Kommentar
06:25 Uhr, 07.12.2016

EZB absurd: Mario Draghi warnt vor zu niedrigen Zinsen!

Manche Dinge sind so absurd, dass man sie sich gar nicht ausdenken kann. So warnt der EZB-Präsident höchstpersönlich vor zu niedrigen Zinsen.

Es kommt einem wie ein schlechter Witz vor, doch es ist die Realität: die EZB ist besorgt über die niedrigen Zinsen und warnt die Politik davor. Es geht bei der Warnung nicht ganz allgemein um das Zinsniveau, sondern die schädliche Wirkung auf bestimmte Sektoren. Dazu gehören Banken und der Immobiliensektor.

Das Profitabilitätsproblem der Banken ist längst bekannt und nicht neu. Neu ist die Warnung, dass niedrige Zinsen zu Ungleichgewichten und Übertreibungen führen. Wer die vergangenen Jahre nicht vollkommen blind war, für den ist diese Erkenntnis keine Überraschung. Trotzdem kommt das ESRB (European Systemic Risk Board) erst jetzt mit der Warnung heraus. Draghi griff sie gleich in einer Anhörung vor dem EU Parlament auf.

Das ESRB hat festgestellt, dass der Immobiliensektor in mehreren Ländern ein systemisches Risiko darstellt. Oberflächlich betrachtet liegt dies vor allem an der Preisentwicklung von Immobilien. Grafik 1 zeigt die betroffenen Länder. Dass sich der Immobilienmarkt in Schweden in einer Überhitzung befindet, ist sofort zu erkennen. Die Preise verdoppelten sich innerhalb von weniger als 10 Jahren.

Überraschend ist, dass sich auch die Niederlande unter den Kandidaten befinden. Die Preise sind eigentlich nicht übermäßig gestiegen. Zum Systemrisiko gehört allerdings mehr als nur der Preis einer Immobilie. Was noch dazu gehört, wird in Grafik 2 gezeigt. So sind niederländische Privathaushalte mit über 60 % der Wirtschaftsleistung verschuldet.

Auch das ist noch nicht das größte Problem. Vielmehr liegen die Immobilienkredite beim 6,4-fachen des Eigenkapitals der Banken. Kommt es zu einer Wirtschaftskrise und fallen 5 % der Immobilienkredite aus, dann hat der gesamte Bankensektor kaum noch genug Kapital, um die regulatorischen Mindestanforderungen zu erfüllen.

Kommt es zu einem Abschwung auf dem Immobilienmarkt oder der Wirtschaft allgemein, dann sind sinkende Immobilienpreise nur ein Teil des Problems. Je höher die gesamtwirtschaftliche Verschuldung in diesem Bereich ist, desto anfälliger sind Banken. Das Eigenkapital ist im Ernstfall schnell aufgezehrt.

Kommt es zu einem Abschwung, dann ist auch von sinkender Beschäftigung in dem Sektor auszugehen. In den meisten Ländern sind ca. 10 % der Beschäftigten direkt oder indirekt vom Immobiliensektor abhängig. Sinkt die Beschäftigung und die Bautätigkeit, sind gleich 10-18 % der Wirtschaftsleistung betroffen.
Eine Immobilienkrise ist nicht nur eine Krise, weil die Preise fallen, sondern weil die Beschäftigung sinkt, ein wichtiger Bestandteil der Wirtschaftsleistung überproportional zurückgeht und Banken kaum genug Eigenkapital haben, um die Krise eigenständig zu bewältigen. Die Krise in den 7 Ländern muss nicht heute oder morgen kommen, doch wenn sie kommt, dann wird es hässlich.

Wie dramatisch die Lage teilweise ist, zeigen die Detaildaten des ESRB. In Wien gelten Immobilien im Durchschnitt als 20 % überbewertet. Das Kreditwachstum lag in den letzten zwei Jahren teils bei 20 %.

In Belgien werden 8 % des Einkommens benötigt, um Kredite zu bedienen. Das sind 2 Prozentpunkte mehr als noch vor wenigen Jahren und das, obwohl die Zinsen so niedrig sind wie noch nie. Man kann sich vorstellen, was geschieht, wenn die Zinsen wieder steigen.

Jedes Land hat so seine eigenen Probleme. Die einen sind zu hoch verschuldet (Dänemark), andere haben überbewertete Märkte (Österreich) und wieder andere haben eine zu hohe Verschuldung relativ zum Einkommen (Luxembourg). Das ist eine tickende Zeitbombe.

Es ist gut, dass das nun erkannt wurde. Überraschend ist es allerdings nicht. Es entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie, dass gerade die EZB nun vor niedrigen Zinsen warnt. Zinsen sind schließlich eine Frage der Geldpolitik – und wer macht die bloß?

Clemens Schmale

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2 Kommentare

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  • Lumpazi
    Lumpazi

    Sehr gut ausgeleuchtet, Herr Schmale.

    Immer, wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt eine neue Stufe des Wahnsinns her.

    16:09 Uhr, 07.12.2016
  • Hoeli
    Hoeli

    Man mag solche "Wendehals-Manöver" und Absurditäten schon gar nicht mehr lesen. Da kommt einem gleich morgens der heiße Kaffee wieder hoch. Cabaret Economic. ;-)

    Einfach das Puppentheater ignorieren und auf den Bauch und die Charts hören.

    09:17 Uhr, 07.12.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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