Kommentar
10:15 Uhr, 18.07.2019

Griechenland: Das ist unglaublich

Griechenland hat einen herkulischen Akt vollbracht. Damit ist nicht etwa der politische Wechsel gemeint, sondern der Finanzmarkt.

Zum ersten Mal seit 12 Jahren ist Griechenland etwas gelungen, was lange Zeit für ausgeschlossen galt. Die Rendite der 10-jährigen Anleihe befindet sich auf dem gleichen Niveau wie die des US-Pendants (Grafik 1). Zeitweise lag die Rendite nur noch 8 Basispunkte höher als in den USA, also weniger als 0,1 %.


Das ist schon ein starkes Stück. US-Anleihen gelten als die sichersten und liquidesten der Welt. Wegen des deutlich höheren Leitzinses kann die Rendite von US-Anleihen aber nur bedingt tiefer fallen. Dafür müsste die Notenbank die kurzfristigen Zinsen nach unten ziehen.

Bemerkenswert ist ohnehin nicht, dass die US-Rendite so hoch ist, sondern dass die griechische so tief ist. Man gewinnt fast den Eindruck, dass alles wieder in Ordnung ist und Griechenland tatsächlich in der Lage wäre, seine Schulden zu bedienen. Anders lässt sich ein so niedriger Zins nicht erklären.

Soll Griechenland die Schulden zurückzahlen, muss die Wirtschaft mitspielen. Nur wenn die Wirtschaft wächst, kann der Staat ausreichend Steuern einnehmen, um die Schulden zu bedienen. Die Wirtschaft wächst seit 2016 tatsächlich. Die Wachstumsrate ist mit 0-2 % aber nicht gerade in den Himmel gewachsen.

Das Pro-Kopf-Einkommen liegt immer noch 15 % unter dem Vorkrisenniveau. Eigentlich kann man hinsehen, wohin man will, das Bild wird dadurch nicht rosig. Immerhin gibt es einen Indikator, der hoffen lässt. Zuletzt sank die Arbeitslosenrate auf 17,6 %. Das ist natürlich immer noch hoch, aber 10 Punkte unterhalb des Hochs von fast 28 % im Jahr 2013 (Grafik 2).


Nun gibt es an der Sache jedoch einen Haken. Die Krise hat zu einer regelrechten Abwanderungswelle geführt. Die Erwerbsbevölkerung ist von fast 5 Millionen im Jahr 2009 auf 4,65 Millionen gefallen (Grafik 3). Berücksichtigt man diese Abwanderung, dann liegt die Arbeitslosenquote immer noch bei mehr als 20 %.

Geschafft ist also noch nicht besonders viel. Die Wirtschaft siecht nach wie vor vor sich hin. Der Aktienmarkt steht ebenfalls noch 85 % unter seinem Allzeithoch. Zu feiern gibt es also nichts. Auch die Wahl einer neuen Regierung wird die Probleme kaum lösen.

Griechenland müsste investieren und die Steuern senken, damit die Wirtschaft schneller wächst und auch Menschen wieder zurückkommen. Kurzfristig bedeutet das höhere Defizite. Da Schulden allerdings das Problem sind, ist fraglich, ob noch mehr Schulden das Problem wirklich lösen.

Wenn man ehrlich ist, muss man zugestehen, dass es einen Schuldenschnitt braucht. Auch das wird schmerzhaft, ist aber wenigstens rasch vorbei. Mit der ewigen Stagnation, die das Land erlebt, wird es jedenfalls nicht gelingen, wieder auf die Beine zu kommen. Was am Anleihemarkt geschafft ist, braucht in der Realwirtschaft noch viele Jahre und Jahrzehnte.

Clemens Schmale

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15 Kommentare

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  • Dragoslav
    Dragoslav

    Und Schuldenschnitt... 😂. Das Geldsystem nennt sich nicht nur aus Spass Schuldgeldsystem. Schuldenschnitte sind Schnitte ins eigene Fleisch.

    22:28 Uhr, 18.07.2019
  • Dragoslav
    Dragoslav

    Die nahezu kindliche Naivität - die Renditen seien so niedrig weil ein Vertrauen in die Rückzahlungfähigkeit vertraut würde- ist mir unverständlich. Ist das EZB Anleihekaufprogramm und seine beabsichtigte Wirkung, welche offensichtlich erreicht wurde, völlig am Autor vorbeigegangen?

    22:26 Uhr, 18.07.2019
  • Bigdogg
    Bigdogg

    Sie (und wir hier) in Deutschland bezahlen diese niedriegen Renditen Herr Schmale. Was ist daran auch nur ansatzweise eine unglaubliche Leistung??

    13:25 Uhr, 18.07.2019
    1 Antwort anzeigen
  • Lumpazi
    Lumpazi

    Was ist daran denn so unglaublich?

    Die internationalen Geldgeber sind sich jetzt absolut sicher, dass Griechenland immer zahlungsfähig bleiben wird, weil andere seine Zeche zahlen werden.

    11:37 Uhr, 18.07.2019
  • Data75
    Data75

    Lohnstückkosten sind ja auch fast auf deutschen Niveau. Das macht konkurrenzfähig.

    11:29 Uhr, 18.07.2019
  • franca
    franca

    Ich nehme hier für mich zwei Erkenntnise mit:

    1. Dass die griechischen Anleihen inzwischen als sicher gelten (Draghi sei Dank) u n d

    2. Was aus den einst "sichersten und liquidesten (US-) Anleihen der Welt" geworden ist...

    11:22 Uhr, 18.07.2019
  • K4sti
    K4sti

    Internationaler Fisher Effekt

    11:02 Uhr, 18.07.2019
  • Rente
    Rente

    Es gab einen 50%tigen Schuldenschnitt.....

    10:51 Uhr, 18.07.2019
  • Dr. Bull
    Dr. Bull

    Sehe ich genauso. Denn die wollen die Schulden weg haben, aber genauso viel Geld haben, wie bisher bzw früher.

    10:42 Uhr, 18.07.2019

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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