Kommentar
09:56 Uhr, 16.01.2017

Joseph Stiglitz: Das Streben nach Wachstum in einem gefährlichen Umfeld

Die USA nach der Wahl, der Brexit und die Euro-Krise samt Sparpolitik der EU haben die wirtschaftliche Ungewissheit erhöht. Geringe Investitionen, eine schwache gesamtwirtschaftliche Lage – 2017 wird voraussichtlich ein weiteres Jahr der "neuen Mittelmäßigkeit".

Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag des US-Wirtschaftswissenschaftlers Joseph E. Stiglitz auf der 32. Internationalen Kapitalanleger-Tagung 2017 in Zürich, die von der International Business School veranstaltet wird.

Lesetipp (gleiche Veranstaltung): Thomas Mayer - Europa 2017: die neue Fragilität

2017 ist kein gewöhnliches Jahr

USA: Die Erholung der US-Wirtschaft ist auf einem guten Weg. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, das Wachstum liegt zwischen 2 und 3 %. Aber es kann kaum erwartet werden, dass die Lücke zwischen dem Zustand der Wirtschaft, den sie ohne vorherige Krise haben könnte und ihrem jetzigen Zustand geschlossen werden könnte.

Europa wächst nur sehr langsam, und dort entfernt man sich vom potenziellen Wachstumspfad sogar noch weiter.
Das Hauptproblem: Strukturelle Probleme der Eurozone selbst und nicht negative Einflüsse der Weltwirtschaft.

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China: Auch hier bleibt das Wachstum mit etwas unter 7 % "limitiert", wenngleich es im historischen Kontext für die ökonomische Welt als ganzes beeindruckend bleibt. Bezogen auf Chinas bisherige Performance sehen die aktuellen Wachtumszahlen aber "enttäuschend" aus.

China ist nicht mehr im gleichen Ausmaß die Quelle internationalen Wachstums, die es in der Vergangenheit war und hat außerdem einige ernste Probleme:

  • Hohes Risiko der Blasenbildung(en)
  • Sorgen bzgl. Kapitalabflüssen
  • Umweltprobleme
  • Debatten über die anzuwendenden Politikmaßnahmen (Angebots- vs. Nachfragepolitik

Die grundlegenden Probleme

Der Mangel an der aggregierten weltweiten Nachfrage kann als Hauptgrund für die Wachstumsschwäche identifiziert werden. Die Gründe hierfür sind vielschichtig

  • Wachsende soziale Ungleichheit
  • Austeritätsprogramme (vor allem in der EU)
  • Strukturelle Transformationen
  • Hohe Volatilität in den Energie-und Rohstoffmärkten

Diese Probleme werden nicht konsequent angegangen und verschwinden daher auch nicht, einige werden sogar schlimmer.

2017 ist ungewöhnlich

Es herrscht ein hohes Maß an Ungewissheit. Eine kleine Auswahl:

  • Brexit
  • Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten
  • Die kommenden Wahlen in Europa mit dem möglichen Resultat von EU- und Euro-feindlichen Regierungen
  • Damit einhergehend auch eine neue Stufe der Eurokrise
  • Die etablierte wirtschaftliche und politische Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg steht zur Disposition

Die Zukunft der US-amerikanischen Wirtschaftspolitik

Es gibt große Inkonsistenzen zwischen dem, was Donald Trump im Wahlkampf versprochen hat und traditionellen Positionen der Republikaner.

  • Protektionismus vs. Freihandel
    Trump will nicht nur neue Handelsabkommen schließen, sondern auch bestehende neu verhandeln, wobei er auch internationales Recht brechen will.
    Dies könnte zu Gegenmaßnahmen der betroffenen Staaten führen. Die USA könnten dabei als der "Schurkenstaat" dastehen.
  • Staatsausgaben und Haushaltsdefizit
    Trump verspricht eine Billion USD an Infrastrukturinvestitionen (überwiegend durch steuerliche Abschreibungen bzw -Subventionen finanziert), während vergleichbare Maßnahmen von Obama von den Republikanern als Verschwendung betitelt wurden, die der Wirtschaft nicht helfen.
    Tatsächlich sind steuerliche Subventionen eine eher teure Methode der Investitionen in Infrastruktur, wenn gleichzeitig der Staat zu sehr niedrigen Zinsen Kredite aufnehmen kann.Außerdem ist der Multiplikatoreffekt heute viel geringer als noch 2009 direkt in der Krise.

