Kommentar
15:58 Uhr, 16.11.2016

Geldanlage im Märchenland

Wenn ich mit Menschen in Deutschland über den Finanzmarkt spreche, dann muss ich mich hin und wieder kneifen, ob ich mich in der Wirklichkeit oder in einem transluziden Traumzustand befinde.

Hat uns das Angestelltendasein mit betrieblicher Altersvorsorge und Berufsunfähigkeitsversicherung so weichgespült, dass wir keinen Bezug zur wirtschaftlichen Realität mehr haben? Wo bitte ist der homo oeconomicus, der stets rational und zu seinem maximalen Nutzen handelt?

Unter den Anlegern in Deutschland ist er selten anzutreffen. In ihrer Gesellschaft fühlt man sich eher wie auf einem Kindergeburtstag mit Hüpfburg und Zuckerwatte. Damit niemand unglücklich nach Hause geht, gibt es Geschenke für alle zum Abschied.

Die Wirklichkeit der Märkte ist eine andere. Dort muss man Verluste ertragen, um Gewinne zu erwirtschaften.

Ja, die Deutsche Telekom war ein schlechtes Investment. Und ja, die Deutsche Bank ist auch keine gute Aktie. E.ON und RWE sind ebenfalls heiße Herdplatten.

Und doch, der DAX hat sich seit 2011 mehr als verdoppelt.

Die Quintessenz des deutschen Anlegers daraus ist: „Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach.“

Seine Interpretation lautet:

1) Aktien, das sind des Teufels Spielwaren.
2) Zertifikate und kapitalbildende Versicherungsprodukte (am besten irgendwas mit Immobilien), sind vernünftig.

Dabei hinterfragt der auf die Banken schimpfende Bürger selten, wie und zu welchen Gebühren diese sein Geld „garantiert sicher“ anlegen.

So mussten erst Verbraucherschützer die Index-Rente eines großen deutschen Versicherers öffentlich als "üble Täuschung" (1) deklarieren, bevor mündige Anleger anfingen nachzudenken. Vorher hatte sich das Produkt schon wie warme Semmeln verkauft.

Anscheinend gilt am Finanzmarkt Deutschland: „Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht“.

Es ist vernünftig, wenn jemand im Alter nichts riskieren möchte (dann aber alle Anrufe des Beraters ignorieren). Wer heute weiß, dass er nicht jeden Cent bis zum letzten Erdentag verjubelt, könnte darüber sinnieren, dass man Vermögen auch in Aktien und Immobilien vererben kann. Auch ein monatlicher Sparplan in Aktienfonds für das Enkelkind... (Entwicklung eines DAX-Sparplans seit 1996 )

Das Dilemma fehlender Kapitalbildung betrifft besonders meine Generation. Motiviert von düsteren Rentenprognosen und Nullzinsen müssten wir doppelt so viel sparen wie unsere Eltern. Die von der Notenpresse hochgejubelte Immobilienblase macht das durch Mieten zu Mondpreisen besonders leicht.

Die logische Konsequenz wäre risikoreicher und günstiger anzulegen. Dafür braucht es aber ein Mindestmaß an finanzieller Bildung um seinen Sparstrumpf nicht in privaten Versicherungen zu verpulvern.

Ausreden wie „das ist zu kompliziert“ oder „hab ich keine Zeit“ lasse ich nicht gelten.

Seitenlange Rezensionen auf Amazon zu Drohnen (das sind kleine Minihubschrauber die Filme von Nachbars Garten machen können), Diskussionsforen in Romanlänge zu Küchenmixern oder „Let’s Play“-Videos auf Youtube (dabei filmen sich erwachsene Menschen beim Computerspielen) zeigen mir, dass die 38-Stundenwoche genug Zeit für private Angelegenheiten lässt.

Dabei würde es reichen nur ein einziges Buch wie Gerd Kommers "Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs: Wie Privatanleger das Spiel gegen die Finanzbranche gewinnen" zu lesen oder hin und wieder ein paar Artikel auf meinem Guidants-Desktop zu verfolgen. (Wie sich Privatanleger auf einen bevorstehenden Aktiencrash vorbereiten können)

Ein günstiges ETF-Portfolio lässt sich bereits aus zwei simplen Indexfonds konstruieren. Die Kontoeröffnung eines Online-Depots erfordert heute nur noch den Gang ins Arbeitszimmer. Beides dauert nicht so lange wie die Akkuladezeit der neuen Drohne.

Viele Grüße
Jakob Penndorf

--
(1) Lebensversicherung abgemahnt. Verbraucherschützer sprechen von "übler Täuschung". Manager-Magazin vom 27.05.2016.

