Kommentar
07:30 Uhr, 27.10.2015

Ist Inflation schlecht für Aktien?

Aktien gelten als Inflationsschutz. Im derzeitigen Umfeld muss man sich darüber kaum Gedanken machen. Wenn sich Anleger da mal nicht täuschen...

An der Börse gibt es viele Regeln und Weisheiten. Einige davon kann man gut nachvollziehen. Es steckt ein wahrer Kern darin. Zu diesen Regeln gehört etwa die Jahresendrally, die so gut wie nie ausfällt. Andere Weisheiten halten sich beharrlich, sind allerdings noch nie bestätigt worden. Dazu gehört der Schutz vor Inflation durch Aktien.

Das Thema Inflation ist für Anleger derzeit nicht besonders weit oben auf der Agenda. Das ist ein Fehler, denn die niedrigen Teuerungsraten können sehr schnell der Vergangenheit angehören. Die Inflationsrate wurde durch sinkende Rohstoffpreise unterstützt. Hören Rohstoffpreise auf zu sinken oder beginnen wieder zu steigen, steigt die Inflation relativ rasch auf 2% und mehr.

2% Inflation ist immer noch im Rahmen. Es entspricht dem langfristigen Ziel der Notenbanken. 2% Teuerung kommt auch den Werten nahe, die vor der Finanzkrise viele Jahre lang gültig waren. Für Aktien kann allerdings schon ein moderater Anstieg der Inflation eine große Korrektur auslösen. Das haben die wenigsten Anleger auf dem Radar.

Grafik 1 zeigt den Dow Jones Index seit 1914 sowie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Marktes und die Inflationsrate. Was man auf den ersten Blick erkennen kann ist folgendes: steigt die Inflation an, dann fallen Aktien und deren KGV. Dieser Zusammenhang gilt seit über 100 Jahren.


Besonders gut lässt sich der Zusammenhang von 1940 bis 1942, von 1945 bis 1946, 1956-1958, 1969-1970 und 1976-1978 erkennen. Umgekehrt kann man auch sagen, dass niedrige Inflation bzw. fallende Teuerungsraten Aktien begünstigen und deren Bewertung – gemessen am KGV – steigt. Das war in den 80er Jahren ebenso der Fall wie zur Jahrtausendwende und über einen Großteil der 60er Jahre.
Grafik 1 sagt noch nicht viel darüber aus wie stark sich die Bewertungen von Aktien bei einer Änderung der Inflationsrate bewegen. Grafik 2 gibt darüber etwas mehr Aufschluss. Die rechte Seite der Grafik zeigt das KGV des US Marktes abhängig von der Inflationsrate. Die linke Seite zeigt das gleiche für Phasen, in denen die Teuerungsrate negativ war (Deflation).
Die vertikale Achse zeigt das KGV, die horizontale Achse zeigt die Teuerungsraten. Jeder Punkt in der Grafik entspricht dem Zusammenhang von Inflation (im Vergleich zum Vorjahr) und dem jeweiligen KGV zu diesem Zeitpunkt. Es handelt sich um Monatswerte. Es stehen somit seit 1914 über 1.200 Datenpunkte zur Verfügung.

Die Streuung der einzelnen Punkte ist relativ groß. Es gibt jedoch eine klare Tendenz. Die Regel lautet grundsätzlich: je höher die Inflation, desto niedriger das KGV. Für Phasen der Deflation lautet die Regel: je stärker die Preise fallen, desto niedriger ist das KGV.

Zwei Beispiele verdeutlichen diesen Zusammenhang. Als die Inflation in den USA bei knapp 25% lag (1920) lag das KGV bei 5. Ein Jahr später lag die Teuerungsrate bei -16% und das KGV lag ebenfalls bei 5.

Das Optimum für Aktien ist eine niedrige Inflationsrate. Teuerungsraten zwischen -1% und +2,5% sind optimal für Aktien. In dieser Range sind Aktien am höchsten bewertet. Die durchschnittlichen KGVs liegen bei 20. Bei Inflationsraten von 3% bis 5% liegt das durchschnittliche KGV bei 18, bei Inflationsraten von über 5% liegt das KGV bei 10.

Würde nun die Inflation rein hypothetisch auf 5% steigen, dann müsste der US Markt sehr stark korrigieren. Das KGV liegt bei 24. Um ein KGV von 10 zu erreichen müsste der Markt fast 60% nachgeben. Ein Anstieg auf 5% ist nicht zu befürchten. Ein Anstieg auf 2,5 bis 3% muss man auf der Rechnung haben, wenn Rohstoffpreise einen temporären Rebound beginnen. Der Markt ist in diesem Fall hoffnungslos überbewertet und müsste um 20% fallen, um wieder im Einklang mit der Inflationsrate zu sein.

Wieso aber ist hohe Inflation schlecht für Aktien? Hohe Inflation bedeutet, dass die Margen der Unternehmen kurzfristig sinken. Unternehmen können ihre Preise nicht von heute auf morgen nach oben schrauben. Bis gestiegene Inputkosten auf Konsumenten abgewälzt werden können dauert es. Gleichzeitig sorgt steigende Inflation für Lohnanpassungen. Diese folgen der Inflation mit einer gewissen Verzögerung und steigern die Kostenbasis der Unternehmen.

Zu guter Letzt geht Inflation für gewöhnlich auch mit höheren Zinsen einher. Bewertet man Unternehmen, indem man Gewinne oder Cash Flows abzinst, dann sinkt die Bewertung bei höheren Zinsen automatisch. Kurz gesagt: steigende Inflation ist negativ für Aktien. Persönlich kann ich mir vorstellen, dass dies 2016 zum Thema wird. Anleger müssen sich auf eine Korrekturbewegung einstellen.

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  • Ahasus
    Ahasus

    Das Thema rund um die Inflation ist wegweisend für einen Investor. Ich frage mich allerdings, ob das Argument richtig sein kann, dass ein Unternehmer nur Nachteile durch Inflation hat. Es ist doch so, dass ein Unternehmer seine Preise täglich anpassen kann, wie das z.B. beim Sprit der Fall ist. Aber die Arbeitnehmer müssen unter Umständen sogar ein Jahr auf die nächsten Kollektivvertrags-Verhandlungen warten. Insofern hat der Unternehmer hier einen klaren zeitlichen Vorteil.

    Allerdings sehe ich ein volkswirtschaftliches Problem: Inflation senkt die Kaufkraft der Konsumenten, die sich mit der bestehenden Kaufkraft (z.B. Barvermögen) nicht mehr so viel leisten können. Es kommt also zu einem Nachfrage- und Absatzproblem für die Unternehmen, wenn die Leute und selbstverständlich auch Unternehmen weniger kaufen. Und für Unternehmen wird es aufwändiger zu kalkulieren ... und das ist recht zeitintensiv ... wo man in der Zeit vielleicht was anderes (wichtigeres?) machen könnte?

    18:17 Uhr, 30.10.2017

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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