Kommentar
08:12 Uhr, 23.03.2016

Künstliche Intelligenz: Sind wir auf dem Weg in die Massenarbeitslosigkeit?

Gerade erst rutschte die US-Arbeitslosenrate unter die Marke von 5% und in Europa scheint eine Arbeitslosenquote von weniger als 10% in greifbarer Nähe zu sein. Was wie ein Erfolg wirkt, ist nichts weiter als eine kleine Verschnaufpause. Die ganz große Krise des Arbeitsmarktes steht uns noch bevor.

So langsam wird es ernst, obwohl der Trend der Arbeitslosenraten in Europa und Nordamerika stimmt. Massenarbeitslosigkeit wird nicht sofort zum großen Thema, doch es wird kommen. Wenn es kommt, dann sehr plötzlich. Viele Regierungen dürften überrascht werden und vollkommen überfordert sein. Aktuell bewegt sich die Welt auf ein absolutes Desaster zu.

Das Desaster für den Arbeitsmarkt heißt künstliche Intelligenz. Viele halten künstliche Intelligenz (AI – Artificial Intelligence) für eine Zukunftsvision, die sich innerhalb der nächsten 20 oder 30 Jahre nicht materialisieren wird. Wenn uns die Geschichte jedoch eines lehrt dann gewiss, dass der Wandel sehr schnell kommt, wenn er überhaupt kommt.

Von den ersten Anfängen des Internets brauchte es Jahrzehnte, bis die Welt überhaupt davon Notiz nahm. Selbst im beginnenden Hype Mitte der 90er Jahre waren Emails noch exotisch. 10 Jahre später war daran nichts mehr exotisch und die ganze Welt begann sich über Facebook zu vernetzen. Noch einmal 10 Jahre später geht ohne Internet gar nichts mehr.

Die Entwicklung des Internets mag sich „natürlich“ und langsam anfühlen, doch in Wirklichkeit ist der Fortschritt rasend schnell. Die Entwicklung ist auch noch nicht zu Ende. 2014 waren 3,8 Mrd. Geräte (Smartphones, Computer etc.) mit dem Internet verbunden. 2015 waren es 4,9 Mrd. und dieses Jahr dürften 6,4 Mrd. Geräte erreicht werden. Bis 2020 soll die Zahl auf 21 Mrd. steigen. Das entspricht fast drei verbundenen Geräten pro Mensch.

Je mehr Geräte - ob Smartphones, Heizungen oder Kühlschränke - mit dem Internet verbunden werden, desto mehr Daten werden produziert. Die zunehmende Datenmenge ist das Herzstück der Entwicklung des Internets. 90 % aller Information, die existiert, wurde in den vergangenen zwei Jahren geschaffen. Aktuell verdoppelt sich die Datenmenge alle zwei Jahre. Dieses exponentielle Wachstum an Information ist Ausdruck der schnellen Entwicklung des Internets, welche erst vor wenigen Jahren so richtig losgelegt hat.

Kein Mensch kann die Unmenge an Information verarbeiten oder nutzen. Dazu braucht es Computer, besser noch künstliche Intelligenz. Es gibt viele Unternehmen (Big Data), die sich auf die Nutzung der Information durch Analysesoftware spezialisiert haben, doch das klassische Big Data ist ineffizient und vermutlich schon bald eine Sache der Vergangenheit. Die nächste Stufe von Big Data ist künstliche Intelligenz. Das pikante an der Sache: erst die extrem schnell wachsende Datenmenge macht AI möglich.

AI erscheint vielen Beobachtern noch weit entfernt, doch da sollte man sich nicht täuschen. Vor kurzem wurde der weltbeste Go Spieler von der AI AlphaGo in vier von fünf Spielen besiegt. Go ist ein Brettspiel, ähnlich wie Schach, allerdings mit sehr viel mehr Möglichkeiten. Als Deep Blue als erster Computer gegen den Schachweltmeister Garry Kasparov gewann war das eine Sensation. Rückblickend war es nicht wirklich spektakulär, denn Schach hat eine vergleichsweise begrenzte Anzahl von möglichen Spielverläufen und Spielzügen. Man kann einen Computer letztlich alle Kombinationen berechnen lassen, wenn der Gegner einen Zug macht. Im Prinzip gleicht der Computer den Spielzug mit allen möglichen Varianten ab und entscheidet danach, welcher Zug der beste ist. Das ist letztlich eine gute Datenbankabfrage und keine Intelligenz.

