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12:27 Uhr, 01.06.2016

"Jobless Growth" in Indien

Die indische Wirtschaft wächst nach offiziellen Angaben rasant, allerdings ohne neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Regierung Modi hat bislang noch keine ihrer angekündigten Wirtschaftsreformen umgesetzt.

Neu Delhi (Godmode-Trader.de) - Die indische Wirtschaft ist im ersten Quartal überraschend stark gewachsen. Wie das Statistikamt am Dienstag in Neu Delhi mitteilte, wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen Januar und Ende März auf den Subkontinent im Jahresvergleich um 7,9 Prozent. Ökonomen hatten demgegenüber nur eine Wachstumsrate von durchschnittlich 7,4 Prozent erwartet. Für das Gesamtjahr 2016 rechnet die indische Wirtschaftsvereinigung FICCI mit 7,7 Prozent Wachstum.

Ein Grund für die hohen Raten könnte auch mit der neuen Art der Berechnung zusammenhängen. Das Statistikamt benutzt seit 2015 die Marktpreise von Gütern und Dienstleistungen als Berechnungsgrundlage für das BIP. Früher wurden die Produktionskosten der Firmen angesetzt. Nach Einführung der neuen Methode stieg das BIP sprunghaft um knapp zwei Prozentpunkte.

Die offiziellen Daten stehen in Widerspruch zu der Wirtschaftsstimmung im Land. In der indischen Industrie hat sich gar ein Umschwung ergeben. Der Index der Einkaufsmanager lag im April nur noch bei 50,5 Punkte — ein Wert unter 50 Zählern steht für eine Schrumpfung der Wirtschaft. Auch der ständige Vergleich mit China hinkt. Das Bruttoinlandsprodukt Indiens pro Kopf vervierfachte sich zwar von 1995 bis 2015 auf rund 1.600 US-Dollar. Dennoch ist dies nur ein Fünftel des chinesischen Wertes. Und immer noch leben mehr als 30 Prozent aller Inder unterhalb der Armutsgrenze.

Seit Ende Mai weilt der indische Ministerpräsident Narendra Modi nun zwei Jahre im Amt. Neben dem Bau „intelligenter“ Städte, Umweltverbesserungen oder einem Auskommen für die Armen hat Modi drei große Versprechen gemacht. Er wollte eine Mehrwertsteuer einführen und eine Landreform umsetzen. Und er wollte die Beschäftigungsgesetze lockern. Das alles sollte zu einem Aufschwung führen, der 12 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen würde. Danach sieht es allerdings nicht aus: Trotz offiziell knapp 8 Prozent Wachstum schafft Indien unter Modi so wenig Arbeitsplätze wie zuletzt während der Weltfinanzkrise 2008, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung vergangene Woche. 2015 seien demnach nur noch 135.000 neue Stellen angeboten worden, nach knapp 500.000 im Vorjahr. Die Inder, von denen 80 Prozent im informellen Sektor ohne Vertrag, Kündigungsschutz oder Rente arbeiteten, würden denn auch vom „jobless growth“ sprechen.

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Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

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