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12 Kommentare

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  • Gone Fishing
    Gone Fishing

    Wenn das alles so einfach und organisiert ablaufen würde könnte der Staat dem Sparer direkt eine Rendite von 4% zur Altervorsorge garantieren und der Fall wäre erledigt. Das Problem ist das Staaten wie im Nachhinein dann feststeht verantwortungslos mit Geld umgehen, Banken auch. Das Rentensystem hätte spätestens in den 80er Jahren auf ein teils umlagefinanziertes, teils Zinseszins finanziertes System umgestellt werden müssen.

    Doppelt sparen reicht nicht, das muss mindestens das dreifache sein, vierfach ist besser, leider technisch nicht möglich denn 750.000,- Euro für 25 Jahre Rente mit 2.500,- Ausgaben im Monat muss man erst mal ansparen (bzw. hätten das 1,5 Millionen DEM sein müssen).

    Bank geht pleite, ETF geht pleite, Staat führt eine neue Vermögenssteuer ein, der Euro verschwindet, wer über 100.000,- angespart hat ist sowieso Millionär und muss zur Kasse gebeten werden.

    Vor 2 Jahren die Euro in USD gewechselt zum Wechselkurs von 1,345 statt heute 1,065 wären schon satte 25% Rendite. Um 1970 Gold, Rolex, Porsche oder Immobilie kaufen und lagern wäre wohl mit über 6% Mindestrendite sinnvoller im Sinne von sicherer gewesen als jede Kapitalanlage. Problem ist damals hätte das Geld dafür gefehlt, heute auch.

    Wer als nicht Spezialist über 45 Jahre sein Depot/Anlage selbst mehrfach umschichtet macht mit 99% Wahrscheinlichkeit irgendwann in der Kette einen groben Fehler, normalerweise eher am Ende der Laufzeit. Fall erledigt.

    18:18 Uhr, 17.11.2016
    1 Antwort anzeigen
  • Laeufer
    Laeufer

    Ganz einfach: Alle kümmern sich in ihrer Freizeit um ihr eigenes Geld. Alle investieren in ein (dann fast deckungsgleiches) ETF-Portfolio und alle sind glücklich. Privatleute, Banken, Broker. Bis zum nächsten Crash. Die Masse liegt nämlich selten richtig. Wieso wird ein Crash zum Crash? Doch nicht weil alle investiert sind. Oder gerade deswegen? Immerhin saufen dann alle gleichzeitig ab. -- Edit: Nicht ganz ernst gemeint! Es hat schlicht was mit Zyklik des Investments zu tun. Und ob Investments in Immobilien- oder Aktienmärkte oder auf Tagesgeldkonten gelegt werden, eben auch

    15:54 Uhr, 17.11.2016
  • san68822
    san68822

    kann es sein das sich hier einige sehr toll fühlen weils sie sich ein wenig mit aktien und den ganzen drumherum aus kennen. wenn der "angestellte" nach der arbeit sich nicht mehr mit den wirtschaftlichen belangen auseinander setzt sondern seine freizeit geeniesst, ist dasohl sein gutes recht. für sein übrig gebliebenes geld beauftagt man leute in der bank oder vielleicht noch besser bezahlte fondmamager die wirklich nicht wenig einschieben. das in der vergangenheit bei börsenchrashs der "kleine angestellte" dann ins rohr geschaut hatte und immer wieder erzählt wurde die kommen schon wieder auf ihr altes niveau weil es ja eine so tolle firma ist wie die oben genannten...oder nokia und viele andere heisse kanditaten. aber leider wurde daraus meistens nur eine komplette pleite oder das weite unversum ist auch in der zeit weit weil die braucht man dann um wieder auf sein geld zu kommen. die supermanager die dir vorher soviele gute tips gegeben haben, sind dann mit der aussage raus das die börse keine einbahnstrasse ist.

    so und jetzt zur frage von den allwissenden hier zur börse. wer repariert sein auto selber wer macht seine umbauten am haus selber und wer lässt lieber jemand machen der sich damit auskennt obwohl er vielleicht sogar ein wenig zeit hätte?.....doch wohl die meisten!!

    und werden die dann auch so hinter das licht geführt wie die arbeiter oder angestellten die ihr sauer verdientes zum börsenspezialisten bringen?

    mal nachdenken!!

    09:41 Uhr, 17.11.2016
    1 Antwort anzeigen
  • netzadler
    netzadler

    "Es gibt zwei dinge, die unendlich sind: das Universum und die Dummheit des deutschen Michel, wobei ich mir beim Universum nicht sicher bin"

    frei nach A. Einstein

    09:22 Uhr, 17.11.2016
  • Husky
    Husky

    den homo oeconomicus gibt es nicht! Das haben auch die Professoren zugegeben, die ihn jahrzehntelang durch die Vorlesungssääle getragen haben

    08:36 Uhr, 17.11.2016
  • TerraFormingSolutions
    TerraFormingSolutions

    Ganz ausgezeichnet. Klar, deutlich. Selbst-Denken ist angesagt.