Bei Go ist das anders. Es gibt zu viele Möglichkeiten, als dass man jeden Spielzug neu berechnen könnte. Der Computer muss also auf seinen Gegner mit „Intuition“ reagieren. Das funktioniert inzwischen sehr gut und ist ein Zeichen von Intelligenz. AlphaGo ist auch deswegen so bemerkenswert, weil es sich das Spiel selbst beibringen konnte, indem es gegen sich selbst spielte. Es lernte aus diesen Spielen eine Art Intuition.

Was AlphaGo und einige weitere Beispiele so bemerkenswert macht: sie können eigenständig lernen. Programme werden quasi vor das Internet gesetzt und können sich aufgrund der vorhandenen Information selbst beibringen, was ein Auto, ein Stuhl oder eine Farbe ist. Es steht ja im Prinzip alles irgendwo im Internet und es gibt Millionen von Beispielen für Objekte, Spiele, Zusammenhänge usw.

Je mehr Information über das Internet verfügbar ist, desto mehr und desto schneller können Programme lernen. Alles, was im Internet steht, kann erlernt, verarbeitet und gebraucht werden. Während man einem Kind über Jahre hinweg beibringen muss, was die unterschiedlichen Dinge bedeuten, kann AI den Lernprozess eines Menschen innerhalb von Wochen nachvollziehen – fast zumindest.

Derzeit brauchen Programme noch viel Zeit und es muss vorgegeben werden, was sie eigentlich lernen sollen. Das Programm Amelia wird etwa trainiert die Funktion eines Call Center Mitarbeiters zu übernehmen. Nach zwei Monaten Training lag die Fehlerquote von Amelia (verstehen, was der Anrufer will und die Frage beantworten) bei nur noch 40 %. Es braucht sicherlich noch viel Lernaufwand, bis die Fehlerquote nahe 0 % ist, doch Amelia wird dorthin gelangen. Das bedeutet das Ende des Call Centers in Entwicklungsländern. Millionen Menschen werden ihren Job verlieren.

Menschen werden über die kommenden Jahre mit großen Problemen konfrontiert sein. Aktuell werden Arbeitsplätze durch vergleichsweise einfache Roboter ersetzt. Grafik 1 zeigt die Verkaufszahlen von Industrierobotern. Die Verkaufszahlen zeigen wie schnell die Automatisierung fortschreitet.

Aktuell handelt es sich bei der Automatisierung um einfache, manuelle Aufgaben wie das festziehen einer Schraube. Im Prinzip lassen sich alle Aufgaben von Robotern lösen, die manuell und routinemäßig sind. Jede repetitive Tätigkeit lässt sich ersetzen.
Das Council of Economic Advisors der USA kategorisiert Jobs nach Stundelöhnen und leitet daraus ab, wie viele der Jobs der Automatisierung zum Opfer fallen werden. Grafik 2 zeigt die Ergebnisse. 83 % der Jobs, die weniger als 20 Dollar je Stunde abwerfen (häufig repetitive manuelle Arbeit), dürften wegfallen. Auch die Mittelklassejobs mit 20 bis 40 Dollar sind stark gefährdet. Ein knappes Drittel der Stellen könnte wegfallen.

Die Notenbank von St. Louis stellte im Januar fest, das gewisse Arbeitsplätze zunehmend unter Druck geraten. Grafik 3 zeigt, welche Jobkategorien noch wachsen konnten und welche nicht. Seit mehr als 30 Jahren werden keine neuen Jobs mehr geschaffen, die einfache und repetitive Aufgaben zum Inhalt haben (Routine Manual). Ähnlich sieht es bei der Kategorie Routine Cognitive aus. Zu dieser Kategorie gehören etwa einfache Bürotätigkeiten.

