereich der Cash Kosten. Erst wenn der Ölpreis darunter fällt macht die Produktion keinen Sinn mehr. Sie sichert dann nicht mehr das Überleben, sondern beschleunigt das Ableben.

Keiner weiß ganz genau, wo die Cash Kosten liegen. Daher kann man auch nicht mit Sicherheit sagen, ab welchem Preis die Produktion drastisch gekürzt wird. Viele Länder können derzeit zu Kosten von 10 bis 20 Dollar je Barrel produzieren. Zu diesen Kosten stehen geschätzt 85 Mio. Barrel Produktion pro Tag zur Verfügung. Der weltweite Tagesverbrauch liegt derzeit bei knapp 94 Mio. Barrel. Dieser Bedarf wird bei Preisen unter 20 USD nicht mehr gedeckt sein.

Bei Preisen unter 30 Dollar sollten die Produktionskürzungen beginnen. Das kann kurzfristig vom Iran und anderen Produzenten aufgefangen werden. Ab 25 Dollar je Barrel sollte das nicht mehr möglich sein. Bis sich die Kürzungen bemerkbar machen, können Wochen vergehen. Die Ölpreise können also durchaus unter 25 Dollar oder sogar unter 20 Dollar fallen. Das dürfte jedoch nur ein sehr kurzer Dip werden.

Ist der Preis einmal gefunden, zu dem die Produktion weltweit um 5 Mio. Barrel pro Tag gekürzt wird, setzt eine größere Erholung des Ölpreises ein. Viele Produzenten werden diese Erholung nutzen, um ihre Förderung so schnell wie möglich hochzufahren. Aus fundamentaler Sicht ist eine nachhaltige Erholung nicht zu erwarten. Diese wird erst einsetzen, wenn klar wird, wie viel Kapazität in Zukunft wegfallen wird.
Unternehmen streichen ihre Investitionen. Das führt vermutlich ab 2018 zu einem Produktionsrückgang. Bis dahin kommen jedoch noch bestehende Projekte auf den Markt, die erst 2016 und 2017 fertig gestellt werden. Die weltweite Förderkapazität dürfte vor 2018 nicht merklich schrumpfen.

Unkonventionelle Quellen sind relativ schnell erschöpft. Hier beträgt der jährliche Rückgang der Produktion aus einer bestehenden Quelle oftmals 30 bis 70 % pro Jahr. Ohne höhere Preise und Ersatzinvestitionen sind diese Quellen 2017 so gut wie erschöpft. 2016 kann eine Erholung der Preise einsetzen. Der erste, rasche Preisanstieg wird vermutlich von einem weiteren Preisverfall zu den Tiefs gefolgt werden. Ein Doppelboden wäre klassisch. Anleger müssen sich also, wenn eine Rallye einsetzt, keine allzu großen Gedanken machen, dass sie etwas verpassen. Man kann ruhig auf das zweite Tief warten.

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  • While E. Coyote
    While E. Coyote

    Angebot und Nachfrage bilden den Preis, solange mehr angeboten als nachgefragt wird wird's schwer mit steigenden Preisen, lediglich das Schließen von Shortpositionen könnte kurzfristig für Linderung im Preiskampf sorgen. Ansonsten bleibt nur das Warten darauf dass Anbieter ausscheiden. Die Zähigkeit der Produzenten in USA und CAN haben wir wohl alle stark unterschätzt.

    10:20 Uhr, 18.01. 2016
  • netzadler
    netzadler

    rein theoretisch kann es locker unter die 20 Dollar gehen. als saudi Arabien kann ich locker auch unter die cashkosten gehen, wenn ich weiss, dass ich die größten cash Reserven habe und andere länder dies nicht so lange durchhalten. so hole ich mir noch weitere Marktanteile.

    das ist für mich schon so etwas wie krieg. die Saudis gehen von ihrer Überlegenheit aus.

    die niedrigen Ölpreise sind ein Fiasko für die Weltwirtschaft. sie wirken extrem deflationär und es folgen diverse zweit- und drittrundeneffekte. damit wäre Saudi Arabien mit am tisch der geopolitischen big Player.

    10:16 Uhr, 18.01. 2016
    1 Antwort anzeigen
  • S_o_r_o_s
    S_o_r_o_s

    Öl wird wahrscheinlich morgen das vorläufige Tief erreichen, der Bereich 27.70 / 27,80 war früher auch mal eine Unterstützung. Bin aber schon long seit Freitag. (ko 24USD)

    Ich rechne auch mit einem schnellen, heftigen Anstieg bis 44 USD.

    Das eigentliche Tief kommt dann, wenn der Iran seine Förderung nachhaltig erhöht. Dann sieht man ja, was die tatsächlich fördern und braucht nicht mehr wild herum zu spekulieren. Soll wohl im Sommer sein.

    Eigentlich war der Preisanstieg bis 2011 ja nur ne Echo Blase.

    Kann mir kaum vorstellen, dass Öl nochmal nachhaltig über 60 Dollar geht - (kurzfristig ein Peak bei 86 USD wäre nochmal drin, wegen kurzfristiger Angebotsknappheit, da alle ihre Investitionen zurückfahren) - denn dann steht die Opec ja wieder vor dem gleichen Problem mit den Frackern.

    10:16 Uhr, 18.01. 2016
  • Dieter_HW
    Dieter_HW

    Guten Morgen,

    es ist mir immer wieder ein Rätsel, warum bei einem so tiefem Ölpreis gejammert wird. An den Tankstellen haben wir jetzt einen Preis der ca. 2004 zuletzt angeboten wurde. Rechnet man den Europreis in die gute alte D-Mark um, wären wir immer noch im Bereich von zu teuer.

    Die ganzen arabischen Länder sind ja nicht reich geworden durch vernünftige Preisstellungen, sondern es wurde ein Monopol gnadenlos ausgenutzt. Und dieser Status scheint derzeit zu bröckeln. Der Markt schickt die Anbieter dahin, wo sie hingehören: in die Wüste.

    09:14 Uhr, 18.01. 2016
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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