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10:51 Uhr, 05.07.2022

Erdgas: Reduziertes Angebot lässt Preis weiter steigen

Die Versorgungslage in Europa wird durch die bevorstehende Unterbrechung der Gaslieferungen über die Nord Stream-Pipeline aufgrund von Wartungsarbeiten sowie einen Streik in der norwegischen Öl- und Gasindustrie weiter verschärft.

Der europäische Erdgaspreis setzte auch gestern seinen Höhenflug fort. Der Einmonatsforward am virtuellen Handelspunkt TTF in den Niederlanden verteuerte sich um weitere 13 Prozent auf 164 Euro je MWh. Das ist das höchste Preisniveau seit Anfang März, als der Preis kurz nach Beginn der russischen Invasion der Ukraine kurzzeitig auf ein Rekordniveau von mehr als 300 Euro sprang, wie Commerzbank-Analyst Carsten Fritsch in der aktuellen Ausgabe von „Rohstoffe Aktuell“ schreibt.

„Seit Mitte Juni hat sich der Erdgaspreis nahezu verdoppelt. Dahinter stehen Befürchtungen einer Gasknappheit in den Wintermonaten, nachdem Russland seine Gaslieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream um 60 Prozent reduziert hat. Über andere Pipelines wie Jamal oder über die Ukraine fließt schon seit längerem kein oder deutlich weniger Gas aus Russland nach Europa. Die Gaslieferungen über diese drei Pipelines lagen zuletzt bei insgesamt knapp 1.100 GWh pro Tag. Im Durchschnitt des ersten Quartals waren es noch mehr als doppelt so viel, im entsprechenden Vorjahreszeitraum sogar rund dreimal so viel“, so Fritsch.

Anfang kommender Woche stehe dann noch die alljährliche Wartung der Nord Stream-Pipeline an. Während dieser Zeit werde der Gaszufluss für zehn Tage vollständig unterbrochen. Ob Russland stattdessen mehr Gas über die anderen Pipelines liefern werde, dürfe bezweifelt werden. Die Sorge sei vielmehr, dass die Gaslieferungen nach den Wartungsarbeiten noch weiter reduziert oder gar nicht wieder aufgenommen würden. Dies würde den Aufbau der europäischen Erdgasvorräte für den nächsten Winter nahezu unmöglich und weitergehende politische Maßnahmen sowie Einschnitte beim Gasverbrauch erforderlich machen, heißt es weiter.

„Die Gasvorräte in der EU waren zuletzt zu 59 Prozent gefüllt. Das sind zwar drei Prozentpunkte mehr als in der Woche zuvor, aber noch immer knapp drei Prozentpunkte weniger als zu dieser Jahreszeit üblich. Die seit Mitte Mai reduzierten russischen Gaslieferungen haben außerdem dazu geführt, dass der zuvor zu beobachtende Aufholprozess beim Lageraufbau zum Stillstand gekommen ist“, so Fritsch.

Es könnte also schwierig werden, die für Anfang November vorgesehenen 80 bis 90 Prozent beim Füllstand zu erreichen. Dies gelte erst recht für von russischem Gas stark abhängige Länder, die beim Lageraufbau deutlich unter dem EU-Durchschnitt lägen wie bspw. Ungarn und Österreich. In Deutschland sehe es mit einem Füllstand von 62 Prozent zwar etwas besser aus. Aber auch hier liege dieser noch etwas unter dem jahreszeitüblichen Niveau, heißt es weiter.

„Zu allem Überfluss droht kurzfristig auch noch ein Rückgang des Gasangebots aus Norwegen, dem nach Russland zweitwichtigsten Gaslieferanten der EU. Dort begann heute ein Streik in der Öl- und Gasindustrie. Dieser könnte nach Angaben der norwegischen Produzentenvereinigung rund 13 % der Gasförderung lahmlegen. Dauert der Streik länger an, würde das die bereits angespannte Versorgungslage am europäischen Gasmarkt nochmals verschärfen und den Gaspreis unseres Erachtens weiter steigen lassen“, so Fritsch.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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