Fundamentale Nachricht
15:17 Uhr, 12.06.2024

EU-Wahl zieht Unsicherheit und Volatilität nach sich

David Zahn, Head of European Fixed Income bei Franklin Templeton, kommentiert die Wahlen zum Europaparlament.

Nach den Parlamentswahlen in der EU, bei denen die regierenden Parteien der Mitte gegenüber den rechtsextremen Parteien an Boden verloren haben, wird es in der Europäischen Union wahrscheinlich zu politischen Veränderungen kommen. David Zahn, Head of European Fixed Income bei Franklin Templeton, erörtert die Bereiche, in denen politische Unsicherheit besteht und warum die Märkte volatil werden könnten.

Die rechtsextremen Parteien in Europa haben wie erwartet ihren Stimmenanteil erhöht und Sitze im EU-Parlament gewonnen. Aufgrund der starken Unterstützung für die französische Partei Rassemblement National kündigte Präsident Emmanuel Macron überraschend an, am 30. Juni nationale Parlamentswahlen abzuhalten. Die europäischen Aktien- und Anleihemärkte reagierten mit Kursverlusten auf das Ergebnis, das den Startschuss für mehrstufige Verhandlungen zur Bildung einer stabilen Regierungsmehrheit im EU-Parlament gab.

Die Wahlsiege der extremen Rechten bestätigen, was wir in den letzten Jahren bei nationalen Wahlen in Europa beobachten konnten. Die Wähler waren mit den Parteien der Mitte unzufrieden und wünschten sich eine aggressivere Politik, wie sie von der extremen Rechten verfolgt wird. Auch wenn es außerhalb Frankreichs kein eklatanter Sieg war, gab es in Italien, den Niederlanden und Deutschland einen Rechtsruck.

Rechtsextreme Parteien neigen dazu, sich auf innenpolitische Themen zu konzentrieren

Ohne Zweifel wird es Veränderungen geben, und die Politik der letzten fünf Jahre wird teilweise rückgängig gemacht werden. Der Mangel an politischer Klarheit in naher Zukunft wird wahrscheinlich zur Volatilität an den Märkten beitragen. Die Verhandlungen werden sich schwierig gestalten. Rechtsextreme Parteien neigen dazu, sich auf innenpolitische Themen zu konzentrieren und stehen oft in Konflikt mit der EU und anderen nationalistischen Parteien. Außerdem hat die Europäische Kommission ein kompliziertes Auswahlverfahren, das sowohl die Bildung einer parlamentarischen Koalition als auch die Zustimmung der derzeitigen politischen Führer der 27 Mitgliedstaaten erfordert. Die scheidende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will ihr Amt behalten, doch ihre bisherige Koalition hat nur neun Stimmen Vorsprung. Noch ist nicht klar, ob von der Leyen im Amt bleiben kann und welche politischen Zugeständnisse sie dafür machen muss. Es ist auch zu früh, um zu sagen, ob andere Kandidaten für den Posten in Frage kommen.

Markt für grüne Anleihen dürfte weiter wachsen

Eine Schlagzeile, die man nicht überbewerten sollte, ist die Niederlage der Grünen. Auch wenn es einige Änderungen geben wird, gehen wir von einer gewissen Konstanz in der Umweltpolitik aus. Vor fünf Jahren lag der Schwerpunkt der grünen Energiepolitik auf der Reduzierung der Kohlenstoffemissionen, was langfristig von entscheidender Bedeutung ist. Zuletzt hat jedoch der Krieg Russlands gegen die Ukraine die Gefahren der Energieabhängigkeit verdeutlicht, sodass die Energiesicherheit im Vordergrund steht. Die Diversifizierung der Energiequellen durch Wind-, Solar- und geothermische Energie, die innerhalb der Grenzen der EU erzeugt wird, wird allgemein als wichtig angesehen. Selbst die extreme Rechte muss bei diesem Thema vorsichtig sein. Die jüngste Unterbrechung der Erdgaslieferungen aus Norwegen nach Europa hatte spürbare Auswirkungen. Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass sich die Entwicklung hin zu einer umweltfreundlicheren Wirtschaft fortsetzen und der Markt für grüne Anleihen weiter wachsen wird.

Die EU hat eine gewisse Kontrolle über die nationalen Haushalte, im Gegensatz zum föderalen System der USA, und dies wird ein Verhandlungspunkt mit Defizitländern wie Frankreich und Italien sein. Wir erwarten keine Rückkehr zu den Problemen der Eurokrise vor zehn Jahren. Abgesehen von den Haushaltsfragen wird die extreme Rechte wahrscheinlich eine einwanderungsfeindliche Politik verfolgen, die Europa unserer Meinung nach nicht braucht. Zudem tendieren einige der Parteien, die an Zustimmung gewinnen, zu einer russlandfreundlicheren Haltung.

Neuwahlen in Frankreich könnten Marktvolatilität im Juni erhöhen

Die kommenden Wochen werden entscheidend sein, da sich Frankreich auf die nächsten Wahlen vorbereitet. Der Rassemblement National von Marine Le Pen hat Präsident Macron erheblich unter Druck gesetzt, der daraufhin vorgezogene Neuwahlen ankündigte, vielleicht um den Schwung der Opposition zu bremsen. Frankreich ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU, aber seine relative Bedeutung für die EU ist noch größer. Außerdem hat das Land ein Haushaltsdefizit von mindestens 4,5 %. Einige Umfragen deuten darauf hin, dass der Rassemblement National eine parlamentarische Mehrheit gewinnen könnte, was sowohl die nationalen, als auch die regionalen politischen Aussichten erschweren würde. Unserer Meinung nach waren die Märkte auf dieses politische Risiko nicht vorbereitet, so dass es im Juni zu einer erhöhten Volatilität kommen könnte.

Insgesamt ist die italienische Premierministerin Giorgia Meloni die einzige Amtsinhaberin, die durch das Ergebnis gestärkt wurde. Meloni wurde vor zwei Jahren Premierministerin und hat sich oft pragmatischer gezeigt, als es ihre Wahlkampfrhetorik vermuten ließ. Sie hat ein offenes Ohr für die Sorgen der Anleihemärkte gezeigt. Während der Verhandlungen auf EU-Ebene liegt das italienische Haushaltsdefizit bei über 5% und wird wahrscheinlich noch weiter steigen. Meloni wird vermutlich Haushaltsflexibilität fordern, während die EU eine Haushaltskontrolle anstrebt.

Nach den Wahlen zum Europaparlament haben wir unseres Erachtens gerade den Auftakt für den Wettbewerb um die Führung Frankreichs und die Verhandlungen über die Europapolitik gehört. Wir sind der Meinung, dass die Medien die Siegchancen von Le Pen unterschätzen. In der Vergangenheit haben Le Pen in Frankreich und Meloni in Italien nicht gut kooperiert, aber wenn sie einen Weg finden zusammenzuarbeiten, könnten sie einen großen Einfluss auf die Politik haben. Es bleibt abzuwarten, welche strategische Wahl sie treffen werden.

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