Kommentar
09:12 Uhr, 18.01.2016

Kommt der große Crash erst noch?

Die erste Handelswoche fühlte sich bereits wie ein Crash an. In der zweiten war es kaum besser. Das wäre dann der zweite Crash innerhalb eines halben Jahres. Was aber, wenn das erst der Anfang ist?

Es wird viel darüber gerätselt, was die Gründe für die heftigen Kursverluste sind. Genannt werden China, das Alter des Bullenmarktes, die US Zinswende, der Abschwung in Schwellen- und Entwicklungsländern sowie anhaltend niedrige Rohstoffpreise – und seit gestern auch Sorgen um die US Konjunktur (die Industrieproduktion ist den 4. Monat in Folge rückläufig). Das sind alles gute Gründe und können guten Gewissens als Ursachen genannt werden. Doch wer verkauft eigentlich die ganzen Assets?

Sowohl in den USA, als auch in Europa und Japan kann man nicht gerade von einer Knappheit an Liquidität sprechen. Eine Knappheit an Liquidität ist wirklich nicht das, was Anlegern Sorgen machen muss. Die Geldschleusen sind nach wie vor weit offen. Selbst die kleine Zinserhöhung in den USA im Dezember ändert nichts daran. Man darf nicht vergessen, dass die Notenbankbilanz nach wie vor um gut 3 Billionen Dollar größer ist als vor der Finanzkrise.

Fundamental ist die Lage in den USA und Europa ebenfalls kein Grund in Panik zu geraten. Nicht nur ist die Notenbankpolitik nach wie vor locker, sondern auch die makroökonomischen Perspektiven sind gut und stabil. In den USA ist der Arbeitsmarkt stark, in Europa stimmt der Trend ebenfalls. Die meisten Länder weisen ein gesundes Wirtschaftswachstum aus. Das Wachstum in einstigen Krisenländern beschleunigt sich. Spanien wächst mit 3 %, Irland mit 7 %, Italien mit 1 % und Portugal mit 1,4 %. Das sind alles keine Gründe für Panik und Massenliquidation von Risikoassets.

Was man bei all den positiven Aspekten nicht vergessen darf, ist die enge Verflechtung der Finanzmärkte. Anlagen in Europa und den USA werden zu hohen Anteilen vom Ausland gehalten. Das beginnt bei Staatsanleihen und hört bei Aktien auf. Grafik 1 zeigt, wie viel US Staatsanleihen vom Ausland gehalten werden.

Derzeit werden 5,44 Billionen Dollar an US Staatsanleihen vom Ausland gehalten. Das sind ca. 30 % aller Anleihen. Der dazugehörige Anleihenindex, der die Preise der Staatsanleihen widerspiegelt, verläuft zur Anlagehöhe parallel. Zuletzt stiegen Anleihepreise wieder. Die Renditen sind entsprechend gesunken.

Bisher lässt sich anhand der Historie seit 2011 nicht erkennen, ob das Ausland im großen Stil US Anleihen verkauft. Das Anlagevolumen befindet sich 110 Mrd. unter dem bisherigen Rekordhoch von 5,55 Billionen im Januar 2015, doch der Verkauf von 110 Mrd. an Staatsanleihen sind auf einem Markt von 18 Billionen vernachlässigbar.

Beim Unternehmensanleihemarkt, der ebenfalls zu einem Drittel vom Ausland gehalten wird, sind ähnliche Tendenzen zu beobachten. Das bisherige Rekordhoch wurde erst im Juli 2015 mit 3,25 Billionen Dollar erreicht. Seitdem wurden bis Oktober 2015 (aktuellere Daten gibt es noch nicht) gerade einmal 35 Mrd. verkauft bzw. sind um 35 Mrd. in ihrem Wert minimiert worden.

Was seit Oktober 2015 geschah ist bisher noch nicht bekannt. Die Daten werden mit fast einem Quartal Verzögerung veröffentlicht. Immerhin kann man sagen, dass die Unruhe im Sommer nicht zu einem Exodus von ausländischen Anlegern geführt hat. Gemessen an den enormen Bewegungen im Sommer ist die Stabilität bemerkenswert.

Die Stabilität ist unter anderem dadurch zu erklären, dass US Staatsanleihen, aber auch die Anleihen von Unternehmen mit hohem Rating, zu den liquidesten der Welt gehören. Ländern mit Handelsbilanzüberschüssen, die hohe Dollarreserven anhäufen, „recyceln“ ihre Dollar, indem sie US Anlagen kaufen. Das führt bereits seit 15 Jahren dazu, dass die Rendite von US Staatsanleihen ungewöhnlich niedrig ist, selbst wenn die Notenbank die Zinsen angehoben hatte.

