Fundamentale Nachricht
14:49 Uhr, 22.03.2023

Frankreichs Rentenreform und ihre Folgen auf den Märkten

Vincent Mortier, Group Chief Investment Officer von Amundi, und Didier Borowksi, Head of Macro Policy Research beim Amundi Institute, erläutern im aktuellen „Investment Talk: France – The pension reform puts politics under strain, but major instability unlikely“ die Auswirkungen auf Aktien und Anleihen.

Am 16. März erzwang die französische Regierung die Verabschiedung des neuen Rentengesetzes, mit dem das Mindestrentenalter von 62 auf 64 Jahre angehoben werden soll – und zwar ohne Abstimmung, indem sie sich auf den Verfassungsartikel 49.3 berief. Die Rentenreform ist somit angenommen, aber noch nicht in Kraft getreten. Die beiden eingereichten Misstrauensanträge sind am 20. März gescheitert. Eines der Hauptziele der Regierung ist es, das umlagefinanzierte Rentensystem zu modernisieren. Es könnte aber jedoch auf dem Weg dahin noch einige Hindernisse geben: zum Beispiel wäre ein Referendum möglich, das von mindestens 10 % der Wählerschaft (4,87 Millionen Menschen) unterstützt werden müsste, ebenso wie eine Klage vor dem Verfassungsrat und nicht zuletzt massiv steigende Proteste, die zu einer Aussetzung des Gesetzes führen könnten. Auch besteht das Risiko einer möglichen Auflösung der Nationalversammlung und von Neuwahlen mit ungewissem Ausgang. Was bedeutet dies für Anleihen- und Aktienmärkte?

Spreads zu Bundesanleihen weiten sich aus

Die jüngste Ausweitung des Spreads der 10-jährigen französischen Staatsanleihe gegenüber der entsprechenden deutschen Anleihe ist hauptsächlich auf das risikoaverse Umfeld zurückzuführen, das durch die Probleme mit den US-Regionalbanken und der Credit Suisse ausgelöst wurde. Dies deutet darauf hin, dass das spezifische Risiko für Frankreich derzeit nicht besonders hoch bewertet wird. Die risikoaverse Marktstimmung hat dazu geführt, dass sich die Spreads aller Länder der Eurozone gegenüber Deutschland ausgeweitet haben. Sollte sich die politische Lage in Frankreich aber weiter verschlechtern, könnte es zu einer weiteren Ausweitung der Spreads kommen, was eine gewisse Überreaktion zur Folge hätte. Aber selbst Neuwahlen können nur dann stattfinden, wenn Präsident Macron diese Entscheidung trifft und die Bildung einer Mehrheitsfraktion im Parlament nicht zustande kommt. Die Anleger sollten zudem auch bedenken, dass französische Anleihen liquide sind, ein hohes Rating haben und die Nachfrage anziehen könnte.

Frankreichs Aktienmärkte sind stabil

Die jüngste Korrektur französischer Aktien verlief weitgehend im Einklang mit dem europäischen Aktienmarkt allgemein und ist im Wesentlichen die Reaktion auf die starke Performance am Anfang des Jahres. Die Struktur des französischen Aktienmarktes ist ziemlich ausgewogen. Die beiden wichtigsten Sektoren im MSCI France Index sind zyklische Konsumgüter (20,8 %) und Industriewerte (22 %). Finanzwerte (10,3 %) stehen nur an dritter Stelle, gleichauf mit den Basiskonsumgütern. Das Gesundheitswesen (9,9 %) ist stärker vertreten als der Energiesektor (8,3 %). Obwohl zyklisch, zeigen sich die ersten beiden Sektoren im Index in der Regel als widerstandsfähig. Luxusgüter, die den größten Teil der zyklischen Konsumgüter ausmachen, verfügen über eine unbestreitbare Preissetzungsmacht und ein interessantes Exposure gegenüber dem chinesischen Wachstum; Industriewerte sind in langfristig angelegten Projekten vertreten, wie Luft- und Raumfahrt oder Industriegase.