    Das Haushaltsdefizit soll an sich gesenkt werden, was aber in Widerspruch steht zu erhöhten Ausgaben und verringerten Steuern (siehe unten). Es gibt nur relativ wenig Spielraum für weitgehende Einschnitte, isnbesondere da der Militärhaushalt tendenziell sogar noch größer werden dürfte.

    Trump sagt durch diese Maßnahmen 4 % Wachstum voraus, was wiederum zu höheren Einnahmen führen soll. Allerdings steht dem einiges entgegen. Die geringe Arbeitslosigkeit deutet Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften an, die das Wachstum auch umsetzen können. Außerdem dürften Zinsen und Wechselkurs in einer Art reagieren, die das Wachstum eher nicht unterstützen.

  • Steuererleichterungen
    Eines der wenigen Versprechungen, die umgesetzt werden dürften. Allerdings zielen die Pläne stark auf die oberen 10 % ab, deren dann erhöhtes Einkommen kaum die Wirtschaft ankurbeln dürfte.
    Auch die Senkung der Unternehmensteuern dürfte eher geringe Auswirkungen haben.
  • Wechselkurs
    Die Kapitalzuflüsse müssen die Differenz zwischen den einheimischen Investitionen und den einheimischen Ersparnissen ausgleichen. Letztere werden durch erhöhte Defizite zurückgehen. Die Kapitalzuflüsse müssen ferner das Handelsdefizit ausgleichen, was zu einer Anpassung des Wechselkurses führt. Im Zusammenspiel mit protektionistischen Maßnahmen kommt es zu einer Wechselkursanpassung (Dollar-Stärke), die vor allem dem exportorientierten Produktionssektor schadet - und gerade den wollte Trump stärken.
  • Zinsen
    Trump hat die Politik der ultraniedrigen Zinsen kritisiert, was für einen Immobilientwickler an sich schon ungewöhnlich ist.
    Einiger seiner Berater aus dem Hedgefonds-Umfeld haben sich besorgt über die Inflation gezeigt. Trump wird durch zwei anstehende Nominierungen für die Fed die Chance haben, Gleichgesinnte in entscheidende Positionen zu bringen.

    Dies zu einem Zeitpunkt, da es innerhalb der Fed ohnehin schon "falkenhafter" zugeht. Es gibt nicht nur die Sorge um die Inflation, sondern auch um die Beeinflussung der Finanzmärkte durch stark gefallen langfristige Zinsen (Blasenrisiko!)
    Die Fed will außerdem ein Polster aufbauen, um im nächsten Abschwung wieder mit traditionellen geldpolitischen Methoden antworten zu können.
    Höhere Zinsen wiederum werden aber die Dollar-Aufwertung noch weiter befeuern und sich womöglich negativ auf Investitionen auswirken.

Fazit

  • Es wird langfristige geopolitische Konsequenzen des Trump-Sieges geben.
  • Die USA haben traditionell die internationale globale wirtschaftliche Architektur geprägt. Diese Rolle ist schon geschrumpft und wird nun weiter an Bedeutung verlieren.
  • Die grundlegenden Probleme der USA, insbesondere die hohe Ungleichheit, werden zunehmend auch von anderen Staaten geteilt, mit unabsehbaren Konsequenzen für die politische Stabilität.
  • Die wirtschaftlichen Konsequenzen von Trump dürften dagegen geringer sein als die politischen.
  • Wir leben bereits in einer multipolaren Welt - die internationale wirtschaftliche Vernetzung wird einschränken, was Trump tatsächlich tun kann.
  • Aber eines ist sicher: Wir treten in eine Ära nie dagewesener Unsicherheit ein!

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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