Die große Befürchtung ist derzeit, dass das Recycling aufhört. Die Ölproduzenten, die zu den größten Käufern auf dem Markt gehören, haben derzeit kaum noch Überschüsse. Die Handelsbilanz ist nach wie vor positiv, doch das gilt nicht für die Leistungsbilanz, die nicht nur den Saldo aus Warenaustausch, sondern auch den Saldo aus Dienstleistungsaustausch und Vermögenseinkommen berücksichtigt. Muss eine negative Bilanz ausgeglichen werden, dann bleibt den betroffenen Staaten wenig übrig, als ihre ausländischen Assets zu verkaufen.

Für viele Länder kommt erschwerend hinzu, dass sie gegen einen massiven Abwertungsdruck auf ihre Währungen kämpfen. Dazu gehören allen voran China und die Ölexporteure des Nahen Ostens. Um ihre Währungen stabil zu halten werden Dollar verkauft und die heimische Währung gekauft. Es ist offen wie viel Anteil dieser Interventionen aus Barreserven getätigt werden kann und wie viel durch den Verkauf von ausländischen Anlagen gespeist werden muss.
Am ehesten lassen sich noch Rückschlüsse aufgrund des Anlagevolumens von Aktien ziehen. Grafik 3 zeigt die vom Ausland gehaltenen US Aktien sowie den Verlauf des Dow Jones. Beide Zeitreihen laufen parallel. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn fallen die Kurse der Aktien, dann fällt auch der Wert der Anlagen.

Seit Anfang 2015 lässt sich bisher noch nicht feststellen, dass ausländische Anleger panikartig verkauft hätten. Der Rückgang des Anlagewertes ist sogar etwas geringer als der Kursrückgang, unabhängig davon, ob man den Dow Jones oder den Gesamtmarktindex Wilshire 5000 als Benchmark heranzieht. Netto dürften geringe Mittel, wenn überhaupt, abgeflossen sein.

Der Kapitalstrom wird vor allem von den privaten Anlegern bestimmt. Betrachtet man das Anlagevolumen von öffentlichen Anlegern (Staatsfonds etwa), dann ist das Volumen von Anfang 2015 bis September 2015 um 17 % gefallen. Das ist eine deutlich stärkere Reduktion als der Kursrückgang des Gesamtmarktes. Bei Staatsanleihen verhält es sich umgekehrt. Hier scheinen öffentliche Anleger noch einen Nettokapitalzustrom auszuweisen, während Privatanleger Mittel abziehen.

Der Mittelabfluss durch öffentliche Anleger in Aktien zeigt, dass man berechtigterweise Angst vor einer großen Verkaufswelle haben darf. Aktien werden als risikoreiche Anlagen zuerst verkauft. Mit ca. 800 Mrd. ist das Verkaufspotential hier relativ schnell ausgeschöpft.

Derzeit reduzieren sich die Reserven in den kritischen Ländern (China, Ölexporteure) mit einer monatlichen rate von 100 bis 150 Mrd. Dollar. Das kann durch zunehmende Reserven in anderen Ländern nur teilweise aufgefangen werden. Es ist daher nur eine Frage der Zeit bis diese Länder im großen Stil Anlagen veräußern müssen, um ihre Währungen stabil zu halten. Keiner weiß, ob dieser Prozess bereits begonnen hat oder ob er überhaupt jemals beginnen wird – je nachdem wie lange die Krise anhält.

Sollten Verkäufe im großen Stil beginnen, dann kommt es schnell zu einer Liquiditätskrise, egal, ob auf dem Aktien- oder Anleihenmarkt. Das wird dann richtig hässlich. Der holprige Jahresstart war in einem solchen Fall nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was man erwarten muss.

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3 Kommentare

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  • tschak
    tschak

    Danke für eine mögliche Vorwarnung (Liquiditätskrise kann nämlich sehr rasch logische "" Bewertungsmodelle wie Relikte aus der Steinzeit aussehen lassen - die Wucht und die Zeitspanne kann Alle dramatisch überraschen - leider - es bleibt immer noch die Hoffnung).

    06:49 Uhr, 18.01.2016
  • anweb
    anweb

    Auch von mir ein großes Lob für die Analyse der aktuellen Situation, belegt mit fundierten Statistiken. Sehr kompetent und äußerst hilfreich. Vielen Dank dafür.

    18:10 Uhr, 16.01.2016
  • Marc1
    Marc1

    Wie immer eine sachliche, fundierte, verständliche und hilfreich Analyse. Vielen Dank.

    17:47 Uhr, 16.01.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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