Kommentar
08:40 Uhr, 15.07.2015

Krisen überall: Wo bleibt der Zusammenbruch?

Ukrainekrise, Crash in China, Probleme bei Rohstoffexporteuren wie Venezuela und Australien und natürlich Griechenland – sie alle tragen nicht gerade zum Wohlbefinden bei. Faktisch ist trotz dieser vielen Problemherde nicht viel geschehen. Von Ansteckung ist weit und breit keine Spur. Wieso eigentlich nicht?

Grund für Chaos gäbe es genug. Zugegeben, die europäischen Aktienmärkte waren in den letzten Wochen etwas nervös. Man kann aber nicht gerade von Angst und Panik sprechen, obwohl die Probleme groß und zahlreich sind. Krisen gibt es genug und ein wenig unterschwellige Angst ist zu spüren. Die Verwerfungen im Jahr 2008, 2011 und 2012 sind noch in Erinnerung.

2008 sorgten die USA dafür, dass das weltweite Finanzsystem kurz vor dem Abgrund stand. 2011 und 2012 war es eine Mischung aus Eurokrise und Sorgen um die US Wirtschaft. Heute ist alles anders. Befürchtungen haben die meisten, doch Angst vor einer Ansteckung und Ausbreitung der Probleme einzelner Länder scheint kaum jemand zu haben. Ist das einfach nur naiv oder ist es dieses Mal wirklich anders?

Die Verwerfungen aus dem Jahr 2008 und der Folgejahre werden sich so nicht wiederholen. Trotz der Anzahl an Krisen und der als dramatisch empfundenen Größenordnung sind sie vergleichsweise klein, lokal und haben nicht das Potential, die ganze Welt ins Chaos zu stürzen. Dafür gibt es mehrere Gründe; der wirklich wichtige lässt sich aber kurz zusammenfassen: Banken sind relativ isoliert von den Krisen.

Im Kern geht es um das Finanzsystem. 2008 waren Banken im ganz großen Stil betroffen – weltweit. Das ist heute tatsächlich anders. Zum einen sind die Summen, die möglicherweise im Feuer stehen, klein, zum anderen haben Banken ihre Bilanzen aufgeräumt und sind weniger stark verflechtet.

2008 war ein so großes Problem, weil die ganze Welt im US Kreditmarkt aktiv war. Die meisten ausländischen Banken hatten in der einen oder anderen Form einen Teil ihres Kreditportfolios in den USA. Sie liehen entweder US Banken Geld, kauften ihnen Kreditpapiere ab oder finanzierten Unternehmen. Weltweit lag das grenzüberschreitende Kreditvolumen Anfang 2008 bei gut 25 Billionen USD. Innerhalb eines Jahres wurde dieses Volumen um 5 Billionen reduziert (Grafik 1). Das eine so schnelle und radikale Schrumpfkur Schockwellen auslöste, ist nicht verwunderlich.

Heute ist das Kreditvolumen immer noch hoch, doch mit knapp 20 Billionen deutlich geringer. Geht etwas schief, dann ist die Summe noch immer viel zu groß. Das Finanzsystem wäre wieder am Rande des Zusammenbruchs. Derzeit läuft es an vielen Ecken und Enden nicht rund. Trotzdem greifen die Krisen nicht um sich und bedrohen nicht unser Finanzsystem.
Das liegt daran, dass die derzeitigen Krisenherde ziemlich unbedeutend sind. Grafik 2 zeigt eine Auswahl an Ländern. Anfang 2008 waren Banken weltweit mit gut 3 Billionen USD im US Kreditmarkt aktiv. Dieser Betrag reduzierte sich relativ schnell um 600 Mrd. Das Volumen in Großbritannien ging bis heute um ca. 2 Billionen zurück, wobei die GB Exponierung nicht ganz mit der in den USA vergleichbar ist. Während die US Kredite größtenteils „echte“ Kredite waren (an Unternehmen und Hypothekenmarkt) handelte es sich in Großbritannien vor allem um Kredite von einem Institut an ein anderes, also um Interbankenkredite. Mit London als Finanzplatz für ganz Europa und die ganze Welt flossen dort viele der grenzüberschreitenden Transaktionen zusammen.

Nach Großbritannien und den USA kommt lange nichts mehr. Anfang 2008 standen für internationale Banken noch 1,9 Billionen in Frankreich, 1,88 Bio. in Deutschland und 1,22 Bio. in Italien im Feuer. Das vergleichsweise kleine Irland folgte mit 920 Mrd. Den aktuellsten Zahlen nach liegen die Werte für Frankreich nun bei 1,4 Bio., für Deutschland bei 1,1 Bio., für Italien bei 520 Mrd. und für Irland bei 340 Mrd. Hier wurde wirklich mit großer Energie aufgeräumt.

