Geburten, Todesfälle und Indizes
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Vor einigen hundert Jahren begannen viele Gesellschaften, ein kapitalistisches Wirtschaftsmodell zur Ressourcenverteilung einzusetzen – ein System, in dem Produzenten miteinander um das Kapital von Sparern konkurrierten, das sie zur Finanzierung von Projekten benötigten. Seit diesem Zeitpunkt wurde die Mindestrendite, die Sparer dazu motiviert, mit ihrem Kapital Risiken einzugehen, vom Markt festgelegt.
Bei normal funktionierenden Märkten haben Staaten mit unausgeglichenem Haushalt oder Unternehmen mit nicht wettbewerbsfähigen Produkten ganz andere Kapitalkosten als solche mit mehr Dynamik. Als Reaktion auf die durch das Coronavirus hervorgerufene Pandemie haben die Zentralbanken die Mindestrendite für Investitionen praktisch abgeschafft, indem sie allen Kredite zur Verfügung stellten und der Finanzialisierung der Bilanzen oberste Priorität einräumten.
Sowohl Unternehmen als auch Finanzmärkte werden von Menschen gesteuert, die Entscheidungen treffen (und Fehler machen). Unternehmen haben, ähnlich wie Menschen, eine Lebenserwartung, die bei manchen lang und bei manchen kurz ausfällt. Wenn der Beobachtungszeitraum lang genug ist, dann fällt jedes Unternehmen irgendwann Veränderungen oder dem Wettbewerb zum Opfer. Neue Projekte ziehen Kapital von Unternehmen ab, die sich unterdurchschnittlich entwickeln, weil Anleger nach besseren Investitionsmöglichkeiten suchen. Neue Unternehmen entstehen, während alte untergehen. Das ist Kapitalismus. Doch der kapitalistische Sensenmann wurde von der Geldpolitik außer Gefecht gesetzt, und so kam es 2020 zu einer Kapitalbeschaffung von historischem Ausmaß. Welche Folgen hat das?
Wenn sich der Konjunkturzyklus seinem Ende zuneigt, beschleunigt sich meist der Prozess der schöpferischen Zerstörung, der im Allgemeinen während Rezessionen, wenn sich Kapitalbesitzer nach besseren Anlagechancen umsehen, seinen Höhepunkt erreicht. In der Vergangenheit hatten Rezessionen eine Korrekturwirkung: Sie sorgten dafür, dass überflüssige Unternehmen von der Bildfläche verschwanden und ihre Aktien somit aus den Benchmark-Indizes herausgenommen wurden. Bei dieser Rezession war das jedoch anders. Aus der Abbildung (im Anhang) geht hervor, wie viele Unternehmen in den letzten Konjunkturzyklen während eines rollierenden 12-Monatszeitraums aus dem S&P 500 Index und aus dem MSCI EAFE Index herausfielen. Im aktuellen Zyklus sind dank der entschlossenen staatlich finanzierten „Lebenserhaltungsmaßnahmen“ im Vergleich zu bisherigen Zyklen nur sehr wenige Unternehmen aus den Indizes verschwunden.
Die Pandemie hat bereits vorhandene Trends verstärkt. Sie hat nicht zur Erfindung des Online- Shoppings geführt, aber massiv zu dessen Verbreitung beigetragen. Cloud-Computing oder digitale Zahlungssysteme sind nicht aufgrund von COVID-19 entstanden, dennoch beschleunigte das Virus eine Verhaltensänderung damit um Jahre. Angesichts des durch die Technologie verursachten abrupten Wandels in Kombination mit der schlimmsten Rezession seit nahezu 100 Jahren wäre meiner Meinung nach mit einer Unmenge nicht überlebensfähiger Unternehmen und wertloser Aktien bzw. Anleihen zu rechnen gewesen.
Die Anzahl unrentabler Unternehmen, sogenannter „Zombie“-Unternehmen, stieg während des Zyklus nach der weltweiten Finanzkrise besonders schnell, da eine außergewöhnlich expansive Zentralbankpolitik und der explosionsartige Zuwachs bei passiven Anlageformen die schöpferische Zerstörung ausbremsten. Neben dem technologischen Wandel verstärkte auch die Aufstockung von Finanzhilfen für unrentable oder nicht wettbewerbsfähige Unternehmen diese Dynamik. Ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler, aber ich verstehe, was die Zentralbanken damit bezwecken – sie versuchen, eine Deflationsspirale zu verhindern. Auch wenn ich mir kein Urteil anmaße, ist das Außerkraftsetzen des natürlichen Ausleseprozesses der Märkte sicherlich nicht kostenfrei. Indem man die Lebenserwartung von Unternehmen verlängert, die ansonsten vielleicht schon nicht mehr existieren würden, verteuert man die Ressourcen für andere. Außerdem werden die finanziellen Erträge verringert und neue Wettbewerber vom Markteinstieg abgehalten. Zugleich behindert man den Preiswettbewerb und trägt dazu bei, dass unwirtschaftliche Verhältnisse entstehen. Auf diese Weise kommt es zu einem Überangebot an unproduktiven Ressourcen und niedrigeren Kapitalrenditen.
Auch wenn jeder Konjunkturzyklus anders verläuft, gibt es ein Muster: Rezessionen sind Prozesse, in deren Verlauf die Exzesse aus dem vorhergehenden Zyklus korrigiert werden. Während des Zyklus im Anschluss an die weltweite Finanzkrise bestand der Exzess darin, nicht wettbewerbsfähigen Unternehmen niedrig verzinste Kredite zu gewähren, um deren rückläufige Cashflows auszugleichen, anstatt eine Korrektur der Ungleichgewichte zuzulassen. Inzwischen hat sich die Lage sogar noch verschlimmert.
In einem solchen Umfeld kommt aktiven Managern die Aufgabe zu, unrentable Unternehmen aus den Portfolios auszusortieren, selbst wenn die Indexersteller solche Unternehmen in ihren Benchmarks belassen. Anders zu handeln wäre wohl nicht tragbar.
Keine Kommentare
Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.