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17:21 Uhr, 19.07.2018

Kehrt die Türkei nun zur Normalität zurück?

Zwei Jahre nach dem Putschversuch in der Türkei ist der Ausnahmezustand ausgelaufen. Doch es ist zu befürchten, dass die Zeit der Repressionen noch nicht vorbei ist.

Istanbul (Godmode-Trader.de) - Nach zwei Jahren hat der Ausnahmezustand in der Türkei in der Nacht zum Donnerstag geendet. Er war seit dem Putschversuch Mitte Juli 2016 siebenmal verlängert worden. Ob das Land nun zur Normalität zurückkehrt, darf bezweifelt werden. Am Montag und Dienstag hat das türkische Parlament 24 Gesetzesänderungen zugestimmt, die viele Bestimmungen des Ausnahmezustands in Gesetzesform zu kleiden, so dass sich in dem Land vorerst wenig ändert. So hat das türkische Parlament unmittelbar nach dem Ende des Ausnahmezustands mit ersten Beratungen über eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze begonnen.

Die Regierung will Behörden die Befugnis erteilen, Staatsbedienstete zu entlassen und bestimmte Verdächtige in Haft zu nehmen. So sollen Personen, die „die öffentliche Ordnung gefährden“, zwei Wochen lang in ihrer „Bewegungsfreiheit“ eingeschränkt werden. Demonstrationen sollen nach Einbruch der Dunkelheit verboten sein, wenn sie die öffentliche Ordnung stören. Die Regierung begründet dieses sog. Anti-Terror-Gesetze damit, dass der türkische Staat immer noch bedroht werde. Die Opposition kritisierte, die geplanten Sicherheitsgesetze seien ebenso repressiv wie der Ausnahmezustand.

Einige Ökonomen befürchten, dass die Türkei in wirtschaftlicher Hinsicht so schnell nicht wieder auf die Beine kommt. Wolfgango Piccoli, Forschungsdirektor des Londoner Beratungsunternehmens Teneo, sagte zu Bloomberg, es werde in absehbarer Zeit keine Normalisierung geben. Die Türkei sei dabei, ein hoffnungsloser Fall zu werden. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das die Wirtschaft zu Fall bringt.“ Kurz vor Ende des Notstands hatte Erdogan 18.600 Staatsdiener entlassen, seit dem Umsturzversuch sind es mehr als 110.000.

Andere Experten, wie das Osteuropa-Institut WIIW glauben nicht, dass das Ende des Notstands großen wirtschaftlichen Einfluss hat. Wichtiger wäre die Politik der neuen Regierung, die Stellung der Zentralbank und die Geldpolitik. Die Devisenanalysten der Commerzbank, schauen auch nach vorne: „Die Stunde der Wahrheit kommt am 24. Juli“, so Antje Praefcke. Dann tagt die Notenbank. Um Inflation und Lira-Verfall aufzuhalten, müssten die Zinsen steigen. Erdogan verlangt aber exakt das Gegenteil. „Falls die Zinsen fallen, wäre der bisherige Kursverlust der Lira nur ein lächerlicher Abklatsch dessen, was drohen könnte. Dann wären wohl auch Kapitalverkehrskontrollen unvermeidbar“, so Praefcke.

Bundesaußenminister Maas warnte Ankara davor, den Ausnahmezustand „durch die Hintertür“ zu verlängern. „Die neue Verfassung gibt der türkischen Regierung erhebliche Vollmachten", sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Entscheidend sei jetzt, dass sie „von diesen Befugnissen in verantwortungsvoller Weise Gebrauch macht. „Eine Demokratie funktioniere nur mit Gewaltenteilung. „Daran wird sich die Türkei messen lassen müssen.“

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Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

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