Die größten absoluten Beträge liegen heute noch immer in den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. In all diesen Ländern scheint die Lage relativ stabil zu sein. Es reicht nicht, wenn ein Land wie Griechenland in den Bankrott geht. Das Risiko ist einfach zu gering. Ende 2014 lag das Kreditvolumen noch bei 64 Mrd. Heute steht es noch einmal niedriger bei ca. 35 Mrd. Selbst wenn Banken den gesamten Betrag abschreiben müssten ist es einfach viel zu wenig, um für Unruhe zu sorgen. Damit das internationale Finanzsystem wirklich nervös wird müssen schon ein paar hundert Milliarden im Risiko stehen. Das war 2008 der Fall. Heute ist das anders.
Es gibt jedoch eine kleine Einschränkung. Seit 2008 wurden in den westlichen Ländern 8,5 Billionen abgebaut. Weltweit beträgt der Rückgang jedoch nur 5,6 Billionen. Einige Regionen konnten also ausländische Banken durchaus anziehen und Kredit von ihnen erhalten. Zu diesen Ländern gehören Brasilien (+116 Mrd. seit 2008) und China (+781 Mrd.). China zieht Kredite nahezu magisch an.

Griechenland ist zwar in aller Munde, doch es ist unbedeutend für das weltweite Finanzsystem. Grafik 3 zeigt die gesamten Schulden Griechenlands, die vom Ausland gehalten werden. 90% davon liegen beim Internationalen Währungsfonds, dem EFSF und der EZB. Ein Systemrisiko ist da einfach nicht vorhanden – zumindest nicht für das Finanzsystem, ausgelöst durch Banken.

Blickt man nach China, dann ist der Betrag von über 800 Mrd. schon eine ganz andere Größenordnung. Aus Großbritannien kommen über 200 Mrd. der Gesamtsumme. Darauf folgen die USA mit 88 und Japan mit 80 Mrd. Bei China glaubt jeder daran, dass die Regierung notfalls einspringt. Nach den jüngsten Erlebnissen hat sie diesen Glauben sicherlich bestärkt. Trotzdem: der einzige Krisenherd, der derzeit das Potential für eine weltweite Ansteckung hat, ist China. Würden für Banken aus China 200 bis 300 Mrd. Verlustpotential entstehen, dann ist das systemrelevant.

Wer auf eine Krise wie 2008 wartet, muss sich wahrscheinlich noch etwas länger gedulden. Das Gemisch an Problemfeldern kann das weltweite Wachstum abschwächen. Es wird die Weltwirtschaft jedoch nicht in den Abgrund stürzen. Das passiert, wenn das Finanzsystem zusammenzubrechen droht. Alles andere ist der normale Lauf der Dinge. Man mag es zwar gar nicht mehr für möglich halten, doch auch vor 2008 gab es ein Auf und Ab im weltweiten Wachstum – je nach Region unterschiedlich.

Die unterschiedlichen Entwicklungen in einzelnen Regionen ist keiner mehr so richtig gewohnt. Ein leichter Abschwung in China bedroht noch nicht unser ganzes System. Selbst eine US Rezession bedeutet nicht gleich den Systemzusammenbruch für alle anderen 200 Länder dieser Erde. Die Angst vor dem baldigen Komplettzusammenbruch ist übertrieben und wird nicht durch die aktuell in den Medien diskutierten Krisen ausgelöst werden.
China hat inzwischen ein großes internationales Gewicht bekommen. Das Kreditwachstum war in der Vergangenheit exzessiv. Der Privatsektor braucht ein Deleveraging. Das hat global Auswirkungen, allerdings keine systemrelevanten. Es ist vor allem Chinas Problem selbst. Der Rest der Welt muss vor allem damit zurechtkommen, dass der Handel zurückgehen wird. Das Weltwirtschaftswachstum trübt sich ein und bleibt vermutlich um 0,5 Prozentpunkte unter Potential, doch es wird das System nicht zum Kippen bringen.

Lernen, traden, gewinnen

– bei Deutschlands größtem edukativen Börsenspiel Trading Masters kannst du dein Börsenwissen spielerisch ausbauen, von professionellen Tradern lernen und ganz nebenbei zahlreiche Preise gewinnen. Stelle deine Trading-Fähigkeiten unter Beweis und sichere dir die Chance auf über 400 exklusive Gewinne!

Jetzt kostenlos teilnehmen!

27 Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen
  • dschungelgold
    dschungelgold

    Schon klar. Wir kaufen jetzt alle Aktien und werden alle reich. Arbeiten braucht niemand mehr und alles stellt sich von selbst her. Die Sklaven, deren Arbeit wir einstecken, sagen danke und trotten mit ihrem Brotkanten gluecklich davon. Natuerlich wollen und bekommen wir jedes Jahr mehr und mehr. Dann sind Alle glueckl

    07:32 Uhr, 16.07.2015
    1 Antwort anzeigen
  • Andreas Hoose
    Andreas Hoose

    Der Trick ist recht einfach zu durchschauen: Die Risiken wurden im großen Stil von den Banken auf die Staaten übertragen. Deshalb haften jetzt vor allem die Steuerzahler - und damit die Allgemeinheit. Das dürfte dazu führen, dass es diesmal etwas länger dauert, bis die Entwicklungen eine ähnliche Dynamik zeigen wie nach 2007.