    Aber es ist natürlich viel einfacher und bequemer zu sagen, "Der ist schuld und nicht ich".
    Gestern hatten wir eine Unternehmenspräsentation:
    Zum Abschluß wurde uns ein feines Comic gezeigt.

    Bild 1:
    Unternehmenschef: "Wer will Veränderung?"
    Alle Mitarbeiter: "Ich, Ich, Ich !!!"

    Bild 2:
    Unternehmenschef: "Wer will sich ändern?"
    Alle Mitarbeiter: "Öhm ?" - Betretenes Schweigen.

    07:44 Uhr, 17.11.2016
  • einfach
    einfach

    für alle arbeitnehmer die ein gehalt unter 2500€ netto beziehen und das sind über 75%, gibt es nichts besseres als die umlagefinanzierte rente mit 75% vom letzten nettolohn.

    bevor jetzt das laute lachen losgeht und von der aktuell traurigen tatsache von maximal 45 % vom gesamtnettodurchschitt hingewiesen wird, sollte die überlegung angestrengt werden wie die 75% vom letzten nettolohn durch ein umlageverfahren erreicht werden können.

    als mindestvorraussetzung um diesem ziel nahezukommen sollten folgende punkte erfüllt werden

    1. gleichheit der besteuerung aller einkommensklassen.

    2. keine bemessungsgrenzen für das kapital.

    3. alle müssen einzahlen egal ob selbsständig, angestellt oder beamte.

    4. müttern sollte bei aufgabe der arbeit zur kindererziehung ein gehalt vom staat (also der gesellschaft) für einen angemessenen zeitraum (z.b. die ersten 6 jahre) in höhe eines durchschnittsbeamten gezahlt werden.

    5. für alle tätigkeiten sollte ein körperlicher belasungsfaktor eingeführt werden z.b. körperlich anstregende arbeiten faktor 1,4 bis 1,7 (dass heißt das ein monat arbeit 1,4 bis 1,7 monate arbeit entspricht) und dementsprechen für den arbeitgeber eine höhere monatliche rentenzahlung fällig ist. mit diesem faktor ist es dann möglich für jede belastung ein gerechtes rentenalter zu bestimmen.

    und für sie herr Penndorf, freuen sie sich dass sie mit kapitalanlage geschäften so hervorragend verdienen, das sie es zu ihrem hauptberuf machen konnten und so viel verdienen dass sie von keinem anderen provisionen oder anlagegelder benötigen.

    das hauptmerkmal eines erfolgreichen kapitalinvestors ist, dass er mit seinem eigenen geschick und geschäftstimings ohne fremdes kapital oder provisionen mit den derzeitig einfach angebotenen hebeln mit dem faktor 20 bis 100 auskommt.

    18:18 Uhr, 16.11.2016
    1 Antwort anzeigen
  • Ridicule
    Ridicule

    Super Artikel, der den Nagel vor Kopf auf den Kopf trifft. Ich habe an anderer Stelle so schon so viel über dieses leidige Thema geschrieben, deshalb spare ich mir das hier. Nur soviel, ich sehe es auch positiv, denn wenn der unmündige, unerfahrene, finanztechnisch völlig ungebildete Deutsche jetzt anfangen würde, auf breiter Basis in Aktien zu gehen, dann wäre die Tage steigender Kurse ruckzuck gezählt. Er soll lieber weiterhin als Kontraindikation fungieren und schön am Weltspartag sein Sparschwein zum ausleeren zur Bank bringen. Für das Verständnis dieser Regeln reicht sein Wissen gerade noch.

    18:13 Uhr, 16.11.2016

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Über den Experten

Jakob Penndorf
Jakob Penndorf

Jakob Penndorf teilt seit 2015 seine Expertise als Finanz- und Tradingexperte auf GodmodeTrader und Guidants, den Finanzportalen der BörseGo AG. Er startete seine Karriere als Börsenhändler und Analyst bei einer Wertpapierhandelsbank, war Berater und Fondsmanager für Asset Manager in Frankfurt am Main und Gründer eines Finanztechnologie-Unternehmens in Berlin. Jakob Penndorf hat zahlreiche Lehrgänge absolviert, u.a. ist er akkreditierter Berater der namhaften Investmentgesellschaft Dimensional Funds Advisors (DFA) aus den USA, deren Vorstand und Verwaltungsrat führende Finanzforscher wie Kenneth French, Roger Ibbotson oder Eugene Fama angehören. Jakob Penndorf veröffentlichte zahlreiche Fachartikel über Börsenstrategien, Anlegerverhalten und technische Handelssysteme. Er trainiert Unternehmer, Börsenhändler und Investoren im Umgang mit Risiken an den Finanzmärkten.

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