Kommentar
08:05 Uhr, 19.05.2017

Gut, dass die Menschen diese Daten nicht kennen!

Manche Dinge bleiben besser im Verborgenen, denn sie beinhalten großen sozialen Sprengstoff. Ob das unsere Währungshüter bedachten, als sie erschreckende Zahlen vorlegten?

Die EZB sieht sich regelmäßig mit Kritik konfrontiert. Die Niedrigzinspolitik ist vielen ein Dorn im Auge. Von den Anleihekäufen muss man gar nicht erst reden. Zuletzt wurde Mario Draghi in den Niederlanden von Parlamentariern gegrillt. Die Befragung war recht aufgeheizt.

Draghi macht in diesen Situationen das, was er immer macht: er weist darauf hin, dass die Lage einfach noch nicht gut genug ist, um höhere Zinsen zu rechtfertigen. Damit hat er recht, wenn er an die Südländer denkt und liegt völlig daneben, wenn man als Maßstab die Niederlande oder Deutschland hernimmt.

Das ist ein bekanntes Problem. Es gibt ein Nord-Süd-Gefälle und inzwischen auch ein Mittel-West-Gefälle. Es ist nun aber einmal eine Tatsache, dass die EZB die gesamte Eurozone im Blick haben muss und in der Eurozone als Ganzes ist die Lage absolut nicht rosig. Die Situation beginnt sich gerade zu verbessern, doch von großangelegter Entwarnung kann nicht die Rede sein.

Die EZB hat das in ihrem letzten Wirtschaftsbericht ausführlich dargelegt (www.ecb.europa.eu/pub/pdf/ecbu/eb201703.en.pdf?446f6b0c045a109e58670d79f6b69c41  ab Seite 31). Sie beleuchtet dabei das Ausmaß der Unterbeschäftigung in der Eurozone. Obwohl die Arbeitslosenrate, wie sie offiziell ausgewiesen wird, gar nicht mehr so schlecht aussieht, verbirgt sich dahinter noch immer ein großes Defizit.

Die offizielle Arbeitslosenrate liegt bei 9,5 %. Zählt man nun aber noch jene Menschen hinzu, die die Arbeitssuche aufgegeben haben und gerne vollzeitbeschäftigt wären, erhält man Werte, die beim Doppelten liegen. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung betreffen nach Berechnungen der EZB also 18 %. Fast jeder fünfte ist un- oder unterbeschäftigt.

Das sind ziemlich schlimme Zahlen. Sie sind aber in Wirklichkeit wohl noch schlimmer. Das muss man sich selbst ausrechnen, aber die Arbeit lohnt sich. Eurostat veröffentlicht zwar nicht direkt Zahlen zur Unterbeschäftigung, aber man kann sich die Daten leicht herleiten. So wären z.B. gerne 62 % der vorrübergehend Beschäftigten in geordneten Voll- oder Teilzeitstellen. Vorrübergehende Beschäftigung bedeutet meist geringere Bezahlung, geringere Beschäftigung und weniger Zusatzleistungen.

Knapp ein Drittel aller Teilzeitbeschäftigten würden gerne Vollzeitstellen haben, bekommen sie aber nicht – aus welchen Gründen auch immer. Zieht man diese beiden Untergruppen von der Gesamtbeschäftigung ab, ergibt sich Grafik 1. Die blauen Säulen zeigen die „ordentliche“ Beschäftigung. Die orangenen Balken zeigen wie viele Menschen unfreiwillig in Zeitarbeit feststecken und die grauen die unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung. Der Anteil der Unterbeschäftigung an der Gesamtbeschäftigung hat sich seit 2004 von 7 % auf 10,5 % deutlich erhöht.

Für eine Entwarnung ist es ohnehin noch zu früh. Erst jetzt sind wieder so viele Menschen beschäftigt wie vor der Krise, allerdings ist die Bevölkerung seitdem gewachsen und mehr Menschen sind unterbeschäftigt. Das führt dann zu einer ganz anderen Arbeitslosenstatistik als die, die man gewohnt ist. Grafik 2 zeigt den Vergleich der offiziellen und der inoffiziellen, die auch die Unterbeschäftigung beinhaltet.


Inoffiziell liegt die Quote nach wie vor bei knapp 19 % und ist immer noch höher als in der Zeit von 2009-2011. Diese Zahlen berücksichtigen noch nicht die entmutigten Menschen, die zwar arbeiten könnten, aber nicht mehr nach Arbeit suchen. Nimmt man hier einfach die Zahlen der EZB, so liegt die Arbeitslosenquote sogar bei 22 %.

Viele Menschen fühlen und erleben, dass etwas nicht stimmt. Das zeigt sich auch an den Wahlurnen. Es ist aber bisher ein unkoordiniertes und nicht so recht bestimmbares Gefühl. Wüsste die Masse wie schlimm die Lage wirklich ist, wer weiß, vielleicht hätten wir dann morgen schon die Revolution. Die Daten lassen sich ja wirklich nur mit einem Wort zusammenfassen: untragbar.