    Letztendlich werden sich die systemimmanenten Sollbruchstellen durch immer mehr "Rettungsmilliarden" aber nicht überlisten lassen. Was anstehen wird, wenn die Dinge ihren Lauf nehmen, das wird für die meisten Menschen wenig erbaulich: Renten- und Sozialkassen sind ebenso bedroht, wie der so genannte "Wohlfahrtsstaat". Die einzige Chance wäre eine umfassende Geld-, Wirtschafts - und letztlich auch eine Gesellschaftsreform.

    Ein "Weiter so", wird es nicht geben. Doch bis das in Politik und Medien ankommt, wird noch eine ganze Zeit vergehen - inklusive massiver Krisenbeschleunigungen....

    00:50 Uhr, 16.07.2015
  • S_o_r_o_s
    S_o_r_o_s

    Der Zusammenbruch kommt, wenn die Zinswende in den USA eingeläutet wird.

    Der Dow scheint gerade eine Top-Bildung zu vollziehen.

    Interessant zu sehen, wie er immer wieder in Richtung 17560 zurück läuft.

    Momentan sehen wir eine Bodenbildung bei den Zinsen.

    Und wie bei allem anderen - wenn nach unten nichts mehr geht, dann eben nach oben. Aber mit Volldampf.

    Vermutlich wird die BoJ den Zins-Tsunami auslösen, passt ja zu denen, weil sie den Begriff geprägt haben.

    Vermutlich werden wir schon in den nächsten 10 Jahren zweistellige Zinsbeträge sehen.

    Unternehmen bekommen dann so gut wie gar kein Geld mehr bzw. zu Horror Konditionen (na vielleicht springt der Staat ein, macht er ja immer gern, der alte Wirtschaftsklempner)

    Warum soll man denen auch Geld geben? Sie verballern in der derzeitigen Niedrigzinsphase das Wachstum von fünf Jahren in einem.

    18:13 Uhr, 15.07.2015
    2 Antworten anzeigen
  • mkgeld
    mkgeld

    es dauert immer etwas bis auf die Krise reagiert wird. Dann rette sich wer kann.

    10:55 Uhr, 15.07.2015
  • Zweifler
    Zweifler

    Es wäre schön, wenn es so wäre - ein Goldenes Zeitalter also!? Fragt sich nur, was passiert, wenn man auf das Ende sieht! Und das wird nicht gut aussehen, aber warum kommt es nicht zum systemischen Zusammenbruch? Weil alle, die in Positionen und Ämtern stecken, vom Weiterlaufen des Systems profitieren und alles von dieser Seite aus getan wird, den Zusammenbruch zu verhindern. Griechenland ist ein beredtes Beispiel. Es wird aufgeschuldet und Zeit eingekauft, nicht weniger, aber auch nicht mehr! So überstehen wir Krise auf Krise ohne jegliche Problemlösung und der Eindruck verstärkt sich, dass es nichts gibt, was das System aus der Balance wirft, eine wahrhaft diabolische Täuschung - der wir unterliegen. Denn wenn es kracht, wird alles erdenkliche an Möglichkeiten ausgeschöpdft sein, die Krise zu regulieren oder einzudämmen.

    09:55 Uhr, 15.07.2015
    1 Antwort anzeigen
  • fehu001
    fehu001

    Katastrophen spiegeln eigentlich immer nur die innre Geisteshaltung von den Menschen, die entweder daran verdienen (Lügenpresse & Co), oder es handelt sich um Menschen, wo ihr Leben selbst eine Katastrophe ist.

    Objektiv gesehen erleben wir im Goldenen Zeitalter und Jeder, echt jeder hat hier unbegrenzte Ausbildungs-Möglichkeiten (wenn man es will), oder er kann sich an den Börsen ein Vermögen erwirtschaften.

    Aber man muss es auch wollen, aber genau das ist der Knackpunkt. Fast alle Menschen hier wollen sich mies fühlen oder Probleme haben. Probleme, Krankheiten und Katastrophen geben ihnen das Gefühl, dass sie wichtig sind. Und nur um die Aufmerksamkeit geht es den Katastrophen Verkündern.

    09:13 Uhr, 15.07.2015
    2 Antworten anzeigen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

Mehr über Clemens Schmale
  • Makroökonomie
  • Fundamentalanalyse
  • Exotische Basiswerte
Mehr Experten