Kommentar
10:32 Uhr, 18.10.2005

Lateinamerika bietet langfristig Potenzial

Langfristig sind Anlagen in lateinamerikanischen Aktien nach wie vor sinnvoll. In der gesamten Region verbessern sich die makroökonomischen Fundamentaldaten und die weltweite Nachfrage nach lateinamerikanischen Finanzanlangen bleibt hoch. Obwohl diese Märkte in den letzten Jahren bereits gut gelaufen sind, bleiben die Bewertungen vergleichsweise attraktiv. Zwar kann die Politik mittelfristig zu einer gewissen Volatilität am Markt führen (angesichts von acht Kongress- und Präsidentschafts-wahlen in den nächsten 14 Monaten). Wir möchten allerdings betonen, dass es - allgemein ausgedrückt - in Lateinamerika einen zunehmenden politischen Konsens in der Wirtschaftspolitik gibt. Folglich wirken sich eventuell unerwünschte Wahlergebnisse nur begrenzt aus.

Die makroökonomischen Fundamentaldaten in Lateinamerika erscheinen relativ gesund. Die Leistungsbilanzen sind dank höherer Preise für Rohstoffe wie Öl und Kupfer solider geworden. Das Inflationsumfeld ist günstig, vor allem bei den Nahrungsmittelpreisen, die einen bedeutenden Faktor in Ländern darstellen, in denen der größte Teil der Bevölkerung nur über geringe Einkommen verfügt. Die Zinsen fallen (vor allem an den wichtigsten Märkten Brasilien und Mexiko). Die Direktinvestitionen aus dem Ausland (FD) nehmen in den meisten Ländern Lateinamerikas weiter zu und liegen über den Erwartungen.

Betrachtet man die einzelnen Länder, so stellt Brasilien mit Abstand den größten Markt in der Region dar, seine Konjunkturzahlen bleiben extrem gut. Die Aussichten sind erfreulich, Brasiliens Anteil am Welthandel steigt - trotz der Währungsaufwertung nahm der Handelsbilanzüberschuss zu. Wir erkennen auch einen Anstieg der Investitionen und halten die Konsumausgaben für den nächsten Treiber der Volkswirtschaft. Die Inflation scheint unter Kontrolle, die Zinsen tendieren nach unten und die Haushaltslage der Regierung bleibt günstig. Negativ wäre eventuell zu vermerken, dass wir nicht wissen, wie flexibel die Regierung auf sinkende Einnahmen aufgrund von nachgebenden Rohstoffpreisen reagieren wird. Allerdings gehen wir davon aus, dass sich die Regierung wohl kaum so hoch verschulden dürfte, dass Investoren abgeschreckt würden.

In Mexiko, dem zweitgrößten Markt in der Region, besteht angesichts der niedrigen Inflation viel Spielraum für Zinssenkungen. Allerdings verliert Mexiko Marktanteile bei Exporten in die USA an China, und die Abhängigkeit der mexikanischen Wirtschaft von der schwächelnden US-Automobilindustrie stellt ein weiteres Problem dar. Positiv ist die Stärke der Währung am Devisenmarkt zu vermerken, und die zunehmende Nachfrage der Verbraucher nach Bankkrediten.

Die starke Wirtschaftsleistung Chiles dürfte nach unserer Meinung solange anhalten, wie der Kupferpreis (ein bedeutender Exortfaktor) hoch bleibt - und das hängt vor allem von der künftigen Nachfrage aus China ab. Derzeit erfreut sich Chile eines Überschusses von USD 4 Mrd. aus Kupferexporten minus Ölimporten. Analog zu Brasilien wird einer der Schlüsselfaktoren sein, wie die Regierung Chiles auf eventuell sinkende Einnahmen aus dem Kupfergeschäft reagieren wird. Dagegen steht Argentinien als Volkswirtschaft wohl am Scheideweg - derzeit profitiert das Land von Zinsen und einem Wechselkurs, die künstlich niedrig gehalten werden. Die Regierung wird entscheiden müssen, ob sie die aus dieser Politik resultierende höhere Inflation tolerieren kann. Dagegen beträgt die Inflationsrate in Peru lediglich etwa 2%, die Zinsen sind niedrig und das BIP wächst mit etwa 5%. Die Wirtschaft profitiert von steigenden Preisen für Rohstoffe, in letzter Zeit auch für Gold. Für diesen Markt wird es wichtig sein, ob das Land in den nächsten 18 Monaten den Status Investment Grade erhalten wird.