Clemens Schmale

Sie interessieren sich für Makrothemen und Trading in exotischen Basiswerten? Dann folgen Sie mir unbedingt auf Guidants!

Lernen, traden, gewinnen

– bei Deutschlands größtem edukativen Börsenspiel Trading Masters kannst du dein Börsenwissen spielerisch ausbauen, von professionellen Tradern lernen und ganz nebenbei zahlreiche Preise gewinnen. Stelle deine Trading-Fähigkeiten unter Beweis und sichere dir die Chance auf über 400 exklusive Gewinne!

Jetzt kostenlos teilnehmen!

28 Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen
  • dschungelgold
    dschungelgold

    Besser kann man sich nicht absichern. Ich habe mich Jahre damit beschaeftigt.

    15:32 Uhr, 19.05.2017
    1 Antwort anzeigen
  • Blaubär
    Blaubär

    "Ist auch logisch, dass das ein Märchen sein muss. Wäre es so, dass mindestens so viele neue Jobs entstünden wie alte Jobs wegfallen, würde ja die Produktivität kaum steigen..."

    Na Herr Huber, die Produktivität kann durchaus steigen bei gleicher Jobzahl, nämlich durch mehr output. Soviel zum Thema Logik...

    (btw: Es kann natürlich trotzdem ein Märchen sein, aber dann aus anderen Gründen.)

    14:02 Uhr, 19.05.2017
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Chapeau Herr Schmale, ein sehr guter Beitrag. Im Lager der Systemwanzen machen Sie sich mit solchen Artikeln keine Freunde. Die werden gar sagen, jetzt spinnt er völlig, der Clemens, läuft doch gerade alles sooo toll, was hat er denn nur? Wird er jetzt zum Verschwörungstheoretiker? Dann polieren die ihre rosarote Systembrille und laufen blind direkt in den Abgrund, na ja, nicht schade drum.

    14:01 Uhr, 19.05.2017
  • 1 Antwort anzeigen
  • netzadler
    netzadler

    "Unternehmensgründer Elon Musk selbst räumt in einem Telefoninterview mit einer Zeitung offen ein, die Arbeiter hätten "eine harte Zeit" gehabt. "Mit langen Arbeitszeiten und anstrengender Arbeit." Die Fabrik habe aber in Sachen Arbeitssicherheit und -Organisation im vergangenen Jahr spürbare Fortschritte erzielt. Tesla, fügte er hinzu, dürfe nicht mit den klassischen Autoherstellern verglichen werden. Die hohe Marktkapitalisierung wecke entsprechende Erwartungen bei den Investoren (!!!)"

    (zu) hohe Börsenkurse erzwingen also Ausbeutung und Sklaventreiberei. Willkommen im 21. Jahrhundert.

    Ich weiss schon, wo ich das hinschicke.

    Hier hat jemand den Bezug zur Realität und Bodenhaftung verloren.

    12:41 Uhr, 19.05.2017
  • Market Impact
    Market Impact

    Nö nö , da passiert erstmal keine Revolte. Vorher wird sowiso noch Canabis freigegeben :))

    12:31 Uhr, 19.05.2017
  • bullischerbär
    bullischerbär

    Es ist nur die Frage wie weit wir noch von den "Tributen von Panem", also "Hungerspielen" weg sind. Die Medienlandschaft stellt sich ja so langsam darauf ein, wenn man das sinkende Niveau seit Jahren beobachtet....

    12:13 Uhr, 19.05.2017
    1 Antwort anzeigen
  • Sascha Huber
    Sascha Huber Experte für Kryptowährungen

    Das zeigt aber auch, dass es nicht stimmt, dass durch neue Technologien wegfallende Jobs an anderer Stelle ersetzt werden. Sonst hätte man diese Probleme ja nicht. Es ist aus meiner Sicht tatsächlich problematisch, wenn Roboter in Zukunft die einfachen Tätigkeiten erledigen. Denn dadurch fallen eben eine ganze Menge, gerade einfacher, Jobs, weg. Und die werden definitiv nicht durch neu entstehende Jobs in der Roboter-Branche ersetzt. Mal ganz abgesehen davon, dass gar nicht jeder entsprechende Qualifikationen hat!!

    Ist auch logisch, dass das ein Märchen sein muss. Wäre es so, dass mindestens so viele neue Jobs entstünden wie alte Jobs wegfallen, würde ja die Produktivität kaum steigen...

    10:56 Uhr, 19.05.2017
    1 Antwort anzeigen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

Mehr über Clemens Schmale
  • Makroökonomie
  • Fundamentalanalyse
  • Exotische Basiswerte
Mehr Experten