Fundamentale Nachricht
09:39 Uhr, 31.12.2019

Marktzyklen: Und täglich grüßt das Murmeltier

Zyklen beginnen und enden mit Ungleichgewichten von Angebot und Nachfrage. Heute sind die Ungleichgewichte weniger offensichtlich als in früheren Zyklen, werden Robert M. Almeida, MFS Global Investment Strategist, zufolge aber immer klarer.

Bei Temperaturen unter null und einer ausreichend hohen Luftfeuchtigkeit bilden sich aus winzigen Eiskristallen Schneeflocken. Wenn es dann schneit, folgt jede einzelne Flocke ihrem eigenen Weg durch unterschiedliche Luftschichten. Dadurch bekommt sie ihre einzigartige Form. Keine zwei Schneeflocken sind genau gleich, und bei Marktzyklen ist es nicht anders. Doch ähnlich wie bei Schneeflocken gibt es auch bei Marktzyklen bekannte Muster. Alle Finanzmarktzyklen beginnen und enden mit Ungleichgewichten von Angebot und Nachfrage.

Angebot und Nachfrage an den Finanzmärkten

Zu Beginn des Zyklus erholen sich die Märkte von einer Korrektur oder etwas noch Schlimmerem. Die Unsicherheit ist groß, die Investoren sind frustriert, und es mangelt ihnen an Kapital. Entsprechend gering ist die Anlegernachfrage, entsprechend hoch ist das Angebot. Neben der Chance auf sehr hohe Erträge führt dies auch zu außergewöhnlich hohen Risikoprämien. Exemplarisch dafür stehen Marktphasen, in denen die Renditen von High-Yield- Anleihen um 800 Basispunkte oder mehr über denen von US-Staatsanleihen liegen.

Einige wenige Anleger nutzen dies und investieren. Die Börsenumsätze sind gering, die Erträge sind hoch, und die Volatilität geht zurück. Die jetzt wieder attraktiven risikoadjustierten Erträge schaffen neues Vertrauen, sodass mehr Kapital in die Märkte strömt. Die Nachfrage steigt, und es gibt immer weniger fehlbewertete Titel. Dies sorgt für noch höhere Erträge und eine noch geringere Volatilität.

Angebot und Nachfrage erreichen ein neues Gleichgewicht, und die Risikoprämien gehen zur Zyklusmitte auf ihren Durchschnitt zurück. Die Renditen von High-Yield-Anleihen liegen im Schnitt etwa 500 Basispunkte über denen von US-Staatsanleihen. Die Finanzmärkte funktionieren lehrbuchmäßig, und das Kapital wird so investiert, wie es zu den wahrgenommenen Risiken und Ertragserwartungen passt.

Die Märkte sind allerdings komplex, und man kann sie nicht mit Sicherheit vorhersagen. Außerdem verstärken sich Entwicklungen selbst. Käufe führen zu neuen Käufen, Verkäufe zu neuen Verkäufen. Auch wenn die Aussicht auf hohe Erträge zur Zyklusmitte abnimmt, steigt die Anlegernachfrage. Weil das Vertrauen hoch ist, werden oft Wertpapierkredite aufgenommen, um die Erträge zu steigern und einen Ausgleich für das im Vergleich zur Frühphase und zur Zyklusmitte niedrigere Ertragspotenzial zu schaffen. Wenn die Investoren jetzt versuchen, an die Erträge vom Zyklusbeginn anzuknüpfen, analysieren sie die Risiken und Ertragsaussichten möglicherweise nicht mehr so sorgfältig. Dies führt zu Fehlern und Fehlallokationen.

Ausgerechnet die Stabilität zur Zyklusmitte, wenn sich Angebot und Nachfrage weitgehend im Gleichgewicht befinden, bereitet einer neuen Instabilität den Boden. Die Nachfrage übersteigt das Angebot, und es entstehen Marktungleichgewichte.

Wo stehen wir heute?

Wenn wir die Bücher für 2019 schließen und damit die enormen risikoadjustierten Erträge nicht nur dieses Jahres, sondern auch der letzten elf Jahre Geschichte sind, fällt mir auf, wie gern Marktteilnehmer über die lange Dauer dieses Zyklus sprechen und schreiben. Aber kommt es wirklich auf die Länge an? Ist sie wirklich ein Risikofaktor? Ich glaube nicht. Die Märkte korrigieren aufgrund von Ungleichgewichten und nicht weil der Zyklus in die Jahre gekommen ist. Entscheidend sind die Marktphase, in der wir uns befinden, und das Verhältnis von Risiko und Ertrag. Befinden wir uns am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Zyklus? Und wenn wir uns am Zyklusende befinden: Wo wurde Kapital falsch eingesetzt, und wo sind die Risiken für die Investoren am höchsten?

Wir glauben, dass es durchaus Anzeichen für das nahende Zyklusende gibt. In den 1990er- und 2000er-Jahren gab es bei Technologiewerten und Immobilien massive Übertreibungen. Diesmal sind die Übertreibungen weniger offensichtlich. Doch wie ich im Oktober bereits geschrieben hatte, wird immer klarer, dass die Unternehmen zu sehr darauf setzten, kurzfristige Investoren zufriedenzustellen.

Aktien- und Anleihenerträge entwickelten sich in diesem Zyklus recht stetig und fast im Gleichschritt. Das Markt- oder Assetklassen-Beta dürfte fast den gesamten Portfolioertrag ausmachen, das Alpha spielt nur eine minimale Rolle. Dies ist typisch für die Zyklusmitte und das Zyklusende, wenn die Investorennachfrage das Angebot deutlich übersteigt und das Kapital recht willkürlich investiert wird.

Klug wählen

Wir glauben, dass wir uns zurzeit in der Endphase des Zyklus befinden. Deshalb halten wir eine sorgfältige Einzelwertauswahl und die Vermeidung von Fehlern für entscheidend. Entsprechend wichtig ist es uns, in Aktien und Anleihen von Unternehmen mit nachhaltigen Cashflows, wertvollem geistigen Eigentum und hohen Markteintrittsschranken zu investieren.

Manchmal ist es nicht leicht, vorherzusagen, wann es schneit. Um aber zu erklären, warum es schneit, muss man kein Meteorologe sein. Grundsätzlich wissen wir, wann es schneien kann. Die Märkte können mitunter noch unberechenbarer sein als das Wetter – aber wenn die Risiken erhöht sind und es an Ertragsperspektiven mangelt, muss man kein Stratege sein, um die aktuelle Marktphase zu erkennen.

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