Ist die neue Zinsangst gerechtfertigt?
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Die Stimmung in Bezug auf Zinserhöhungen hat schnell gedreht. Noch Anfang Juni waren Zinsen für Anleger kein Thema mehr. Alle freuten sich darauf, dass die US-Notenbank im Juni die Zinsen nicht weiter anheben würde. Als die neue Quartalsprognose der Notenbank mit dem Zinsentscheid veröffentlicht wurde und ein höherer Leitzins für 2023 sichtbar wurde, verdaute der Markt auch dies zunächst gut.
Dann funkte Großbritannien dazwischen. Zuerst stieg die Inflation überraschend stark an. Die Kerninflation erreichte im Mai 7,1 % nach 6,8 % im April. Damit wurde ein neues Hoch in diesem Hochinflationszyklus erreicht. Prompt erhöhte die Bank of England den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte anstatt um 0,25 Punkte. Anleger fragen sich zu recht, ob dies nun auch in den USA oder der Eurozone geschehen kann.
Undenkbar ist es nicht. Die Fed hat inzwischen eine lange Historie an Fehlprognosen. Blickt man in das Jahr 2020 zurück, hatte die Fed nach Pandemiebeginn für Ende 2022 eine Kerninflation von 1,7 % vorhergesagt. Tatsächlich waren es fast 5 %. Mit jedem Quartal stieg die Inflation und die Prognosen sagten beharrlich bald sinkende Teuerungsraten voraus (Grafik 1). Wenn Inflation bisher systematisch unterschätzt wurde, wieso sollte es plötzlich anders sein?
Seit Jahren ist der systematische Fehler sichtbar, doch erst durch die Beschleunigung der Zinserhöhungen in Großbritannien nehmen Anleger das Problem wahr. Die US-Notenbank hat diese Fehler bisher behutsam korrigiert, indem sie die Leitzinserwartung regelmäßig nach oben geschraubt hat (Grafik 2).
Dadurch ist bisher ein Schock auf dem Zins- und Aktienmarkt ausgeblieben. Anstatt abrupt zu reagieren, stellt die Fed Marktteilnehmer langsam darauf ein, dass der Leitzins höher steigt als bisher angenommen oder prognostiziert. Das ist weitaus schonender als das, was die Bank of England zuletzt machte.
Das bewahrt Anleger nicht davor, dass auch die Fed oder EZB noch gezwungen werden könnten, die Zinswende wieder zu beschleunigen. Persönlich halte ich es jedoch für unwahrscheinlich. Im Vergleich zu Großbritannien gibt es einige Unterschiede. Einer der größten Unterschiede ist beim Lohnwachstum zu finden. Dieses hat sich in Großbritannien wieder beschleunigt. In den USA und der Eurozone tendiert es nach unten. In Großbritannien entwickelt sich eine Lohn-Preis-Spirale, in anderen Regionen hingegen nicht.
Persönlich halte ich es für wahrscheinlich, dass die Inflationsprognosen der Fed und EZB zukünftig weiter leicht angehoben werden. Entsprechend ist auch mit einem höheren Leitzins am Ende des Zyklus zu rechnen. Der Anstieg dürfte bei 0,25 bis 0,5 Prozentpunkten vom derzeitig prognostizierten Endwert liegen. Wer vor 5,5 % Leitzins in den USA bisher keine Angst hat, muss auch vor 5,75 % keine Angst haben.
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