Aus makroökonomischer Sicht ist Lateinamerika weitgehend gesund. Allerdings können die Wahlen, die gegen Ende dieses Jahres und 2006 stattfinden, eine gewisse Volatilität am Markt bewirken. In Brasilien führen die Skandale im Umfeld der Regierung des Präsidenten Lula dazu, dass er die für Oktober 2006 angesetzten Wahlen eventuell nicht gewinnen kann. Während der alternative Präsident Jose Serra von der wirtschaftsfreundlicheren PSDB-Partei für die Anleger mehr als akzeptabel wäre, so dürfte die Vorstellung, dass die Wahlen knapp ausgehen könnten, zu einer stärkeren Volatilität am Markt führen. In Mexiko dagegen erwarten wir zwar in den für Juli 2006 angesetzten Wahlen einen Sieg der PRI-Partei (die eine lange Historie als Regierungspartei aufweist), aber es ist durchaus möglich, dass der Populist Manual Lopez Obrador, der ehemalige Bürgermeister von Mexico City, siegen wird. Lopez Obrador ist eine unbekannte Größe. Würde er in den Meinungsumfragen wie bisher vorne liegen, so würde sich dies voraussichtlich auf die Währung und den lokalen Aktienmarkt auswirken. Allerdings sollte man dabei die anhaltende "Entpolitisierung" der Wirtschaftspolitik in Lateinamerika berücksichtigen. In der Region ist heute die Einigkeit wesentlich stärker als früher. Dies beruht zu einem wesentlichen Teil darauf, dass die Wähler die wirklichen Vorteile der wirtschaftlichen Liberalisierung in ihrem eigenen Leben erfahren. Dies dürfte nach unserer Meinung die Auswirkungen von Wahlergebnissen, die von den Anlegern nicht begrüßt werden, abschwächen.

Ein weiterer Faktor, der für Lateinamerika spricht, ist die anhaltend starke Nachfrage von Anlegern in aller Welt nach den Finanzanlagen der Region. Vor allem die Bewertungen des Aktienmarkts bleiben relativ attraktiv, und dies trotz der bisher starken Marktentwicklung. Die Bewertungen profitieren vom außerordentlichen Wachstum der Unternehmensgewinne. Generell ist die Eigenkapitalrendite der lateinamerikanischen Unternehmen äußerst gut. Die Unternehmen werden zunehmend besser geführt und achten verstärkt auf die Interessen der Aktionäre. Ein Aspekt ist das Volumen der Aktienemissionen - etwa USD 3 Mrd. sind bis zum Jahresende geplant -, obwohl das Volumen im Vergleich zu den Emissionen in Asien / China nicht übertrieben erscheint, vor allem wenn man die starke Nachfrage nach diesen Anlagen berücksichtigt. Aus unserer Sicht finden wir attraktiv bewertete Aktien in Brasilien, während Peru angemessen bewertete Möglichkeiten bietet. In Mexiko allerdings sind die Aktienbewertungen und die wirtschaftlichen Aussichten nicht gerade aufregend, und auch die anhaltende politische Unsicherheit führt zu steigender Besorgnis. Auf Branchenebene bevorzugen wir Unternehmen im Bereich nichtzyklische Konsumgüter. Sie dürften von der steigenden Kaufkraft der Verbraucher profitieren. Zudem setzen wir auch auf Finanztitel - hier sind allgemein vor allem die Banken unverändert profitabel -, sowie auf Industrieaktien.

Insgesamt bewerten wir die in Lateinamerika verfügbaren langfristigen Investment-Möglichkeiten als positiv. Obwohl es aufgrund politischer Risiken ein gewisses Potenzial für Volatilität gibt, ist dieser Faktor heute weniger schwer wiegend als in der Vergangenheit. Die Volkswirtschaften der Region entwickeln sich erfreulich. Sie profitieren von der Stärke der Rohstoffpreise. Die Nachfrage der globalen Investoren nach diesen Anlagen ist robust, und die Bewertungen bleiben attraktiv.

Quelle: Schroders

Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. März 2005 rund 158,2 Mrd. Euro.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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