Nachricht
09:58 Uhr, 02.07.2012

Hans-Werner Sinn: "In Brüssel will man nur an das deutsche Geld heran"

München (BoerseGo.de) - Die Euro-Rettung ist durch den jüngsten EU-Gipfel aus Sicht des Präsidenten des Münchner ifo-Wirtschaftsinstituts, Hans-Werner Sinn, nicht vorangekommen. Deutschland werde aber zugleich immer stärker in die Krise hineingezogen. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk kritisierte Sinn, dass "im Extremfall" eine Haftungssumme von etwa 700 Milliarden Euro auf Deutschland zukommen könnte. Zwar habe Kanzlerin Angela Merkel gekämpft „wie eine Löwe“. Letztlich wollte man in Brüssel aber an das deutsche Geld heran. „Der deutsche Staat wird immer tiefer in die südeuropäische Krise hineingezogen“, sagte Sinn. Die Finanzmärkte seien nun beruhigt, ja geradezu euphorisch, weil ein Weg gefunden wurde, das deutsche Vermögen zu verbrauchen. „Die finanzielle Stabilität Deutschlands ist gefährdet“, warnte des Wissenschaftler.

Sinn legte die Zahlen auf den Tisch: Die Staatsschulden der fünf Krisenländer Italien, Griechenland, Portugal, Spanien, Irland betragen dem Ökonomen zufolge rund 3,4 Billionen Euro, hinzu kämen über 9,2 Billionen an Bankschulden in der Euro-Zone. „Wenn wir mal sagen, von diesen Schulden sind 20 Prozent abzuschreiben, dann sind das ja schon 2,4 Billionen. (...) Nun gut, die müssen wir ja nicht selber tragen. Die anderen Länder tragen ja mit. Aber wenn dann einer nach dem anderen fällt? Also es sind doch erhebliche Risiken für die Bundesrepublik Deutschland, die man jetzt hier so einfach eingeht“.

Im Interview mit dem Handelsblatt (Montag) sagte der Ökonom: „Es wurde ein Kesseltreiben veranstaltet. Um an unser Geld zu kommen, hat man Deutschland imperiale Gelüste vorgeworfen und uns den Hass der Völker prophezeit“. Jetzt könnten die Bürger, an deren Vermögen man will, nur noch auf das Verfassungsgericht hoffen“, sagte Sinn.

Auch an dem Fiskalpakt lässt Sinn kein gutes Haar. „Der Pakt wird nur in Deutschland ernst genommen“, sagte der Ökonom im Handelsblatt. „Er ist ein Placebo – wie seinerzeit der Stabilitäts- und Wachstumspakt“. Ländern, denen der Kapitalmarkt misstraue, brauche man keine politischen Schuldengrenzen zu setzen. „Wenn man ihre Kreditaufnahme begrenzen will, reicht es, ihnen weniger öffentlichen Kredit zu geben.“ Verhaltensmaßregeln erzeugten Unfrieden und brächten nichts als Ärger. „Deutschland hätte nicht so viel Geld geben, dafür aber den Mund halten sollen“, kritisierte Sinn. Die deutschen Belehrungen hätten zu der vergifteten Atmosphäre des Gipfels und der Entschlossenheit der anderen Länder beigetragen, Deutschland endlich niederzuringen.

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

Mehr Experten