Kommentar
08:33 Uhr, 06.04.2015

Eurozone: Ein Ding der Unmöglichkeit?

Einige wussten es schon immer: die Eurozone war ein Fehler. Beweise dafür finden sich an jeder Straßenecke.

Die Eurozone ist gespalten – nicht erst seit gestern. Die Unstimmigkeit nimmt allerdings zu. Die einen frohlocken über die niedrigen Zinsen und das Anleihenkaufprogramm der EZB, den anderen ist es ein Dorn im Auge. Die EZB hat auch eine schwierige Aufgabe, es allen recht zu machen. Das kann sie gar nicht. Dazu sind die einzelnen Länder zu verschieden.

Die Kritiker der Eurozone sehen genau darin das Problem. Die Länder sind zu verschieden für eine einheitliche Geldpolitik. Während die Arbeitslosigkeit in Deutschland zurückgeht, liegt sie in vielen Ländern noch immer nahe ihrer Rekordhochs. Da kann eine einheitliche Politik für alle gar nicht allen passen.

Die EZB tut, was sie kann und was sie für richtig hält. Dabei orientiert sie sich an der gesamten Eurozone. Die Geldpolitik ist quasi ein Mittelwert der unterschiedlichen Bedürfnisse. Derzeit hat man den Eindruck, dass es rein um die Peripherieländer geht. Das ist so allerdings nicht ganz richtig. Auch Länder wie Frankreich haben eine lockere Geldpolitik dringend nötig. Für einige Länder dürfte auch das aktuelle Zinsniveau noch zu hoch sein. Wesentlich senken lässt es sich nun jedoch nicht mehr. Für andere Länder wie Deutschland erscheint das Zinsniveau viel zu niedrig.

Was es genau heißt, einen zu hohen oder zu niedrigen Zinssatz zu haben, zeigt die folgende Grafik. Dort ist der tatsächliche Leitzins der Eurozone abgebildet. Gleichzeitig sind auch die theoretischen Zinsen abgebildet. Die theoretischen Zinsen sind nach der Taylor Regel berechnet. Diese steht gerade im Zentrum der Diskussion zur Geldpolitik in den USA. Die Regel lässt sich für alle Länder adaptieren. Das Ergebnis zeigt die Grafik.
Für die gesamte Eurozone ergibt sich ein theoretischer, fairer Zinssatz von 0,3%. Tatsächlich sind die Zinsen leicht negativ. Die Abweichungen zum theoretischen Zins sind je nach Land erheblich. Für Deutschland ergibt sich ein Wert zwischen 3 und 4%, für Frankreich 0%, für Italien -0,5%, für Portugal -3,5% und für Griechenland -10%.

Einen Zins von -10 bis -15% herbeizuführen ist wenig praktikabel. Daran würde auch eine souveräne Zentralbank nichts ändern können. Grundsätzlich sind auch negative Zinsen denkbar. Für Kredit würde man dann keine Zinsen mehr zahlen, sondern welche bekommen. Ob das Sinn macht, sei dahingestellt.
Die EZB orientiert sich derzeit offensichtlich an den schwächsten Ländern der Eurozone. Andernfalls wären die Zinsen höher. Es gibt doch einige Länder für die ein höherer Zins angemessen wäre. Neben Deutschland zählen dazu Belgien, Luxembourg, Österreich, Finnland und die Niederlande. Nicht umsonst redet man immer wieder von einem Nord- und Süd Euro. Die Eurozone zweizuteilen ist immer noch eine grobe Vereinfachung. Innerhalb dieser Länder liegen die angemessenen Zinsen auch noch weit auseinander (1% bis 4%).

Den angemessenen Zins kann man nur durchsetzen, wenn man die Eurozone aufgibt. Bisher wollen das die wenigsten und man muss sich fragen, was es bringt. Zum einen gibt es das Beispiel USA. Fast jeder Bundesstaat bräuchte seinen eigenen Leitzins. Der Bundesstaat New York (ohne die Stadt New York) bräuchte einen Zins in der Region von 3%. Nevada würde ein Zins von einem Prozent reichen. Zum anderen muss man sich nur einmal überlegen, was passiert, wenn jede Zentralbank wieder ihre eigene Politik machen würde.

Die griechische Zentralbank kann die Zinsen kaum noch senken. Dafür würde die Währung abwerten. Das wiederum würde zu hoher Inflation führen. Schätzungen nach könnte eine Drachme um 30 bis 40% gegenüber dem Euro abwerten. Die Inflation könnte auf über 20% hochschnellen. Nach der Taylor Regel müsste die Zentralbank dann den Zinssatz auf 15% anheben. Tut sie das nicht, dann bleibt die Inflation und hat erst einmal dramatische Konsequenzen für die Wirtschaft. Die Zinsen nicht anzuheben ist fast keine Option. Wollte ein Unternehmen einen Kredit aufnehmen müsste es wohl einen Zinssatz in der Nähe der Inflationsrate zahlen. Der Leitzins könnte unverändert bei 0% stehen, trotzdem würden die Kosten für Kredit wohl explodieren.