Die Bewertungen entsprechen weitgehend denen des europäischen Marktes; Frankreich liegt hier im Durchschnitt. Bei einem für 2023 erwarteten stabilen Gewinnwachstum, das dem des US-Marktes und des globalen MSCI World ACWI entspricht, ist das 12-Monats-KGV (13,1x Gewinn) etwas höher als in Europa (12,8x), aber deutlich niedriger als das des US-Marktes (18x). Die Rendite (2,9 %) ist höher als die des MSCI World AC (2,3 %).

Was die aktuellen politischen Ereignisse betrifft, so könnte eine Verschlechterung der Lage Auswirkungen auf französische Aktien haben, insbesondere im Bankensektor und bei den Versorgungsunternehmen. In der Tat könnten die Parteien der extremen Linken und der extremen Rechten, die diesen Sektoren sehr kritisch, aber unterschiedlich gegenüberstehen, zulegen, wobei die extreme Linke eine Verstaatlichung und die extreme Rechte Steuererhöhungen anstrebt. Ein weiterer Anstieg der politischen Unsicherheit könnte auch die Risikoprämie auf französische Aktien erhöhen.

Davon sind wir jedoch noch weit entfernt: Macron bleibt Präsident und es gibt wenig Grund für französische Aktien, sich deutlich von denen anderer europäischer Länder zu entwickeln. Außerdem geht es der Wirtschaft recht gut, und die Inflation ist niedriger als in anderen europäischen Ländern, da die Energiekosten aufgrund des nuklearintensiven Energiemixes des Landes tendenziell weniger steigen.

EXKURS: Macrons wirtschaftsfreundliche Reformen wirken

Macron hat seit 2017 viele wirtschaftsfreundliche Reformen durchgeführt, und die französische Wirtschaft hat sich im Vergleich zu ihren Konkurrenten recht gut entwickelt. Das BIP-Wachstum lag 2022 bei 2,6 % (gegenüber 1,9 % in Deutschland), was vor allem auf die relative Bedeutung des Dienstleistungssektors zurückzuführen ist, der weniger stark von den steigenden Energiepreisen betroffen ist als die deutsche Industrie. Die französische Wirtschaft hat außerdem von dem 2022 eingeführten Schutzschild profitiert, der sich bei der Eindämmung der Inflation und der Zweitrundeneffekte als sehr wirksam erwiesen hat, so dass die französischen Haushalte bessergestellt sind als die in den Nachbarländern. Die französische Wirtschaft profitiert auch von den wirtschaftsfreundlichen Maßnahmen, die in der ersten Amtszeit von Emmanuel Macron ergriffen wurden, insbesondere von der 2019 eingeleiteten Reform der Arbeitslosenversicherung. Der französische Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt, mit historisch hohen Beschäftigungs- und Erwerbsquoten und einer historisch niedrigen Arbeitslosenquote. Dennoch sind die Erwerbsquoten nach wie vor niedriger als in vielen anderen Ländern, und die Probleme, wie Jugendarbeitslosigkeit und Arbeitslosigkeit bei Geringqualifizierten, bleiben bestehen. Mittelfristig dürfte die Reform der Arbeitslosenunterstützung in Verbindung mit der Rentenreform und der Berufsausbildung die Erwerbsbeteiligung (junger und älterer Menschen) schrittweise erhöhen und damit das Potenzialwachstum stärken.

Kurzfristig sind die wirtschaftlichen Risiken jedoch aufgrund der Unsicherheit, die sich durch wiederholte Streiks und soziale Unruhen einstellt, eher gestiegen. Kurz gesagt, die Dynamik der angebotsseitigen Reformen, die für die Schaffung von Arbeitsplätzen unerlässlich sind, wird sich wahrscheinlich verlangsamen.

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