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12:53 Uhr, 16.08.2019

Hongkong: Ein Land, zwei Systeme

Der Frage, wie sich die anhaltenden Unruhen in Hongkong auf die Wirtschaft und die Beziehungen zu China auswirken werden, gehen die Muzinich&Co-Finanzexpertinnen Christina Bastin und Tracy Zhao, nach.

New York (GodmodeTrader.de) - Die Proteste, die seit März/April diesen Jahres Hongkong erschüttern, haben sich seit Juni deutlich verschärft. Sie sind die Antwort auf ein Gesetz, das Auslieferungen zulassen würde von Hongkong nach Greater China – also nach Festlandchina, Taiwan und Macau. Die Demonstranten in Hongkong befürchten, dass dieses Gesetz – sollte es in Kraft treten – die Maxime „Ein Land, zwei Systeme" ändern könnte, eines der in den 1980er Jahren von Deng Xiaoping formulierten Verfassungsprinzipien. Sie befürchten, dass die Festlandbehörden es zur Auslieferung von Bürgern aus Hongkong nutzen werden, wie Christina Bastin, Portfolio Manager Muzinich & Co und Tracy Zhao, Senior Credit Analyst Muzinich & Co, in einem aktuellen Marktkommentar schreiben.

In den letzten neun Wochen habe die Intensität der Unruhen zugenommen, zunehmend begleitet von Vandalismus und gesetzeswidrigen Handlungen. Wenn die Behörden in Hongkong es nicht schafften, die Ordnung wiederherzustellen, bestehe die Gefahr einer Eskalation. An diesem Wochenende könnte sich zeigen, ob sich die Situation zu entspannen beginne oder weiter zuspitze.

Bis zum chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober - dem 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China – sei noch mit einigen Unruhen zu rechnen, heißt es weiter.

„Die entscheidende Frage lautet: Wird China militärische Gewalt anwenden? Viele Beobachter befürchten eine gewaltsame Intervention. Wir halten das nicht für wahrscheinlich. Wirtschaftliche Maßnahmen sind überzeugender, beispielsweise das Verbot von Flügen nach Festlandchina für Cathay-Personal, das an den Protesten beteiligt ist. Unserer Meinung nach will China subtilere Methoden der Überzeugung anwenden“, so Bastin und Zhao.

Hongkong erwirtschafte 20 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus Tourismus und Einzelhandel. Im Jahr 2014 habe es Proteste gegeben, die Bewegung „Occupy Hong Kong" habe für fast drei Monate Störungen im Handel verursacht. Dennoch seien die wirtschaftlichen Auswirkungen in diesem Zeitraum minimal gewesen, heißt es weiter.

„Viele Beobachter blicken derzeit auf das Jahr 2014 zurück, um die möglichen Auswirkungen der Proteste auf die Gegenwart hochzurechnen. Bei einer Eskalation der Lage könnten die wirtschaftlichen Auswirkungen heute weitaus größer sein. Die kürzlich erfolgte Schließung des Flughafens von Hongkong dürfte zum Ausfall von 13.863 Tonnen Fracht im Wert von rund 1,2 Mrd. US-Dollar geführt haben. Zudem zeigen sich ein Rückgang der Besucherzahlen in Hongkong, schwächere Einzelhandelsumsätze und eine niedrigere Hotelauslastung“, so Bastin und Zhao.

Vor dreißig Jahren, etwa zum Zeitpunkt der Übergabe Hongkongs an China, sei Hongkong das wichtigste Tor nach China gewesen. Das habe sich grundlegend verändert. Heute prüften ausländische Investoren sofort den direkten Einstieg nach China und die Bedeutung Hongkongs für den Westen habe abgenommen. Umgekehrt sei zu sehen, dass die Abhängigkeit Hongkongs von China zugenommen habe. Die autonome Region sei zunehmend auf den Tourismus und Investitionen aus China angewiesen, heißt es weiter.

„In gewisser Weise spricht die wirtschaftliche Abhängigkeit und das Verschwimmen der Grenzen zwischen China und Hongkong, für sich selbst. Symbolisch stehen hierfür der Hochgeschwindigkeitszug von Hongkong nach China sowie das riesige Investitionsprogramm ‚Greater Bay Area‘ der Volksrepublik China, mit dem die Infrastruktur verbessert und ein riesiges internationales Handels- und Finanzzentrum mit 50 Millionen Einwohnern in Hongkong, Shenzhen usw. geschaffen werden soll. Wir gehen davon aus, dass die Regierung alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um die Sicherheit und das Vertrauen in Hongkong als Finanzzentrum zu wahren. Bisher konnten wir keine Störungen in unseren täglichen Handelsgeschäften mit in Hongkong ansässigen Unternehmen feststellen. Da jedoch aktuell kein Ende der Proteste in Sicht ist, ist es schwierig, schon jetzt die langfristigen Auswirkungen auf das Land sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus politischer Sicht abschließend zu beurteilen“, so Bastin und Zhao.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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