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14:56 Uhr, 23.06.2022

Gaskrise: 'Lehman-Effekt im Energiesystem'

Der Notfallplan Gas hat drei Stufen: Die jetzt ausgerufene ist die 2. nach der Frühwarnstufe. Die dritte wäre die Notfallstufe. Laut dem Plan liegt bei der Alarmstufe eine Störung der Gasversorgung vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Versorgungslage führt. Der Markt kann die Störung aber noch bewältigen.

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Die europäischen Gaspreise sind am Donnerstag auf den höchsten Stand seit Dezember gestiegen, nachdem die deutsche Regierung die zweite Alarmstufe des Notfallplans Gas gezündet hat. Damit ist Deutschland einen Schritt näher an die Rationierung von Erdgaslieferungen herangerückt.

Grund sind die gedrosselten Gasflüsse aus Russland und das Bemühen der Regierung, die Speicherstände den gesetzlichen Vorgaben entsprechend weiter zu füllen. Die deutschen Speicher seien zwar zu 58 Prozent gefüllt. „Doch sollten die russischen Gaslieferungen über die Nord-Stream-1-Leitung weiterhin auf dem niedrigen Niveau von 40 Prozent verharren, ist ein Speicherstand von 90 Prozent bis Dezember kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar", erklärte das Wirtschaftsministerium.

Steigende Gaspreise treiben auch die Stromkosten in die Höhe. Der deutsche Strompreis für das kommende Jahr kletterte am Donnerstag an der European Energy Exchange um 4,5 Prozent auf 256 Euro pro Megawattstunde und erreichte damit den höchsten Stand seit dem 23. Dezember. Das französische Pendant stieg um 1,6 Prozent auf 320 Euro pro Megawattstunde und notierte damit ebenfalls auf dem höchsten Stand seit Dezember.

Der angespannte Gasmarkt steigert zudem die Nachfrage nach Kohle als Stromquelle, die in diesem Winter verstärkt zum Einsatz kommen könnte, wenn die Gasversorgung weiterhin gestört ist. Die europäischen Kohlefutures für 2023 stiegen am Donnerstag um bis zu 4 Prozent auf 270 Dollar je Tonne.

Wirtschaftsminister Robert Habeck warnte am Donnerstag davor, dass Russland einen Zusammenbruch der europäischen Energiemärkte provozieren könnte. Er zog sogar eine Parallele zur Rolle der untergegangenen US-Investmentbank Lehman Brothers bei der Auslösung der Finanzkrise. „Da die Energieversorger Verluste anhäufen, weil sie gezwungen sind, hochpreisige Mengen abzudecken, besteht die Gefahr von Spillover-Effekten für lokale Versorgungsunternehmen und deren Kunden, einschließlich Verbrauchern und Unternehmen, sagte Habeck. „Wenn dieses Minus so groß wird, dass sie es nicht mehr verkraften können, droht der ganze Markt irgendwann zusammenzubrechen", sagte Habeck auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in Berlin. „Also ein Lehman-Effekt im Energiesystem."

Die größte europäische Volkswirtschaft steht vor der nie dagewesenen Aussicht, dass Unternehmen und Verbrauchern die Energie ausgeht. Seit Monaten drosselt Moskau schrittweise seine Lieferungen, offenbar als Vergeltung für die Sanktionen, die wegen des Einmarsches in der Ukraine verhängt wurden. Letzte Woche wurde die Hauptgasverbindung nach Deutschland, Nord Stream I, stark gekappt, wodurch die Reservekapazitäten für den Winter nun in Gefahr sind. Das Risiko einer vollständigen Kappung der Gaslieferungen aus Russland ist derzeit größer denn je.

Der Notfallplan hat drei Stufen: Die jetzt ausgerufene ist die zweite nach der Frühwarnstufe. Die dritte wäre die Notfallstufe. Laut dem Plan liegt bei der Alarmstufe eine Störung der Gasversorgung vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Versorgungslage führt. Der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung zu bewältigen.

Habeck rief am Donnerstag auch dazu auf, Gas zu sparen. „Es wird eine nationale Kraftanstrengung. Aber wir können sie in Solidarität miteinander bewältigen“. Industrie, Staat und Privathaushalte sollten den Verbrauch weiter senken. Er riet unter anderem dazu, Heizungsanlagen warten zu lassen. Dadurch seien Einsparungen von 15 Prozent möglich.

Gas ist ein wichtiger Bestandteil des deutschen Energiemixes und schwieriger zu ersetzen als russische Kohle und Öl, die bis Ende des Jahres auslaufen. Der Brennstoff ist für die Beheizung von Haushalten und für industrielle Prozesse in der Chemie-, Pharma- und Metallbranche von entscheidender Bedeutung.

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Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

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