Kurz zusammengefasst sagt die Grafik aus, dass bereits seit langem keine Jobs mehr geschaffen werden, die einfach und repetitiv sind. Das liegt nicht nur an der Automatisierung, sondern auch an der Verlagerung von Arbeitsplätzen in Entwicklungsländer. Diese werden zuerst ein großes Problem haben, wenn Programme wie Amelia das Call Center oder die Buchhaltung übernehmen.

Viele glauben noch immer, dass das eine Vision ist, die erst in mehreren Jahrzehnten Wirklichkeit wird. Das kann sein, doch die Wahrscheinlichkeit dafür ist gering. Die Entwicklung intelligenter Programme beschleunigt sich rasant. Es kann gut sein, dass die Marktreife dieser Programme sehr viel schneller kommt, als viele denken. Es wird nicht morgen sein, aber vermutlich innerhalb weniger Jahre.

Was dann? – Aktuell hat niemand einen Plan, was man tun sollte, wenn weltweit hunderte Millionen Arbeitskräfte nicht mehr gebraucht werden, weil sie durch ein Programm ersetzt werden können. Dabei rollt hier gerade die größte globale Jobkrise auf uns zu, die die Welt je gesehen hat.

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33 Kommentare

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  • cysonic
    cysonic

    Noch eine Ergänzung: ich rechne fest damit, dass die Roboter-Steuer kommen wird. Das ist in diesem Interview auch gut beschrieben:

    https://netzoekonom.de/2016/03/23/11670/

    "Aufgabe der Politik wird es sein, diesen Umbruch sozial verträglich zu gestalten. In dem Maße, in dem lebensnotwendige Arbeit wie die Produktion von Nahrungsmitteln oder der Wohnungsbau vielleicht mal von Maschinen erledigt wird, muss die Politik dafür sorgen, dass Roboter beziehungsweise ihre Besitzer Steuern zahlen – sonst lehnt sich die Masse auf und löst eine Revolution aus."

    10:35 Uhr, 24.03.2016
  • cysonic
    cysonic

    Hallo Herr Schmale,

    ich teile Ihre Auffassung und hatte bereits ähnliche Gedanken hier beschrieben:

    http://www.kaufkraftschutz.de/nullzinspolitik-und-...

    Auszug:

    "Und ich habe den Verdacht, dass die zunehmende Durchdringung energieeffizienter Technologien bei gleichzeitiger Erhöhung der Energieproduktion durch Solaranlagen u.a. auch die Energiekosten dauerhaft senken wird (das könnte jedoch durch einen neuerlichen „Weltkrieg“ anders kommen), womit die Produktionskosten noch weiter sinken würden. Die Ironie ist dabei, dass dadurch noch weniger Menschen zur Arbeit gebraucht werden und damit – schon rein technisch bedingt – die Arbeitslosigkeit noch weiter steigt. Beschleunigt wird dieser Trend durch die globale Nullzinspolitik. Sie treibt Technologie voran und wertet menschliche Arbeit ab."

    Beste Grüße
    M.F.

    10:15 Uhr, 24.03.2016
  • Dieter_HW
    Dieter_HW

    Herr Schmale, auch Dummheit ist eine Form der Intelligenz. Leider finden wir diese Art der Intelligenz mittlerweile in vielen Hochschulen und Unis wieder, die sich dann in den Unternehmen breit macht. Da freut man sich doch richtig auf die kommende KI .

    17:29 Uhr, 23.03.2016
  • papa555
    papa555

    ist doch völlig klar das man schon seit vielen Jahren die Arbeitszeit hätte verkürzen müssen!

    Der Fortschritt in der Produktion usw führt unweigerlich zu Arbeitslosigkeit-die Menschen haben aber ichts von dem Fortschritt in der Produktiität (nur einzelene)!

    Aber unsere superschlaue Elite versteht ja noch nicht mal wie eine Volkswirtschaft funktioniert

    17:14 Uhr, 23.03.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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