Da sich der Leitzins bis zu einem gewissen Grad an der Inflation orientiert müssen Banken davon ausgehen, dass die Zinsen steigen würden. Banken refinanzieren sich nun aber größtenteils über die Zentralbank. Banken würden entsprechend keinen Kredit zu 2% vergeben, wenn sie einen Refinanzierungssatz von 15% befürchten muss.
Das mittelfristige Chaos nach Austritt aus der Eurozone wäre groß. Langfristig kann es einem Land helfen, wenn es die Souveränität gut einsetzt. Das Verhalten der Politiker lässt einen genau daran zweifeln. Die EZB Politik wird von Griechenland als das Seil bezeichnet, welches um die Kehle geschnürt ist. Das ist zwar ein kruder Vergleich, inhaltlich aber korrekt. Gäbe es die Einschränkungen der EZB nicht, dann kann man sich ansatzweise vorstellen, was los wäre. Der Staat würde sich mit kurzfristigen Anleihen Liquidität besorgen. Diese Anleihen werden von Banken gekauft, die als Sicherheit bei der Zentralbank für frisches Zentralbankgeld hinterlegt werden können. Der Staat, wieder frei zum Atmen, würde sich mit Geld vollsaugen, Reformen einstampfen, Geld ausgeben usw. Kurz: der Staat bliebe bankrott und würde die Banken innerhalb kurzer Zeit mit sich reißen. Kurzum: Austritte aus der Eurozone sind nicht das Allheilmittel wie von vielen behauptet.

Ich würde bis zu einem gewissen Grad soweit gehen und behaupten, dass Europa ohne Eurozone schon längst im Bankrott versunken wäre. Griechenland hat sich sicherlich auch dank der Eurozone stark verschulden können. Die Schulden stiegen allerdings auch schon vor dem Euro massiv an. Tatsächlich sind sie vom Beginn der Währungsunion bis 2009 relativ stabil geblieben. Die Finanzkrise hätte es auch ohne Eurozone gegeben. Vielleicht wäre Griechenland dann nicht mit Schulden von 160% des BIPs in den Bankrott gerutscht, sondern von einem niedrigeren Niveau aus (z.B. 130%). Das Ergebnis wäre im Grunde genommen das gleiche gewesen – Eurozone hin oder her.

Ich bin kein Anhänger der Einheitspolitik und der starken Manipulation des Marktes. Man muss sich aber auch die Frage stellen, ob wir heute in den meisten Euroländern in einer besseren Situation wären, wenn es die Eurozone nicht gegeben hätte. Ich wage es zu bezweifeln.

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5 Kommentare

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  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    @ Schmale

    Sie sind der Ansicht, dass Europa ohne Euro schon längst im Schuldensumpf versunken wäre?

    Das mag richtig sein. Das Problem momentan ist nur, dass die südlichen Peripherieländer ihre Schuldenorgien auf die stabilien Nordländer - und als größtes davon auf Deutschland - abwälzen.

    Wir müssen im Notfall den Kopf für Griechenland und Co hinhalten ...

    07:44 Uhr, 07.04.2015
  • Löwe30
    Löwe30

    "Was soll eine Zentralbank, wenn sie nicht mehr weiß, wie sie die Geldmenge richtig steuern kann? Was soll eine Zentralbank, wenn ihre Zielvorgabe, die „Stabilität“ des Preisniveaus zu bewahren, statistisch immer weniger genau erfasst werden kann? Was soll der Kult um Wachstum und Konjunktur, wenn man weder das eine noch das andere zutreffend bestimmen kann?...

    Unser Geldwesen ist krank – unheilbar krank. Ebenso steht es mit der Geldpolitik. Für beide ist eine bloße Reform zu wenig. Kern des Problems sind die Notenbanken. Nötig ist ein radikal anderes Geldsystem. Das Stichwort hierfür lautet 'Entstaatlichung' – die Schaffung eines privaten Geldsystems" Quelle und Begründung dafür hier: http://www.misesde.org/?p=9759

    16:57 Uhr, 06.04.2015
    1 Antwort anzeigen
  • Investor
    Investor

    2000 war es genau umgekehrt. Da hat D niedrige Zinsen gebraucht und hat die Konjunktur in Spanien und PT in die Immobilienblase gerissen. Jetzt wird es die Blase halt in D geben.

    Es gibt eine etablierte Methode unterschiedliche Konjunkturzyklen abzufedern: Finanzielle Ausgleichszahlungen zwischen den Staaten. In D heisst die Länderfinanzausgleich. Damit wird Überschußliquidität zu niedrigen Zinsen in die Länder verbracht, die Geld für Konjunkturprogramme brauchen.

    Man kann darüber diskutieren, wie man dies organisiert (direkt, oder via europ. Entwicklungsbank oder via Regierungskreidite), aber ohne wird das Überleben der Eurozone schwierig. Aber der Mechanismus würde den politischen Einfluß D beschneiden (wenn niemand mehr Geld gegen Wohlverhalten bekommen würde) und deshalb vermutlich nie kommen.

    09:10 Uhr, 06.04.2015
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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