Nachricht
09:44 Uhr, 26.10.2012

FTD: Europ. Autoindustrie auf Konfrontationskurs mit Staat und Gewerkschaften

Hamburg (BoerseGo.de) - Die europäische Autoindustrie steckt in einer Krise. Die Hersteller leiden über Überkapazitäten, die Fabriken sind nicht mehr ausgelastet, die Nachfrage ist mau. Die Folge: Die Firmen lösen zunehmend Standorte auf. Laut einem Pressebericht drohen in vielen europäischen Ländern deshalb Auseinandersetzungen mit Regierungen und Gewerkschaften. Dies befürchtet die „Financial Times Deutschland“ in ihrer Freitagsausgabe und begründet dies mit den anstehenden Werksschließungen in Ländern wie Belgien, England, Italien und Frankreich. Am Donnerstag etwa habe der US-Autobauer Ford bekanntgegeben, die britischen Standorte Southampton und Dagenham und das Werk im belgischen Glenk aufzulösen. Auch Volvo habe angekündigt, in Belgien die Produktion zu kürzen.

Eine Ausnahme der zunehmenden Frontenbildung würde Deutschland bilden, schreibt die Zeitung. Während in den Nachbarländern mehrere Zehntausend Arbeitsplätze wegfielen, rechneten Experten für die kommenden Jahre sogar noch mit einem Aufbau neuer Jobs in der deutschen Automobilindustrie. Ein Grund für diese Entwicklung seien die starken Gewerkschaften hierzulande, so die FTD. „Die Belegschaften in Deutschland sind sehr stark, die können viel verhindern und verzögern“, sagt eine Sprecherin der IG Metall der Zeitung. Die Schließung eines Werks würde hier in jedem Fall sehr schwierig und sehr teuer, meint die Gewerkschaftlerin. Einfacher gehe das offenbar in Belgien und in Großbritannien, dort seien die Arbeitnehmerorganisationen deutlich schwächer organisiert.

„Warum schließen GM und Ford ihre Werke in Belgien und nicht in Deutschland?“, fragt Rohnny Champagne, Verhandlungsführer der belgischen Gewerkschaft ABVV Metaal, laut FTD: Die Antwort sei ganz einfach: wegen der Macht der IG Metall. Sein Vorwurf: „Die Deutschen reden immer von europäischer Solidarität, aber in Wahrheit haben sie doch nur ihre eignen nationalen Interessen im Blick: in der Politik und in der IG Metall“.

Gerade US-Konzerne tun sich mit dem deutschen Modell der Mitbestimmung, der langfristigen Standortsicherung, traditionell schwer, heißt es in dem Bericht weiter. Die Autobauer bemühten sich in Deutschland um ein harmonisches Verhältnis mit der mächtigen Metallgewerkschaft und erkauften sich dieses auch mit langfristigen Standortgarantien und dem Verzicht auf Kündigungen. Im Gegenzug gebe sich die IG Metall nun schon über Jahre mit moderaten Lohnsteigerungen zufrieden und verzichte weitgehend auf Streiks. Als Negativbeispiel müsste aber das Gezerre bei Opel genannt werden.

Anders als in den USA, wo starke regionale Gewerkschaften als zentrales Argument gegen Investitionen gelten würden, wirke das deutsche Modell der Mitbestimmung aber offensichtlich nicht abschreckend, schlussfolgert die Zeitung. Deutschland gewinne als Produktionsstandort in der Industrie sogar laut Studien weiter an Attraktivität.

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

Mehr Experten